Du hast schlecht geschlafen, bist auf ein Legoteil getreten und der Kaffee ist leer. Nicht die besten Voraussetzungen. Und jetzt hat dein Kind gerade den Restmüll, der schon seit vorgestern überquillt, in der Küche ausgekippt. Du kochst innerlich!

Willst du lieber gucken und hören, als lesen? Das geht auch:

Eines der größten Hindernisse im friedvollen Umgang mit unseren Kindern ist, dass wir nicht gelernt haben, in bestimmten Emotionen friedvoll mit uns selbst umzugehen.

Das, was wir eigentlich nicht mehr machen möchten, passiert vor allem dann, wenn starke sog. negative Emotionen oder von uns als negativ angelernte Emotionen über uns hereinbrechen.

Was kann mir helfen, meinen Werten entsprechend zu handeln, wenn mich starke Gefühle überfluten?

Schon mal vorab: Es gibt keinen Shortcut. Es gibt keine schnelle Veränderung. Es braucht Zeit, bis du deine eingefahrenen Muster verändert hast.

Es gibt hier Ideen, die du umsetzen kannst, um Schritt für Schritt konstruktiver und friedvoller zu werden. Du kannst sie in allen Situationen (auch mit großen Menschen), in denen dir nur gewaltvolle Alternativen einfallen, in denen du hilflos, verzweifelt, traurig bist, ausprobieren.

1. Atmen

Was du immer tun kannst: Atmen!

Toller Tipp, denkst du dir? Atmen machst du sowieso die ganze Zeit? Das braucht dir niemand empfehlen?

Wenn man mich fragen würde, was mir auf meiner wahnsinnigen Reise zu dem vertrauensvollen Verhältnis zu meinen Kindern am meisten geholfen hat, wäre die Antwort klar und schlicht:

Atmen. Das ist das ganze Geheimnis. Tief durchatmen.

Und ich war eine abwertende, verzweifelte Mama, die ihre Kinder angeschrien und geferbert hat.

Atmen hat mir geholfen und hilft auch dir, Zeit zu gewinnen. Wenn dein Gehirn durch die starken Emotionen – Wut, Hilflosigkeit, Angst -, im Notfallmodus arbeitet, kannst du nur noch reagieren. Wenn du dir durch Atmen Zeit gibst, verlässt du diesen Zustand wieder, den kann dein Gehirn nämlich nur kurz aufrecht erhalten.

Außerdem versorgst du dein Gehirn mit Sauerstoff, dein Hormonhaushalt wird wieder ausbalanciert, dein hoher Cortisolspiegel wird runtergefahren.

Versuche Zeit zu gewinnen durch tiefes Durchatmen.

Zurück zum ausgekippten, stinkigen Müll: Willst du gerade was Blödes sagen oder tun?  Schwer dem zu widerstehen, oder? Aber wenn du es nur wenige Sekunden schaffst, wenn du nur wenige Sekunden lang die Wut durch deinen Körper ziehen lässt und dabei atmest, vergeht dieser Drang.

Wie wäre folgender Deal? Du darfst alles sagen, was du willst, aber vorher zählst du langsam bis 30. Ich wette, dass du dich danach viel friedvoller ausdrücken kannst.

Langsam und bewusst atmen: Das kannst du üben. Am besten außerhalb von Stresssituationen einfach mal fühlen wie ein tiefer Atemzug durch deinen ganzen Körper fließt. Das ist kein Hexenwerk und geht ganz schnell!

2. Gefühle benennen

Versuche die Gefühle, die du spürst, zu benennen. Brené Brown nennt das Emotional Literacy. Das fällt erstaunlich vielen Menschen schwer. Also wieder etwas, was Übung bedarf.

Ich bin wüüüüütend! Ich fühl mich total unwohl, weil es hier stinkt und dreckig ist und ich fühl mich hilflos, weil ich gar keine Idee hab, wie ich dieses Chaos wieder beseitigen soll. Ich bin doch so müde. Aahhhhhh!

Allein wahrzunehmen und auszudrücken, was du fühlst, erfüllt dir das Bedürfnis nach gesehen werden und Wertschätzung. Ohne Rechtfertigung, ohne Schuld. Es reicht, wenn du dir das selbst erzählst – leise oder laut -, dein Kind braucht da gar nicht involviert sein. Das kannst du ganz allein für dich machen. Du kannst dir diese Bedürfnisse selbst erfüllen.

Erfüllte Bedürfnisse führen zu friedvolleren Eltern.

Je mehr du darauf achtest, wie es dir gerade geht, je stärker du darauf achtest, Worte für deine Gefühle zu finden, einen Ausdruck für sie zu erlernen, desto mehr nimmst du dich wahr und zeigst dir

  • Ich bin wichtig.
  • Meine Emotionen sind wichtig.

Und desto weniger brauchst du dich mit Schuld und Scham und destruktiven Gedankenkonzepten zu beschäftigen.

3. Was ist gerade jetzt?

Versuche herausfinden: Was IST gerade? Und nicht, was sollte sein.

Häufig kommen diese starken Gefühle, wenn du gegen die Realität kämpfst. Wenn du im Konjunktiv sprichst, bist du damit beschäftigt, dagegen anzukämpfen, was schon da ist.

In der vermüllten Küche, denkst du vielleicht folgendes: Könnte mein Kind nicht e i  n m a l nachfragen, bevor es anfängt, Experimente zu machen? Könnte mein*e Partner*in nicht e i n m a l den Müll rechtzeitig rausbringen? Könnte ich nicht e i n m a l früher ins Bett gehen, damit ich endlich mal frisch aufwache?

Es ist schon passiert. Du bist schon müde. Es ist schon da und unangenehm. Die Küche ist schon voller Müll und dein Kind sitzt mitten drin. Das wahrzunehmen und anzunehmen, ist häufig deutlich schwieriger, als es sich anhört. Aber genau das kann dir helfen, Lösungen zu finden.

Vielleicht erkennst du, du bist müde und sauer und überfordert und kannst jetzt auf keinen Fall eine perfekte Lösung finden, keine Kraft da. Dann ist das so. Ich bin kein Fan von Zusammenreißen und nett sein! Wenn du anerkannt hast, wie es gerade um dich steht, dann kannst du anfangen, deine persönliche, UNPERFEKTE Lösung zu finden.

4. Finde Handlungsalternativen

Überlege dir Handlungen, an die du vorher noch nicht gedacht hast. Dafür brauchst du Offenheit und Mut, um dieses ‚Das macht man aber so!‘ hinter dir zu lassen. Fühl deine Widerstände! Wütet da ein Feuerwerk an Angst und Misstrauen in dir?

Wo genau ist es schief gegangen? Was kann ich nächstes Mal anders machen?

Kreatives Denken funktioniert nur außerhalb der Situation.

Wenn dein Kind also schon im Restmüll sitzt und sich das Öl vom gebrauchten Backpapier in die Haare schmiert, ist es zu spät. Da hilft dir atmen mehr, aber später kannst du deine Ideen sprudeln lassen.

  • Könnt ihr einen Putzplan etablieren? Vielleicht sogar eine Haushaltshilfe engagieren oder Freund*innen fragen, ob ihr abwechseld beieinander und miteinander putzt? Dann ist der Müll vermutlich öfter geleert und das Lego eingeräumt.
  • Hast du schon eine App für die Einkäufe, auf die alle Familienmitglieder zugreifen können? Das erhöht vielleicht die Wahrscheinlichkeit, dass immer Kaffee im Haus ist.
  • Kannst du deinem Kind gezielt Möglichkeiten zum Experimentieren bieten? Es gibt so tolle Schleimrezepte! Dann kann es vielleicht beim nächsten Mal noch kurz an sich halten, bevor es den stinkigen Restmüll inspiziert.
  • Kannst du dir während des Tages statt in der Nacht Zeit nehmen, um das zu machen, was du sonst nachts machst? Dann kannst du vielleicht öfter mal mit deinem Kind zusammen schlafen gehen und nachts nicht mehr so lange wach bleiben.

Es gibt keine perfekte Lösung, sondern nur Möglichkeiten, Ausprobieren, Verhandeln, vorwärts Stolpern. Einmal von zehn Malen wirst du deine eingefahrenen Muster verändern können und dann zwei Mal. Veränderung braucht Zeit.

Wenn du Bock auf Leute zum gemeinsamen Überlegen hast, tritt den Weggefährt*innen bei und finde einen ganzen Ideenpool.

5. Stelle dir die ganz großen Fragen

Du wirst an deinem letzten Tag niemals da sitzen und denken: Hätte ich meinem Kind damals doch bloß das fünfte Eis verboten. Hätte ich ihm doch bloß öfter gesagt, es solle fünf Minuten warten.

Wir werden uns nicht an diese Kleinigkeiten, diese kleinen Kämpfe erinnern, wir werden uns an Beziehung erinnern. Wir werden die Qualität von Beziehung an der Menge an Menschen, die an unserem Sterbetag um uns herum sind, bemessen.

Beziehung ist das, was die Qualität unseres Lebens trägt.

Es lohnt sich also, zu fragen: Ist es das jetzt gerade wert? Was sind die Werte, nach denen ich leben will? Und ja, die stehen oft miteinander im Konflikt. Die Antwort kann selbstverständlich trotzdem sein: ‚Ja, ich will das jetzt durchsetzen.‘

Es geht nicht um die perfekte Lösung, sondern um die mir beste Möglichkeit in diesem Moment. Die kann unperfekt sein, vielleicht merkst du auch schon im nächsten Moment, dass sie scheiße war und bedauerst sie. Das ist ok und zeigt deine Entwicklung.

Was beim Rauszoomen aus den kleinen Konflikten ersichtlich wird: Wenn Drama entsteht, wenn Machtkämpfe und Destruktives entstehen, dann geht es um dich, um deine Werte, deinen alten Schmerz und darum, was du wirklich willst im Umgang mit deinem Kind.

Kurzfristig ist es unangenehm, sich mit altem Schmerz zu befassen und eigene Werte zu hinterfragen. Da scheint es einfacher, eine perfekte Lösung für alle Lebenslagen parat zu haben, ‚Mach einfach immer genau das!‘. Aber langfristig überlebt keine Beziehung über längere Zeit Rezepte und Verhaltensanweisungen.

Beziehungen sind lebendig, sie sind voll von moralischen Konflikten und Fragen, voller Fehler, Offenheit und Verletzlichkeit. Und das ist das, was zählt. Am Ende zählt nicht, OB du geliebt hast oder OB du dein Bestes gegeben hast, sondern WIE.

Woran kannst du heute deine Werte, deine Liebe, das, was dir wichtig ist, erkennen?

Bild von Allinoch auf Pixabay.