Das hier wird ein Rant. Ein Rant darüber, warum es eben nicht so fucking einfach ist, friedvoll, geduldig und nett, zufrieden und gelassen zu sein. Denn da hilft es nicht uns einfach nur zu erzählen, wir müssten uns halt mehr zusammenreißen und mehr meditieren. Es ist auf so vielen Ebenen scheiße schwer, in unserer Mitte zu ruhen und ich werde richtig wütend und genervt, wenn ich daran denke, dass wir diese Ansprüche an uns als Eltern haben und dass wir in einer Gesellschaft leben, die diese Bilder reproduziert.

Also: Scheiß auf die innere Mitte!!

 

 

Intergenerationales Trauma – Tschüßi Gelassenheit

Wir beginnen ja erst seit einiger Zeit den Traumabegriff zu verstehen. Früher hieß es, ein Trauma entstünde durch ein singuläres, extremes Ereignis. Heute wissen wir, die gleichen Folgen für das zentrale Nervensystem können zB auch durch langanhaltenden Stress oder Bindungsprobleme in der Kindheit ausgelöst werden. Wenn du mehr darüber wissen willst, kann ich dir Dami Charf sehr ans Herz legen.

Was wir auch anfangen zu verstehen, ist, dass Trauma und die Antwort auf Trauma (trauma response), weitergegeben, quasi vererbt werden. Das geht so weit, dass wir lernen, mit Dingen umzugehen, die uns nicht mehr betreffen. Wir reagieren auf bestimmte Dinge oder haben Angst vor ihnen, weil das vor Generationen ein Problem war. Das Gelernte ergibt in unserer Umgebung keinen Sinn mehr, wirkt aber genauso traumatisch auf das Nervensystem, als hätten wir es selbst erlebt. Das Problem daran ist auch, dass wir uns der vererbten Traumata nicht bewusst sind (noch weniger als der durch selbst erlebte Dinge), weil wir sie nicht unsere eigenen Erfahrungen sind, und deswegen ganz, ganz schwer an sie rankommen.

Wir haben zB gelernt, in unserer übersatten Gesellschaft immer genug Essen im Haus zu haben. Selbst während einer fucking Pandemie war außer Klopapier und Trockenhefe alles erhältlich, wir leben also in einer Überflussgesellschaft, in der Menschen Essen horten. Ich will jetzt nicht behaupten, Essen horten sei nur durch intergenerationales Trauma bedingt, aber es kann sich dadurch zeigen.

Wie soll ich gelassen sein, während ich die Traumata mehrerer Generationen schultere? Also: Scheiß auf die innere Mitte!

Es gibt außerdem die Idee einer sogenannten Witch Wound – ich weiß nicht so ganz, ob ich da zustimme. In dieser Theorie ist die tiefe Angst davor, sich zu zeigen, für sich einzustehen, sich groß zu machen und nicht zu versuchen, irgendwo reinzupassen bei weiblich sozialisierten Menschen durch all die Generationen hindurch zu verfolgen ist, bis hin zu den Frauen, die deswegen gestorben sind. Es ist ja auch noch gar nicht so viele Generationen her, dass es gefährlich war für Frauen, den Mund aufzumachen.

Ich will gar nicht in die Details gehen, sondern bleibe bei dieser recht oberflächlichen Betrachtung. Es kann also sein, dass wir unser Verhalten und unsere Reaktionen nicht verstehen können, weil sie auf vererbten Verletzungen und Traumata fußen, Traumata unserer Vorfahren, die ein ganz anderes und vielfach sehr viel gefährlicheres und bedrohlicheres Leben gelebt haben.

Intergenerationale Traumata sind ein realer und großer Einfluss, der sich nicht mal eben wegmeditieren lässt.

Ich will keine Hoffnungslosigkeit verbreiten, es ist natürlich möglich, an vererbten Traumata zu arbeiten, und wir können lernen, mit ihnen zu leben. Ich will hier nur aufzeigen, wie real sie sind. Eltern haben in dem Moment, in dem ihr Kind sich weigert, den liebevoll gekochten Brokkoli zu essen, nicht nur mit sich und ihren vergangenen Versionen und deren (verdrängtem) Schmerz über die Erlebnisse, wenn sie zB selbst als Kind keinen Brokkoli essen wollten, zu tun, sondern womöglich auch mit den Urgroßeltern, die Hunger gelitten haben. Das ist ein realer Einfluss und keine Frage der Willenskraft. Die Willenskraft funktioniert nur im bewussten Teil unseres Gehirns. An unbewusste, vorsprachliche Dinge kommen wir nicht so einfach ran. Wenn sie uns noch nicht einmal selbst passiert sind, können wir sie auch nicht für uns erinnern.

Familienunfreundliche Gesellschaft – Ade Gelassenheit

Wir sind gesellschaftlich nicht auf Familien ausgerichtet.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der es um maximale Produktionsfähigkeit und maximalen Output geht. Elternschaft, während der sich die ganze Arbeit in den ersten Jahren eines jungen Menschen anhäuft, ist nicht besonders produktiv auf den ersten Blick, weil es reine Carearbeit ist.

Und an dieser Stelle wird es dann kompliziert, weil wir ja nicht nur sagen können, Kapitalismus ist kacke und deswegen ist das so. Das finde ich verkürzt. Aber wir können sagen, im Kapitalismus wird wenig Wert auf die Arbeit, die Eltern verrichten, gelegt. Das führt dazu, dass es für Eltern wenig Geld gibt und entsprechend wenig Anerkennung und Unterstützung.

Wie soll ich gelassen sein, während ich mit einem Haufen Carearbeit allein gelassen werde? Also: Scheiß auf die innere Mitte!

Außerdem gilt Elternschaft seit den letzten Generationen als persönliches Vergnügen und deswegen auch als persönliches Problem. Es wird davon ausgegangen, dass Kinder gewünscht und gewollt sind, da sich Schwangerschaften durch medizinische Möglichkeiten verhindern und beenden lassen. Und so wurde die Kinderaufzucht in all ihren Facetten fast komplett in die Verantwortung der Eltern übergeben.

Evolutionär unangepasst – Ciao Gelassenheit

Wir Menschen sind evolutionär nicht dafür gebaut, dass eine einzelne Person ein oder mehrere Kinder über den Großteil des Tages allein begleitet. Auch im Kindergarten übrigens nicht. Dann sind halt mehrere große Personen für ganz, ganz viele kleine zuständig. Das ist so nicht vorgesehen. Menschenkinder ziehen unfassbare Ressourcen, sie sind der aufwändigste Nachwuchs, den wir finden in der Natur. Sie sind unglaublich lange körperlich abhängig, sie stillen natürlicherweise wahnsinnig lange, sie sind sehr, sehr lange psychisch und ökonomisch abhängig. Wir haben es also mit einer wahnsinnig langen Zeitspanne und einem hochsozialen Wesen zu tun. Menschen arbeiten und leben in Gruppenverbänden und darauf ist die Aufzucht von einem neuen Menschen evolutionär angelegt. Evolutionär kennen wir es so, dass ein junger Mensch in das berühmt berüchtigte Dorf reingeboren wird, also mehrere Erwachsene auf ein oder mehrere Kinder schauen.

Es gibt Versuche, diese Effekte zu imitieren – ich selber lebe ja so, habe mir im wahrsten Sinne des Wortes ein Dorf gesucht, in dem ich mit anderen zusammenlebe. Aber auch ohne Dorf, brauchen wir nicht die Hufe in die Luft zu schmeißen und sagen, dann geht das halt alles nicht. Wichtig ist, dass wir diesen Druck, alleine kleine Kinder aufzuziehen, der auf Eltern lastet, als real ansehen. Er ist da und bringt unfassbar viel Stress!

Menschen leben nicht gut in der Isolation – alleine unter kleinen Kindern fühlt sich das aber oft genau so an.

Wir sind soziale Wesen sind, unser Gehirn braucht soziale Verbindung. Das ist auch einer der Hauptgründe – da gibt es inzwischen spannende Studien – warum junge Eltern so viel im Internet abhängen. Da finden sie ihre Leute und Verbindung, die sie aufgrund der gesellschaftlichen Gegebenheiten mit einem Baby offline gar nicht so leicht finden können, weil die Gesellschaft, die Aufzucht von Kindern an den Rand gedrängt hat: auf Spielplätze, in Kindergärten, in abgeschlossene Räume. Da gibt es diese Tendenz, Kinder einzusperren oder auszusperren, je nachdem, von wo eins guckt, in bestimmte Räume, in bestimmte Bereiche, wo sie sein dürfen. Es gibt tatsächlich kinderfreie Restaurants.

Wie soll ich gelassen sein, während ich alleine mein Kind versorge? Also: Scheiß auf die innere Mitte!

Natürlich lässt sich jeder einzelne Punkt diskutieren und verteidigen. Ich will nur sagen, es gibt eine gesamtgesellschaftliche Tendenz, junge Eltern zu isolieren, junge Eltern alleine zu lassen, was nicht gut für ihre Gesundheit ist. Hinzu kommt die reale, wie wir alle wissen, sehr, sehr reale, unfassbare Arbeit, die ein junger Mensch macht, die dann eben auch bei den wenigen Menschen und in den wenigen Räumen verbleibt, die für Kinder gedacht sind.

Mit „die Gesellschaft“ meine ich übrigens eine westeuropäisch geprägte Gesellschaft. Ich leb ja in Südeuropa, hier ist das schon ein kleines bisschen anders, es ist kulturell sehr unterschiedlich. Verzeit mir meine sehr allgemeinen Aussagen heute!

Ansprüche an überforderte Eltern – Byebye Gelassenheit

Und dann kommen noch unsere Ansprüche dazu. Ich steh da ja drauf. Ich hab den Kompass nicht gegründet, um zu sagen, ist doch wurscht, wie wir mit Kindern umgehen, Hauptsache wir kommen irgendwie durch. Und ich werde regelmäßig beschuldigt, dass ich Eltern unter Druck setzen würde, weil ich diese Ansprüche formuliere. Ich glaube, es wird ganz, ganz schwierig, wenn Ansprüche auf isolierte Menschen treffen, die von der Gesellschaft und von sich selbst die Rückmeldung bekommen, dass sie nicht wertvoll sind – UND die intergenerationale Themen in sich tragen.

Friedvolle Elternschaft ist verknüpft mit Heilung.

Deswegen arbeiten wir ja beim Kompass und den Weggefährt*innen nie nur mit den Ansprüchen, sondern immer mit dem Menschen und deswegen ist friedvolle Elternschaft verknüpft mit Heilung, mit auf sich schauen.

Diese Umstände – und da gibt es ja noch viele weitere – können natürlich total frustrieren und dazu führen, dass Elternschaft unfassbar hart ist. Und die von mir aufgezählten sind ja noch lange nicht alle. Weiter ginge es mit Seximus und Klassismus, aufhören würde es noch lange nicht.

Wie soll ich gelassen sein, wenn Elternschaft so unfassbar hart ist? Also: Scheiß auf die innere Mitte!

All dieser Mist lässt sich nicht voneinerander separieren und es sind total reale Dinge, die ineinander greifen. Das ist frustrierend! Ich könnte mir also sagen: „Ich hab ja gar keine Chance.“ Aber das ist nicht meine Art. Dann könnt ich den Laden wieder dicht machen und einfach hinnehmen, dass Eltern in einer beschissenen Situation leben. Fertig! Will ich aber nicht!!

Ich glaube, als erstes können wir auf diese Idee scheißen, dass wir uns nur persönlich empowern und anstrengen und noch mehr machen müssen und dann irgendwann sind wir die perfekten Eltern, die alles schaffen. Dieses berühmte „alles unter einen Hut bringen“. Scheiß drauf! „Schmeiß den Hut weg!“ würde meine Freundin Lena sagen.

Lass uns zusammen einen unperfekten Schritt nach dem nächsten gehen!

Ich glaube, hilfreicher ist es, wenn ich mir meine moralischen Ansprüche für mein Leben klar mache. Ich bin ein Fan von moralischen Ansprüchen an mich selbst. Und ich finds super mich zu empowern, den nächsten unperfekten Schritt zu machen.

Innere Mitte unter diesen Umständen? Das ist brutal! Das ist gemein zu mir selbst. Wo soll die Gelassenheit herkommen? Da passiert es schnell, dass ich die gesamte Verantwortung für die Veränderung dieser Problematik individualisiere. Und sage, ich muss eben mehr machen, ich muss halt härter an mit arbeiten und wenn ich es nicht schaffe, war ich zu schwach und habe mich nicht genug angestrengt. Das ist so nicht korrekt.

Wie kann ich ein bisschen mehr so leben, wie ich das für mich möchte?

Aber: Ich habe Gestaltungsraum. Ich kann daran arbeiten, dass diese Welt nicht mehr so ist, wie ich sie eben beschrieben hab. Ich kann an meinem Adultismus, an meinem Sexismus arbeiten. Ich kann kleine Schritte machen. Und ich kann mich fragen, was ist denn mein Anspruch? Wie kann ich ein bisschen mehr in die Richtung kommen, die mir gut tut? Die mir ein gutes Gefühl gibt. Von der ich denke, sie führt mich in ein Leben, das ich leben möchte.

Es ist etwas völlig anderes zu sagen, ich muss halt einfach mal mehr meditieren – oder keine Ahnung, was da gerade als der neueste Shit verkauft wird – und dann bin ich immer geduldig mit meinem Kind, oder ob ich mich frage: „Was brauche ich? Wie kann ich mich unterstützen?“ (und ja, manchmal IST das Meditation)

Manchmal hat das radikale Folgen. Es kann bedeuten, dass ich raus muss aus meinem Job. Es kann bedeuten, dass ich raus muss aus dieser Beziehung. Ja, manchmal hat das radikale Folgen. Aber ich mache das nicht für mein Kind und nicht, damit ich die perfekte Mutter oder der perfekte Vater oder die perfekte Begleitung für mein Kind bin, sondern ich mache das für mich. Und damit auch für alle anderen. Das ist miteinander verbunden.

Ich bin überzeugt davon, wenn wir auf uns gucken und radikal den nächsten Schritt machen, der uns gut tut, damit wir ein bisschen mehr in unseren Werten leben können. Dann können wir alles andere auch verändern.

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf möchte ich dich einladen zu unserer Challenge, in der wir genau da reingehen und täglich konkrete, lebenspraktische Tipps geben, wie du wirklich gelassen wirst und nicht mehr irgendwelchen Idealen hinterherjagst.

Ich freu mich auf dich! Klick drauf, es ist komplett kostenlos, wir sehen uns dort.