Was ist, wenn mein Kind Schimpfwörter benutzt? Wenn es mich beschimpft? Wenn mein Kind dem Opa Schimpfwörter an den Kopf schmeißt. Oder der Erzieherin im Kindergarten? Was ist, wenn es Schimpfwörter brüllt und damit ganz offensichtlich provoziert? Was ist, wenn es frech ist? Oder peinlich in der Öffentlichkeit? Wenn sich vielleicht sogar andere Leute davon beleidigt fühlen?

Ich hab da ein paar Ideen für dich:

 

Ich sags dir gleich vorweg, ich hab schlechte Nachrichten für dich:

Es geht um dich, nicht um dein Kind.

Aber fangen wir von vorne an:

Testet dein Kind Schimpfwörter?

Mich erreicht dieser Hilferuf meist von Eltern, deren Kinder so zwischen zwei, wenn sie früh anfangen zu sprechen, und fünf oder sechs sind. Da gibt es so Phasen, in denen die Kinder bestimmte Worte ausprobieren.

Kinder testen Schimpfwörter, das ist ein ganz normaler Lernvorgang.

Lass uns zuallererst, den moralischen Druck rausnehmen und festhalten, dass Menschen Kommunikation lernen müssen. Spracherwerb ist nicht nur das Erlernen von Worten – Kind zeigt auf Blume, sagt: „Blume?“, eine Person, der das Kind vertraut sagt: „Ja, Blume.“, Kind lernt, Sachen, die so geformt sind, sind Blumen – sondern hat auch eine soziale Komponente. In welchem Kontext sind welche Worte angemessen? Und warum ist das so? Was ist Ironie? Wann ist ein Witz witzig und wann nicht? Das braucht lange.

Häufig haben wir die Idee, das Kind kann sprechen, dann muss es all diese Komponenten auch verstanden haben. Das ist nicht unbedingt der Fall. Es hängt super stark vom Kind ab, also davon, wie viel es verarbeiten kann, ob es ein natürliches Gefühl für soziale Zusammenhänge hat oder das erst lernen muss und auch, welcher Lerntyp es ist.

Früher oder später lernen fast alle Kinder, dass es ein paar Worte gibt – gar nicht nur Schimpfwörter -, die eine sehr starke soziale Wirkung haben. Wenn ich Pipi, Kacka, Arschloch sage, passiert irgendwas total interessantes. Kinder sind natürlicherweise Forscher*innen und probieren dann aus, was geschieht: „Ah, ok, wenn ich das in diesem Kontext sage, guckt Papa böse. Wenn ich das in jenem Kontext sage, ist es super peinlich und meine Eltern versuchen, mich davon abzuhalten.“

Ich kann mich gut daran erinnern, dass mein ältestes Kind herausgefunden hat, dass je nach Kontext die interessantesten Dinge passieren, wenn er ganz laut „Penis!“ schreit. Er hat das richtig getestet. Wenn er zuhause „Peeeenis“ geflötet hat, war das beim ersten Mal ein bisschen lustig und beim fünften irgendwie normal. Wenn er im Supermarkt „PENIS!!“ gebrüllt hat, huh jaah, da ist bei mir dann schon ganz schön was passiert. Natürlich hat er das öfter ausprobiert. Ein Kind testet. Es testet alles. Auch Kommunikation.

Wir alle lernen, indem wir Sachen ausprobieren und gucken, was passiert, nochmal ausprobieren, gucken, was passiert, daraus unsere Schlüsse ziehen, nochmal in einem anderen Kontext ausprobieren, gucken, was passiert. Das kennen wir von Babys, wenn sie anfangen, Sachen fallen zu lassen. Die merken: Wenn ich eine Feder fallen lasse, fällt sie langsam. Wenn ich einen Bauklotz fallen lasse, brüllt eine Person und versucht, das gute Parkett zu retten. Offensichtlich gibt es da Unterschiede.

Natürlich machen Kinder das auch mit Sprache. Es ist also überhaupt nicht moralisch. Es ist eine Feststellung: „Interessant, hier passiert was Spannendes, wenn ich das mache.“ Es ist ein ganz normaler Lernvorgang.

Wenn dein Kind gerade Schimpfwörter testet, braucht es Feedback. Zum Beispiel: „Du kannst gerne Pupsflöte zu mir sagen, das stört mich überhaupt nicht, aber deinen Opa hat das gerade total verletzt und ich möchte nicht, dass wir Menschen mit Worten verletzen.“

Da können wir uns vorstellen, wir wären Fremdenführer*in für eine Person, die sich in unserer Kultur oder unserem Heimatdort überhaupt nicht auskennt. Wir würden darauf hinweisen, wenn die Person sich unangemessen verhält, aber wir würden nicht schreien: „Ej, jetzt reiß nicht mal zusammen!“ Sondern wir würden sagen: „Du, komm doch mal eben kurz zur Seite, dass du da gerade deine Füße auf den Tisch gelegt hast, das ist hier überhaupt nicht angemessen, du willst ja bestimmt nicht unangenehm auffallen, deswegen mach das mal lieber nicht.“

Das Kind zu beschämen, weil es Schimpfworte nutzt, hilft überhaupt nicht. Es geht nur darum, kurz Rückmeldung zu geben, was warum unangemessen ist.

Wenn es Dinge sagt, die für mich oder andere absolut nicht in Ordnung sind, kann das Feedback auch entsprechend ausfallen, ich sage gewiss nicht, du müssest immer nur nett sein. Es ist total ok zu sagen „Boah, das ist echt nicht cool! Das verletzt mich richtig, das Wort mag ich gar nicht. Bitte sag wieder Pupsrübe zu mir.“

Was Eltern dann oft befürchten ist, dass Kinder nicht situativ lernen. Menschen – und ja, Kinder sind auch welche – sind aber hochsoziale Wesen, die sich genau merken können, was wann in Ordnung ist und wann unpassend. Und wenn sie das (noch) nicht wissen, müssen sie es lernen. Durch klares Feedback. Immer wieder.

Dem Kind grundsätzlich Schimpfwörter zu verbieten, funktioniert nicht!

Es interessiert sich gerade für Schimpfwörter und sie haben offensichtlich eine starke Wirkung und sind wichtig für das kommunikative Repertoire. Dem Kind zu verbieten, sie zu ntzen, in der Hoffnung, dass es sie in anderen Kontexten auch nicht benutzt, funktioniert nicht. Kannste vergessen. Das kennen wir doch an allen Stellen: Verbotene Früchte sind extra spannend.

Ich möchte da wirklich zu Gelassenheit aufrufen. Ja, es kann nerven, wenn das Kind dich drei Wochen lang Arschi nennt, aber solange dich das nicht übelst triggert, würde ich locker bleiben.

Nutzt dein Kind Schimpfwörter, weil es ihm nicht gut geht?

Wir haben eben festgestellt, es ist ein starkes Kommunikationstool, laut Schimpfwörter zu schreien, die den Eltern peinlich sind, es gibt sofort eine starke Reaktion. Dh es kann eingesetzt werden, wenn das Kind auf seine Bedürfnisse aufmerksam machen möchte, wenn es erstmal braucht, dass ihm zugehört wird, es Aufmerksamkeit benötigt.

Schimpfwörter können ein unerfülltes Bedürfnis des Kindes aufzeigen.

Es kann auch darum gehen, dass das Kind sich gekränkt fühlt in seiner Integrität, dass wir etwas gemacht haben, was für das Kind nicht in Ordnung war und das Kind protestiert, indem es mit Schimpfwörtern um sich wirft oder auch haut. So ein Verhalten wird gern als „Provozieren“ gelabelt, das find ich nicht ok, es ist viel mehr das Hinweisen auf unerfüllte Bedürfnisse. Und unsere Aufgabe als Erwachsene besteht darin, es zu übersetzen.

  • Was steht hinter dem Verhalten?
  • Was ist da los?
  • Was braucht das Kind?

Der erste naheliegende Verdacht: Es braucht unsere Aufmerksamkeit!

Ich bin kein Fan davon, einer Person, die ein starkes Bedürfnis hat, dieses nicht zu erfüllen. Das ist unser Job! Ich versteh den Spruch „Das Kind will ja nur Aufmerksamkeit.“ überhaupt nicht. Ja, wenn es nur Aufmerksamkeit braucht, dann gib sie ihm. Dann braucht es nicht andere Menschen zu verletzen, dann braucht es keine Grenzen zu überschreiten.

Es ist dein Job, für dein Kind da zu sein!

Wenn es denn irgendwie geht. (Wenn es mal nicht geht, ist es natürlich doof, aber auch das ist in Ordnung.)

Also was ist da los? Das kann hunger, müde, Pipi, doof sein, es kann aber auch sein, dass die persönlichen Grenzen deines Kindes überschritten wurden. Vielleicht dachtest du, es wäre eine gleichberechtigte Verhandlung gewesen, dass ihr nur noch 20 Minuten fernseht, dein Kind hat aber eigentlich nur zugestimmt, weil es weiß, dass du das gern hören wolltest. Als es dann soweit war, den Fernseher auszustellen, wirft es dir Schimpfworte an den Kopf als Protest.

Das kann eine sehr unangenehme Rückmeldung darüber sein, dass dein Kind dir nicht vertraut und deswegen nicht offen protestiert, sondern auf diese Weise.

Schimpfwörter können eine Form des Protests deines Kindes sein.

Nochmal zusammengefasst:

Dein Kind wirft mit Schimpfworten um sich? Mit den Schimpfwörtern brauchst du dich nicht weiter befassen. Geht es deinem Kind nicht gut? Braucht es deine Aufmerksamkeit? Wurden seine Grenzen übergangen? Oder erforscht es gerade schlicht Kommunikation? Je nach dahinter liegendem Bedürfnis braucht es unterschiedliche Lösungen.

Wie geht es DIR?

Jetzt kommt die unangenehme Wahrheit: Meistens, wenn uns ein Thema ernsthaft beschäftigt, hat es was mit uns selbst zu tun. Das ist eine Faustregel, die du definitiv übernehmen kannst.

Wenn dich die Schimpfwörter deines Kindes so sehr pieksen, hat es mit dir zu tun.

Natürlich will ich damit nicht sagen, dass es toll ist, beschimpft zu werden. Aber gerade, wenn das Kind dich immer wieder mit Schimpfwörtern betitelt und dich das so richtig nervt, lohnt es sich, darauf zu schauen. Vor allem weil es die wichtigste Gewaltprävention ist, die wir im Moment haben. Wenn das Kind dich heftig antriggert, wenn da Wut, Hilflosigkeit oder Traurigkeit kommen, kann ich folgendes empfehlen:

Schau nach einer solchen Situation auf sie zurück. Wenn du schon Übung hast, weil du zB schon länger bei den Weggefährt*innen bist oder therapeutische Hilfe hast, klappt es vielleicht auch direkt in der Situation. Aber das ist wirklich schwer, versuch es also lieber erstmal hinterher. Du schaust dir also die Situation an und überlegst:

  • Was ist mir da durch den Kopf gegangen?
  • Was ist da eigentlich GENAU passiert?
  • Was habe ich GENAU gedacht?
  • Wie habe ich reagiert?

Vielleicht hast du gedacht: „Boah ist das peinlich, jetzt denken alle anderen, ich bin ein scheiß Elternteil, oh Gott, der da hinten guckt mich schon so an!“

Wir merken, es hat nichts mit dem Kind zu tun. Es hat mit unseren Gedanken zu tun, mit unserem Gefühl, mit unserem unerfüllten Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Anerkennung.

Vielleicht hast du gedacht: „Oh Göttin, wenn mein Kind jetzt schon so redet, dann wird es irgendwann ein richtiges Rotzblag und kann überhaupt keine Rücksicht auf andere Menschen nehmen.“

Du projezierst also eine Angst in die Zukunft. Angstgedanken sind der Nährboden für erzieherische Handlungen, deswegen kann ich dir nur empfehlen, solche Gedanken sehr ernst zu nehmen, dir den Raum zu lassen, die Gefühle durchzufühlen und zwar außerhalb der Situation. Das hat nichts mit deinem Kind zu tun, das sind deine Fantasien, das sind vielleicht auch deine Erfahrungen. Vielleicht durftest du selbst keine Schimpfwörter sagen, vielleicht hattest du Angst es zu probieren. Vielleicht ist da ein Schmerz bei dir.

Was auch immer hoch kommt, ich empfehle dir, es aufzuschreiben, ohne abzusetzen, und ohne dich zu zensieren. Und dann guckst du dir das Geschriebene ganz in Ruhe an.

Was macht das mit mir? Welche Gefühle kommen hoch?

Sitz einfach mal zwei Minuten da mit deinen Gefühlen.

Bewerte sie nicht. Negiere sie nicht. Rede sie nicht klein und schiebe sie nicht weg. Nimm dir einfach nur den Raum, deine Gefühle wahrzunehmen. Ohne eine Lösung zu suchen.

Es geht darum, zu verstehen, dass es deine Themen sind, die sich da zeigen. Und sobald du die Verantwortung für sie übernimmst und von da aus guckst, was du in dem Moment brauchst, wie du wertschätzend reagieren könntest, wie du dich unterstützen könntest in dieser Situation, bist du weg vom Kind und den Schimpfwörtern. Und genau dann ist es oft so, dass dein Kind sein Verhalten von selbst verändert. Ich geb dir keine Garantie, es geht hier nicht um Funktionieren, aber ich empfehle dir, es auszuprobieren.

Es ist Magie. Probier es! Du wirst merken, es macht einen riesigen Unterschied.

Ich wünsch dir noch einen wunderschönen Tag und ganz viel Freude beim Ausprobieren.