„Milch! Bring mir jetzt GEFÄLLIGST endlich ein Glas Milch!!“
„Nö! So nicht! Sag das nochmal freundlich, sonst mach ich GAR nix mehr für dich! Ich bin doch nicht deine Dienerin!“
Es gibt so Kinder, die offensichtlich sehr genau wissen, was sie wollen, was sie nicht wollen und wie sie das wollen. Und Kinder, die das sehr genau einfordern. Und manchmal keimt daraufhin der Gedanke in den Elternhirnen auf, das Kind sei undankbar.
Voilà, Video:
Es sind die Gedanken über unsere Kinder, die friedvoller Elternschaft im Weg stehen. Du bist nicht weniger friedvoll, weil du irgendwie doof bist oder weil dein Kind irgendwelche Kriterien nicht erfüllt oder weil deine Umstände sie nicht erfüllen, sondern deine Gedanken sind es, die zwischen dir und friedvoller Elterschaft stehen.
Ich glaube, die Idee vom undankbaren Kind kann wie eine Mauer da stehen und ich möchte dich heute herausfordern, sie zu hinterfragen.
Dieses sehr klar einfordernde Verhalten von Kindern, die genau wissen und sagen, was sie fühlen und brauchen, passt nicht zu unserer Kultur der Höflichkeit, die darin besteht, eben gerade nicht direkt zu sagen, was ich brauche.
Ich halte diese Art von Höflichkeit für sehr ungesund. Klar kann ich respektvoll mitteilen, was ich brauche und freundlich um die Erfüllung bitten, aber wir können die Bürde dessen, was wir da gelernt haben, nicht unseren Kindern aufdrücken, indem wir von ihnen verlangen, in einer bestimmten Art und Weise zu sprechen und zu sein.
Ist es wirklich eine gute Idee, von meinem Kind einen bestimmten Tonfall zu verlangen? Deine Antwort kann dann natürlich „Ja.“ sein, weil es für dich nicht ok ist, wenn dich dein Kind anschreit, dass es jetzt ENDLICH los will. Genau das ist dann der Punkt, an dem ich dich einladen möchte, genau hinzuschauen.
1. Gedanken reframen
Gibt es noch eine andere, beziehungsorientiertere Möglichkeit zu sehen, was da gerade passiert? Gibt es einen anderen Blickwinkel?
Einer wäre: Dein Kind weiß genau, was es braucht und will, das ist eine sehr gesunde Sache. Es gibt viele Erwachsene, die das nicht (mehr) wissen, denn unter diesem Höflichkeitszwang sind viele Menschen groß geworden und können daraufhin ihre Gefühle und Bedürfnisse nicht mehr wahrnehmen.
Hast du noch andere Ideen?
2. Wie äußerst DU deine Bedürfnisse?
Diese Aufregung, dass eine andere Person stark und deutlich sagt, was sie braucht, hat oft viel mehr damit zu tun, wie wir selbst mit unseren Bedürfnissen umgehen.
Nun denkst du vielleicht: „Das hilft mir echt überhaupt nicht, Ruth. Mein Kind brüllt nun mal nach der scheiß Milch und ich find das ätzend, wie es mit mir umgeht!“
Ich behaupte, es hilft dir doch. Es hilft dir, darauf zu gucken, wie DU das machst. Was hast DU gelernt? Was machst DU, wenn du etwas brauchst? Gehörst du zu den Leuten, die – so wie ich – überhaupt nicht gelernt haben, ihre Bedürfnisse auszudrücken?
Ich konnte lange Zeit nicht direkt sagen, was ich wollte, sondern habe stattdessen hintenrum und um fünf Ecken verschlüsselt gesagt, was ich mir möglicherweise wünsche. Und war dann furchtbar beleidigt, wenn mein Mann mich nicht verstand.
Wie machst du das? Wie drückst du deine Bedürfnisse aus?
3. Wie gehst du mit dir selber um?
Ich glaube, dass es bei Gedanken wie „Mein Kind soll dankbar, liebevoll und wertschätzend sein.“ um deine eigenen Bedürfnisse geht. Deine Bedürfnisse zu erfüllen, ist aber DEIN Job, nicht der deines Kindes. Die Verantwortung dafür liegt ausschließlich bei DIR, du bist erwachsen.
Dein Kind ist nicht dafür da, dass du dich geliebt, gesehen und gewertschätzt fühlst!
Und deswegen schlage ich dir vor, dass du guckst, wie du dir dein Bedürfnis erfüllst, ohne dass dein Kind das tun muss. Ich weiß, das ist herausfordernd. Mir war es geradezu peinlich, dass mich der Gedanke „Ich bin nicht deine Dienerin!“ so wahnsinnig aufgeregt hat. Unangenehme Gefühle aushalten, ohne andere dafür verantwortlich zu machen, ist echt schwer.
Was steckt hinter diesen fiesen Gedanken? Ich bin lange Zeit sehr schlecht mit mir selbst umgegangen. Ich hab Sachen gemacht, weil ich dachte, „dass man das so macht“. Ich war nicht liebevoll zu mir, ich war mir selbst nicht dankbar. Und dann kommt da mein dreijähriges Kind und verlangt deutlich nach seiner Milch und ich reg mich darüber auf, dass es nicht dankbar ist? Woher soll es das denn gelernt haben, liebevoll und respektvoll mit mir umzugehen? Tu ich das? Leb ich das vor? Bei mir war die Antwort lange nein.
Das sind die Punkte, von denen aus du neu in Beziehung gehen kannst.
Meine Tochter ist jetzt nicht weniger temperamentvoll, sie „funktioniert“ nicht besser, aber ich kann anders mit ihr umgehen, wenn sie nach ihrer Milch schreit. Und diese Ruhe wünsch ich dir auch. Es geht mir nicht darum, dass du applaudieren sollst, wenn dein Kind dich anschreit, ich finds völlig in Ordnung zu sagen „Find ich uncool, sprich bitte anders mit mir.“ Mir geht es um das Dahinter. Schau hinter das, was du glaubst, hinter deine Überzeugungen, hinter das, was du über andere denkst.
Friedvolle Elternschaft bedeutet unsere Kinder in Ruhe zu lassen mit unserem Drama!
Und unsere Dramen endlich ehrlich anzuschauen. Das ist nicht peinlich, wir alle haben unsere Dramen, die Beachtung brauchen. Ehrlich!
Hol dir Hilfe! Sprich mit anderen, such dir eine Beratung, geh in eine Therapie, komm zu den Weggefährt*innen und schau dir deine Themen zusammen mit uns an. Niemand kommt da von alleine so einfach raus.
Wow, danke liebe Ruth, das war mal wieder absolut eye-opening! Die Erkenntnis, dass meine Kinder eben genauso mit mir umgehen, wie ich selbst, ist ziemlich schmerzhaft, aber erhellend
Wow! Dieser Artikel ist einfach genial… Gnadenlos ehrlich und du hast „leider“ so recht.
DANKE für so viel Hilfe zur Selbstreflektion.
Menno, Ruth. Wie machst du das bloß, dass du IMMER genau DAS Thema betrachtest, das bei mir auch gerade obenauf liegt… Wie jedes Mal, so ist es auch heute sehr hilfreich undcich fahre gerade mit einem wunderbar warmen Gefühl (und Mitchell Zug :)) von der Arbeit nachhause. Danke 🙏🏼
Ich hatte eine cholerische Mutter, die aus dem Nichts heraus, für mich unvorhersehbar, regelmäßig angeschrien hat. Meine Tochter schreit auch manchmal, für mich nicht ersichtlich, drauf los. Oder ein Neeeiiiin! ins Gesicht. Booooah, da werd ich echt aggressiv und fühl mich sooo angegriffen
Genau unser Thema. Toller Post.
Aber was, wenn ich auch wenn ich in meiner Mitte bin und lieb darum bitte, ein einem netteren Ton mit mir zu reden, das nicht angenommen wird, sondern weiter in dem unfreundlichen Ton kommuniziert wird? Ich kann es teilweise 5 mal freundlich sagen, dass ich nicht angemotzt werden möchte, es ändert sich nichts. Und ja, dann bin ich auf der Palme. Bin offen für alle Antworten!
Hallo Susi,
wie alt ist dein Kind? Bei meinem großen (5),frage ich ihn, wie er sich fühlen würde, wenn ich so mit ihm reden würde. Oder ob er eine Möglichkeit sieht es netter auszudrücken. Beim kleineren (3) guck ich, ob er sehr müde/hungrig/whatever ist, dann spar ichs mir und ansonsten sage ich ihm wie ich gerne gefragt werden möchte.
Toller Artikel. Danke. Ich finde zusätzlich darf man auch im Empfinden haben, dass wir oft mitm Reden etwas mehr Übung haben.( ich zumindest kann viel, lange und zu wirr reden 😉 )
Ich denke für einige Kinder ist es oft auch einfacher wenn kurze laute Sätze gebildet werden.
Ein Beispiel, mein Sohn ist 3,5 und wenn sich Lego Steine nicht lösen schreit er ein durchdringendes „mach aaaaaaab“.
Er ist in dem Moment so inner Not weil er nicht weiter bauen kann und das ist eine kurze deutliche Art und Weise schnell Hilfe zu bekommen. Wenn er sich konzentrieren würde ginge auch ein vollständiger, höflicher Satz, aber sei ihm doch die Einfachheit gegönnt 🙂
Ja, guter Hinweis! danke!
– Ruth
Hallo Ruth,
ich bin neu auf deine Seite gestoßen und finde sie sehr interessant. Das
Mein Sohn ist 3 und 2 Monate und schreit und singt oder macht allgemein Quatsch am Esstisch. Wir können ihn freundlich und authentisch usw bitten leiser zu sein, weil wir uns alle doch unterhalten wollen
Es widerstand mir bisher, aber jetzt habe ich gedacht es reicht jetzt und ich sage ihm, dass ich ihn sehr gerne bei uns am Tisch habe, aber wenn er nicht aufhört zu stören, dann kann er nicht am Tisch bleiben. Wenn er nicht essen will, kann er spielen gehen.
Ich würde das gerne als Option verkaufen, muss aber zugeben, dass es eigentlich eine Strafe geworden ist bzw Bedingung weil ich in dieser Situation keine Geduld mehr habe.
So wie ich das verstanden habe, bin ich das Problem, aber „müsste“ ich dann den Krach am Esstisch leiden? Und so geht es mir mit einigen Situationen, wo reden nicht hilft, und ich dann letztlich einfach aufgeben müsste, aber dass kann’s ja auch nicht sein. Thema: Windeln wechseln, Schlafi anziehen, Hände waschen etc.
So, jetzt Ist es aber lang geworden. 🙂 liebe Grüße
Krass. Du beschreibst meine mittlere Tochter (bald 6) und mich haargenau! Danke…
Mir widerstrebt es schon ganz lang, unseren Kindern einen bestimmten Tonfall vorzugeben oder auch Satzphrasen, die sie in bestimmten Situationen sagen sollen („Danke“, „Bitte“, „Entschuldigung“).
Aber der Tonfall, mit dem meine Tochter Dinge einfordert oder verlangt, der lässt mich immer wieder zusammenzucken. Erster Eyeopener war unser sehr empathischer Kinderarzt: Meine Tochter ist sehr zart, mit blonden Löckchen und großen blauen Augen. Typ süßes Mädchen. Und da sagt der Arzt zu mir: Das beste, was Ihrer Tochter passieren kann, ist ihr starker Wille, das integere Gefühl für die eigenen Bedürfnisse und eine sehr klare, unmissverständliche Art, auszudrücken, was sie möchte oder eben nicht. Sonst geht sie unter.“
Stimmt, also bin ich dankbar, dass sie so klar kommuniziert.
Aber kann sie denn nicht auch klar und gleichzeitig freundlich kommunizieren?
Und da hast Du das fehlende Puzzlestein geliefert; Wenn ich wirklich etwas will, habe ich mir angewöhnen müssen, das manchmal in chaotischen Situationen auch sehr, sehr deutlich zu sagen, um gehört zu werden: „Ich will xy jetzt von Dir. Das ist mir wichtig.“
Als Vorbild auch nicht wirklich „nett“ oder im alltäglichen Verständnis „höflich“…
Und noch tiefer geht die Erkenntnis, dass meine Kinder nicht zuständig sind, mein Bedürfnis nach Geliebt-werden, nach Gesehen-werden etc. zu erfüllen.
Tatsächlich erleben meine Kinder im Alltag nie, dass auch ich Bedürfnisse habe, die ich mir selbst erfülle: lieb sein zu mir, mal ne kurze Pause machen auf dem Sofa…
Danke für das „neue“ Framing, ich freue mich auf die nächste Situation à la: „Bring. Mir. Jetzt. Meine. Schuhe!“ Möglicherweise macht mir das dann nicht mehr so viel aus mit dieser neuen Sichtweise… 🙂
Und wenn doch? Wenn der Tonfall sehr schreiig und unfreundlich ist und mir trotzdem was ausmacht, wäre es dann eine Möglichkeit, meine Tochter nicht zu verbessern oder ihren Wunsch erst zu erfüllen, wenn sie es „richtig“ gesagt hat, sondern einfach festzustellen: „Huiui, so wie Du das sagst, zuck ich richtig zusammen…“?
Liebe Grüße
Steffi
Hallo Ruth,
Ich würde gerne was los werden zu diesem Thema.
Meine Tochter spricht ab und zu in einem „befehlenden“ Ton mit uns oder wenn sie gerade unausgeglichen ist kann sie auch mal nach etwas „schreien“.
Für meinen Freund und mich ist das kein Problem und wenn es uns zu viel wird sagen wir ihr das eben (so wie du auch oben erwähnst).
Nun hat sie allerdings auch mit meiner Mama ein paar mal so gesprochen als wir bei ihr wohnten und die geht jetzt absolut auf die Barrikaden. Wenn ich ihr dann sage, dass es doch total ok ist wenn sie unserer Tochter dann mitteilt, dass sie das unangenehm findet reicht ihr das nicht. Für sie ist es ein elterliches Versäumnis, dass wir ihr hier keine „generelle Grenze“ setzen und sie ermahnen wenn nicht freundlich (mit anderen) spricht. Sie ist die Stimme die mir nun ständig sagt „dein kind werden bald alle unsympathisch finden“ „es wird nicht aufhören so zu reden wenn ihr das Verhalten ignoriert“ usw.
Ich fange deshlab nicht an zu zweifeln vor Allem weil ICH ja kein Problem mit dem Verhalten unserer Tochter habe, aber ich weiß noch nicht wie ich damit Umgehen soll wenn andere Menschen involviert sind. Ich überlege schon länger, ob die Menschen in meiner Umgebung (wie meine Mama) es mir übel nehmen wenn ich quasi nicht für IHRE Grenzen einstehe in Bezug auf meine Tochter und es belastet mich schon ein wenig.
Verstehst du mich und hast vielleicht einen Tipp?
Liebe Grüße!
Ich verstehe das, ja. Ich würde da empathisch mit deiner Mutter sein, ohne dass du das Kind in ihrem Namen gängelst (was vermutlich eh nicht funktioniert). Es klingt als wäre sie in großer Not!
– Grüße, Ruth