Ich war nur eine Sekunde in der Küche. Echt. Länger war das nicht. Und jetzt ist die Wohnzimmerwand voll pinker Wasserfarbe. Na herrlich! Und jetzt?

Ich bin kein Fan vom Schimpfen. Dass ich da nicht drauf stehe, weißt du spätestens seit diesem Artikel. Und hier hab ich auch darüber geschrieben. Deswegen geht’s heute nur darum, was du statt des Schimpfens machen kannst.

Wenn du lieber Videos guckst, als zu lesen, voilà:

 

Schimpfen. Was ist das?

Einmal ganz kurz: Schimpfen ist meiner Definiton nach etwas, das ich mache, um mein Kind (oder jede andere Person) zu bestrafen. Ich möchte, dass sich mein Kind schlecht fühlt, damit es zukünftig die Wohnzimmerwand in Frieden lässt. Ich wirke also im Nachhinein auf mein Kind ein, damit es anders wird. Ich habe ein Ziel, an das ich mein Kind anpassen will. Ich will es passend machen. Zurechtstutzen.
Das Problem daran ist, ich objektiviere mein Kind dadurch. Es ist dann kein Subjekt mehr, seine menschlichen Qualitäten gehen verloren. Es wird zum Objekt. Ich nehme es also nicht mehr als Gegenüber wahr, mit dem ich in einen Dialog trete, sondern als etwas, das ich formen kann. Das nennt sich Objektivierung. Und es ist eine der Grundlagen von Gewalt. In dem Moment in dem jemand nicht mehr Mensch sondern Objekt ist, muss ich mich auch nicht mehr an die ethischen Grundregeln gegenüber Menschen halten. Das, needless to say, ist ein Problem.

Was mach ich, wenn ich das Schimpfen lassen will?

Schimpfen ist doch Mist! Will ich nicht. Aber eine pinke Wand gefällt mir auch nicht. Was also tun? Ich habe ein paar Ideen. Übrigens, nix davon ist schnell und einfach. Aber ja, es ist möglich.

Als ich aufhörte zu schimpfen kam es mir total unmöglich vor, etwas anderes zu tun. Was tue ich denn, wenn mein Kind Mist gebaut hat, ohne zu meckern, abzuwerten usw? Muss ich etwas tun? Und wie gehe ich damit um, dass ich die Sache, die das Kind gemacht hat, nunmal scheiße finde und nicht happy ‚alles fein, mein Herz‘ flöte?

Ich hab das mehrere Jahre ausprobiert. Ja, Jahre. Weil alte Neuronalstraßen nunmal ein bisschen brauchen, bis sie überschrieben sind. Aber du hast Glück, ich habe dir ein paar Grundlagen zusammengeschrieben, so dass du vielleicht nicht ganz so lange brauchst.

1. Nimm dir Zeit

Die Wand ist bereits pink, die blöde Sache ist passiert. Es ist also zu spät, sie zu verhindern. Wunderbar. Denn jetzt hast du Zeit. Nimm sie dir. Nimm dir Zeit, um dich zu beruhigen. Nimm dir Zeit, deine Wut anzuerkennen. Nimm dir Zeit, mit einer anderen Person zu sprechen.

Ganz in Ruhe kannst du überlegen, was du warum und wie tun willst.

So ist die Wahrscheinlichkeit viel größer, dass deine Worte und dein Handeln konstruktiv sind und euch beiden helfen.

Sich diese Zeit zu nehmen, ist deswegen so entscheidend, weil es deinem Gehirn Raum gibt, sich abzuregen und neue Ideen zu entwickeln. Gegen Wut hilft vor allem, ihr Raum zu lassen und zu fühlen, was da ist. Du brauchst diesen Raum, um wieder reflektiert nachdenken zu können. Je mehr Zeit du hast, desto größer die Chance, dass du deinem Kind wieder von einem inneren Ort aus begegnen kannst, der deine Werte beinhaltet.

2. Finde deine Intention heraus

Bevor du irgendwas tust, finde heraus, was deine Intention ist.

  • Was will ich?
  • Was ist mein Ziel?
  • Worum geht es mir?

Wenn du bisher geschimpft hast, macht es Sinn, dir zu überlegen, warum und was du stattdessen willst. Eine Sache bleiben lassen, ist einfacher, wenn an ihre Stelle eine neue Intention kommt. Willst du deinem Kind etwas erklären? Herausfinden, was passiert ist, dass es so reagiert hat? Oder dich mitteilen?

Je klarer dir ist, warum du in den Kontakt treten willst, desto authentischer kannst du das tun.

3. Gib Informationen

Du gehst davon aus, dass dein Kind gar nicht wusste, dass sein Handeln unangmessen war? Es hatte keinen blassen Schimmer, dass du Wasserfarbe nur auf dem Papier haben willst?

Das kann gut sein. Besonders dann, wenn dein Kind noch klein ist oder sich in einer neuen Umgebung befindet. Ich sehe mich manchmal als Fremdenführerin meiner Kinder. Ich versuche ihnen wichtige Informationen vorab zu geben, aber das klappt nicht immer. Wenn dann was schief läuft, berichte ich selbstverständlich, was stattdessen angemessener gewesen wäre.

‚Ich will wirklich ganz dringend, dass unsere Wände knallgelb bleiben. Bitte male mit der Wasserfarbe auf Papier.‘

‚Ich möchte nicht, dass du haust, wenn du ein Problem lösen willst. Was könntest du stattdessen machen?

Das Ding ist aber: Kinder sind nicht doof!

Normalerweise wissen sie, wie sie sich angemessen verhalten. Wir neigen dazu, sehr viel auf Kinder einzureden. Zu viel. Als wären sie zu blöd, irgendwas zu checken. Wir sagen 500 Mal ‚Du sollst andere nicht hauen!‘. Das Kind weiß schon lange, dass uns das wichtig ist, es kann sich aber offensichtlich gerade nicht anders verhalten.

Deswegen folgende Fragen:

  • Ist das Kind entwicklungsmäßig und/oder von seiner psychischen Verfassung her überhaupt in der Lage, die Informationen aufzunehmen? Vielleicht ist es gerade in einer extremen Ausnahmesituation? Dann kann es nicht lernen, da brauch ich ihm keine Infos geben.
  • Ist das Kind noch sehr klein? Einer Zweijährigen brauch ich nicht breit erklären, warum es den Fritz nicht hauen soll, da sie sich noch gar nicht in andere hineinversetzen kann (theory of mind). Da setz ich mich besser dazu und schütze ihn im Fall des Falles.

4. Sei neugierig

Soziales Verhalten lässt sich durch Schimpfen nicht erwirken. Dafür ist es viel zu komplex. Um es zu lernen, sind die wichtigsten Zutaten Sicherheit und Geborgenheit. Schimpfen erzeugt gegenteilige Gefühle und erschwert Lernen, macht es sogar unmöglich.

Was kann ich also tun, damit sich mein Kind wohl fühlt, nachdem es sich in meinen Augen unangemessen verhalten hat?

Neugierig sein! Was ist da passiert? Warum hat mein Kind das gerade getan?

Neugierig sein bedeutet auch, dass du deinen Scheiß bei dir lässt. Deine Urteile, deine Empörung, deine Wut. Deshalb: Zeit nehmen. Nimm dir Zeit, um deine Wut zu sehen, aber lass sie bei dir. Nimm sie an und lass sie dann weiterziehen. Danach bist du eher in der Lage, deinem Kind mit Neugierde und Wohlwollen zu begegnen.

Anhören heißt nicht Zustimmen!

Du brauchst es selbstverständlich nicht toll finden, jemandem eine Schaufel über den Kopf zu ziehen oder jemanden als blöde Kuh zu betiteln. Dir die Gründe für ein Verhalten anzuhören, bedeutet vielmehr, dass du dich für dein Kind interessierst. Es zeigt deinem Kind, dass du weißt, dass es richtig ist und gute Gründe für sein Verhalten hat. Wenn dein Kind das fühlt, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass es sich sicher und geborgen genug fühlt, andere Strategien zu lernen, um sich auszudrücken.

Das gilt übrigens auch für dich! Wenn du selber Mist gebaut hast, ist es total hilfreich, wenn du neugierig auf deine Beweggründe bist. Wenn du wohlwollend auf dich blickst und dich fragst: ‚Was war da los mit mir?‘.

5. Unterscheide Schimpfen von Interesse und Kontakt

Gar nicht so leicht.

Als Leitsätze zur Unterscheidung können diese dienen:

  • Bin ich gerade offen für mein Kind?
  • Kann ich mein Kind sein lassen?

Mir passiert es oft, dass ich zu den Kindern gehe und frage: ‚Höh, was machst du denn da?‘ und dabei überhaupt nicht neugierig bin, sondern das, was ich sehe, einfach scheiße finde.

Und andersherum kann es sein, dass ich rufe: ‚Samma, brennst du oder was?‘, was in unserer Familie oder Beziehung total angemessen, liebevoll und zugewandt sein kann, wenn ich dabei nicht die Vorstellung hab, dass mein Kind blöde ist.

Ich kann supernett schimpfen und wahnsinnig abwertend und gemein sein, indem ich mein Kind zu einem Objekt, zu einem Projekt erkläre. Und ich kann laut und raubeinig sein, mich zeigen mit dem, was mir wichtig ist, und mein Kind sein lassen.

Du siehst – wie immer – es gibt kein Richtig und Falsch. Es gibt nur Richtungen. Und solange unser Nordstern die Verbindung mit unserem Kind ist, das Erfüllen unserer Werte, solange können wir nur vorwärts stolpern auf unserem Weg.