Heute gehts um bedürfnisorientierte Erziehung und darum, warum sie so viel besser ist. UUuuuh, das wird polarisierend!

Mal gucken, wie viele Hasskommentare uns hier unten drunter erreichen werden 😉

 

 

1. Fehler und bedürfnisorientierte (nicht-) Erziehung

Wir machen die ganze Zeit Fehler. Egal, wie wir mit anderen Menschen umgehen, wir machen Fehler. Denn wir sind Leute. Wir sind nicht immer verständlich, wir haben unsere Eigenschaften, die für andere herausfordernd sind. Wir treffen Entscheidungen und haben nicht alle Informationen. Wir tun unser Bestes und tun dabei anderen Menschen weh. Wir sind Leute!

Wir sind auch immer noch Leute, wenn wir Eltern werden. Ich weiß, Menschen tendieren dazu, das zu vergessen. Wir tun so, als ob wir Eltern werden und dann nur noch eine Mutter-, Vater oder Elternrolle sind und nicht mehr wir selbst. Aber natürlich sind wir weiter Leute, die Themen und Traumata und Ängste und Macken und Probleme mit uns herumschleppen. Und das werden wir immer sein.

Auch wenn wir mit unseren Kindern umgehen, sind wir Leute und werden Fehler machen.

Was ich vorschlage ist, dass wir die besten Fehler machen, die wir machen können. Was bedeutet, dass wir uns an bedürfnisorientierte Beziehung annähern. Bedürfnisorientiertes Miteinander beinhaltet nämlich nicht, wir machen keine Fehler mehr, wir machen immer alles perfekt, sondern es heißt:

Wir machen die besten Fehler, die wir machen können, mit dem Wissen, das wir gerade haben.

Wir entscheiden uns bewusst dafür, das Beste zu tun, was wir gerade tun können. Wir machen sowieso Fehler. Wir werden keine perfekte Methode finden, weil wir immer Menschen sind. Wir werden Kacke bauen. Wir werden unseren Kindern weh tun. Dann können wir genauso gut das Beste tun, was wir hinbekommen, finde ich.

2. Eltern und bedürfnisorientierte (nicht-) Erziehung

Hast du das eben gemerkt, als wir darüber gesprochen haben, dass du sowieso Fehler machst und dass du dann gleich das Beste machen kannst, was gerade für dich geht mit dem Wissen, das du gerade hast? Das ist bedürfnisorientiert dir selbst gegenüber! Wir hören auf, so zu tun, als wärst du ein Roboter, der, wenn das Kind dies und das macht, immer jenes und welches antwortet, der immer die gleichen Regeln aufstellt und durchsetzt, als wäre das Miteinander mit einem Kind nicht wie das Miteinander mit jedem anderen Menschen und jeden Tag ein kleines bisschen anders.

An manchen Tagen hast du die Kraft und die Geduld, bestimmte Dinge zu tun und hast gute und kreative Ideen. An anderen hast du es nicht.

Bedürfnisorientierte Erziehung ist immer auch der Blick auf dich und das, was du real leisten kannst.

Lass mich dir ein Beispiel geben:

Es gibt ganz viele Eltern, die ein großes Thema rund ums Essen haben. Das hat ganz viel mit unserer Kultur zu tun und betrifft vor allem weiblich sozialisierte Menschen, weil sie von klein auf gelernt haben, dass Essen kein Genuss sein darf. Das betrifft zum Teil auch Menschen, die versuchen, sich besonders gesund zu ernähren. Manchmal können sich die Eltern ihr Essen selber nicht gut regulieren, manchmal überregulieren sie es und es ist schwierig für sie, es loszulassen.

Bei mir war es so, dass mein Essen extrem reguliert wurde, als ich klein war. Ich bekam nur „extrem gesunde“ Nahrung und hatte später unheimlich Probleme, rauszufinden, was mein Körper eigentlich braucht und was nicht.

Damit steh ich nicht allein da. Regulierung von Essen ist ein weit verbreitetes Thema in Elternhäusern.

Wenn wir jetzt pauschale Vorgaben machen, wie zum Beispiel: „Kinder bekommen den Nachtisch erst nach dem Hauptgericht!“ oder: „Zucker ist giftig, den dürfen Kinder nicht essen!“, ist das eine Methode und eine Methode nimmt dich, deine Themen und Schwierigkeiten nicht mit an Bord.

Wenn wir hingegen bedürfnisorientiert agieren, gucken wir nur auf den einen Moment und überlegen: Was ist das Beste, was du in diesem Moment hinbekommst?

Das ist so viel netter dir gegenüber, als dir einzureden, du müssest dich halt nur zusammenreißen oder einfach weniger Probleme damit haben. Dadurch verschwindet das Problem nicht, es kommt sogar noch ein weiteres dazu: Scham. Du kannst also gar keine Lösung mehr finden, denn du bist nur noch damit beschäftigt, dich zu schämen.

3. Lösungen und bedürfnisorientierte (nicht-) Erziehung

Bedürfnisorientierte Erziehung hat so viel mehr Lösungen und Möglichkeiten.

Wenn du zum Beispiel ein Thema mit Zucker hast, kannst du Zuckerersatz anbieten oder Süßigkeiten finden, deren Zuckergehalt für dich ok ist. Du kannst die Zuckerhoheit auch abgeben und eine andere Person den Zucker im Haus verwalten lassen.

Natürlich ist nicht alles immer machbar, da spielen Privilegien und Ressourcen eine Rolle – ich will das nicht klein reden! Festhalten können wir:

Bei bedürfnisorientierter Erziehung geht es darum, was in diesem Moment für euch die sinnvollste Lösung ist.

Bedürfnisorientierte Beziehung ist immer an Lösungen interessiert und nicht daran, ob du als Mensch falsch bist oder wie „man“ das macht. Und das ist so viel freundlicher! Es ist erstmal ganz ungewohnt und komisch, weil wir diese Stimme im Kopf haben, die sagt: Aber Kinder brauchen Grenzen! Kinder müssen das auch mal lernen!

Wenn wir diesen Krempel beiseite legen – und das kannst du bei uns lernen, das braucht einfach nur Übung -, dann ist es so viel schöner!

Meine Kinder, die inzwischen nicht mehr klein sind und die diesen Umgang schon seit vielen Jahren gewohnt sind, sagen, wenn wir auf ein Problem stoßen:

  • Das könnte eine Lösung sein.
  • Lass uns doch mal … ausprobieren.
  • Worum geht es dir eigentlich?
  • Was sind deine Bedürfnisse? Was sind meine? Wie können wir ein Miteinander finden?

Das tun sie, weil sie es geübt haben, weil ich es mit ihnen geübt habe. Und weil ich es mit mir selbst geübt habe.

Lösungsorientierung ist eines der schönsten Dinge, warum es Sinn macht, bedürfnisorientiert mit deinem Kind umzugehen.

4. Gemeinsam bedürfnisorientiert (nicht) erziehen

Bedürfnisorientiertes Miteinander ist so viel inklusiver.

Wenn wir aufhören zu sagen: „Man muss Kinder abends um 8 ins Bett schicken!“ oder: „Kinder müssen jede Nacht 9,7 Stunden schlafen!“ und stattdessen darauf gucken, was die beteiligten Person in diesem Moment brauchen, ist es so viel schöner. Es werden so viel mehr Personen, Möglichkeiten und Ideen einbezogen.

In der Diskussion rund um bedürfnisorientiertes Miteinander, ploppt immer mal wieder die Idee auf, es sei daran zu erkennen, dass Eltern nie schimpfen, dass Kinder nie gezwungen werden, dass immer alles erlaubt sei. Gerade in den ersten Jahre, in denen ich auf meinem Blog über unerzogen berichtet habe, hieß es oft: Du lässt ja dein Kind auch vors fahrende Auto laufen! Es gab diese Idee, in unerzogenen Familien gäbe es keinerlei Regeln und Eltern dürften niemals Nein sagen. Was natürlich Quatsch ist und auch nur wieder eine Methode.

Generelle Konzepte schließen aus, dass wir in diesem Moment eine Lösung für alle Beteiligten finden. Genau das ist aber so wichtig; gerade für zum Beispiel neurodiverse Kinder, für Kinder mit Behinderung, für besondere Familienkonstellationen, in denen der übliche Rat und die übliche Vorgehensweise aus irgendwelchen Gründen nicht passt.

Bedürfnisorientierte Erziehung ist niemals Methode.

Bedürfnisorientiertes Miteinander ist inklusiver. Das hat auch mit Privilegien zu tun, weil Privilegien uns mehr Lösungsmöglichkeiten geben, aber generell bekommen wir konkrete Möglichkeit für diesen Moment, die wir sonst so maßgeschneidert nirgendwo finden können, weil es keine vorgegebene Methode ist. Bedürfnisorientierte Beziehung ist niemals Methode, sondern es sind Prinzipien, an denen ich mich orientiere, Ideen, an denen ich mich ausrichte – dazu haben wir übringens einen ganzen Kurs gemacht, falls du da Interesse hast. Und von diesen Prinzipien aus schaue ich weiter: Was ist hier meins? Was ist das, was ich in dem Moment am allerbesten hinbekomme?

5. Mit bedürfnisorientierter (nicht-) Erziehung die Welt verändern

Wir verändern eine Gesellschaft!

  • Wir bringen Menschen bei, aufzuhören, darauf zu gucken, was „man“ macht oder was andere wollen und zeigen ihnen stattdessen, wie wir für uns selbst sorgen und wie wir für sie sorgen.
  • Wir tun das Beste, was wir in dem Moment hinbekommen können, und zeigen das.
  • Wir übernehmen die Verantwortung und minimieren damit den bestimmt entstehenden Schaden durch die bestimmt vorkommenden Fehler.
  • Wir zeigen Menschen, dass sie wichtig sind, einfach nur weil sie existieren auf die Art und Weise, wie sie existieren.

All das hat einen Effekt auf eine Gesellschaft. Dadurch finden wir Menschen, die sich nicht unter Bergen von Scham und Verunsicherung herausarbeiten müssen, damit sie mehr sie selber sein können. Dadurch reduzieren wir die Gefahr, dass diese Menschen psychisch krank werden.

Bedürfnisorientierte (nicht-) Erziehung ist gut für die Psyche.

Nein, es gibt keine Garantien und ich gebe hier keine Garantie, aber wir haben gute wissenschaftliche Hinweise darauf, dass eine Kindheit, die sich darum bemüht, Bedürfnisse in den Fokus zu nehmen, anstatt Methoden, Gehorsam und Funktionieren sehr viel gesünder für alle Beteiligten ist (auch für uns Eltern). Denn wenn wir gewohnheitsmäßig darauf achten, was brauche ich, was braucht mein Kind und wie können wir daraus eine Lösung stricken, dann werden wir achtsamer mit uns selbst und das – auch eine wissenschaftliche Tatsache – ist gut für unsere Psyche.

Bedürfnisorientierte (nicht-) Erziehung ist schlecht für den Faschismus.

Wir haben außerdem Hinweise darauf, dass wir undemokratische politische und gesellschaftliche Strukturen aufhören zu stützen, wenn wir mit Menschen so umgehen, speziell faschistische Strukturen. Gehorsam und Faschismus gehören zusammen. Erziehung und rechte Gesinnung gehören zusammen. Wir haben dazu sehr saubere Belege. Unter anderem finden wir das in der Arbeit von Herbert Renz-Polster.

Es ist nicht egal, wie wir mit unseren Kindern umgehen, es ist nicht unser Privatvergnügen, es ist nicht etwas, was wir zwischen Job und Haushalt und anderen Dingen, die wir glauben, erledigen zu müssen, irgendwo reinquetschen. Es ist ein Fundament für uns selbst, für diesen Menschen, den wir begleiten, und für eine Gesellschaft. Es ist wichtig und wir sollten aufhören, das als gegeben, als selbstverständlich als etwas, was halt schon so irgendwie funktionieren wird, anzusehen und dem die Aufmerksamkeit, die Kraft, das Geld, die Unterstützung, die Zeit zu widmen, die es verdient hat, die wir selbst verdient haben, die diese jungen Menschen verdient haben.

Das war mein Wort zum Sonntag, obwohl hier noch nicht mal Sonntag ist. Ich wünsch dir noch eine wunderbare Woche. Machs gut!