Alte Schwedin.

Ich war auf 180. Panisch. Woher sollen wir denn das Geld nehmen? Und: Was werden die Nachbarn sagen? Ich hab meine Kinder überhaupt nicht im Griff (gut so, aber das würde ich erst später checken)!

Atmen.

„Tochter, wir haben ein Problem.“

Tochter guckt auf und hört mir zu. Ihr fällt sofort mein Ausdruck auf.

„Ihr habt auf einem Auto geturnt, mag das sein? Warum habt ihr das gemacht?“ Ich lege den Telefonhörer weg, an dessen anderem Ende eben noch die aufgebrachte Stimme der Nachbarin war.

„Wir wollten die Aussicht genießen.“

„Das Auto ist kaputt gegangen dabei. Da ist ein Kratzer drin.“

„Ist das schlimm?“

„Für die Leute, denen das Auto gehört, schon, ja. Die finden das schlimm. Ich finde das nicht schlimm, aber es ist ja nicht mein Auto. Nun kostet das viel Geld, das wegzumachen.“

„Das wusste ich nicht.“

„Ich weiß. Ich hätte besser aufpassen müssen.“

Schimpfen – der Garant für absolut nichts

Nach meinem Blogartikel über das Streiten wurde ich vielfach gefragt, warum ich denn nicht mit meiner Tochter geschimpft habe, als es den fetten Kratzer in den Mercedes meines nachbarschaftlichen Besuchs gemacht hat. Und was ich denn statt dessen gesagt hätte.

Das, was oben steht: ich habe es ihr gesagt. Wir haben uns darüber ausgetauscht. Ich habe meine Versicherung gefragt. Ich habe sie in Ruhe gelassen.

Das war die kurze Variante.

Was eigentlich hinter der Frage steht: Warum habe ich nicht geschimpft? Warum habe ich nicht gesagt, dass das scheiße war?

Weil es keinen Grund dafür gibt. Und weil sie ja nicht doof ist. Sie weiß das.

Schimpfen macht absolut nichts wieder gut. Es macht die Dinge sogar erheblich schlechter: Es tut weh und hilft nicht weiter.

Schimpfen ist eine Form der Strafe: Du hast etwas getan und nun erniedrige ich dich. Denn das ist das geheime Ziel der Idee vom Schimpfen. Es muss sich so schrecklich anfühlen, dass die Person, auf die geschimpft wird, die vorangegangene Tat nicht wiederholt.

Das ist Strafe: ein Verhaltensziel mittels extrem unangenehmer Verknüpfungen erreichen.

Klappt hervorragend, übrigens. Kann ich nur empfehlen, wenn es dir ausschließlich um Verhaltensziele geht.

Kann ich aber leider gar nicht empfehlen, wenn es um Lösungen geht.

Schimpfen löst absolut gar nix. Das Auto ist immer noch zerkratzt, wenn ich mit meinem Kind geschimpft habe. Und unsere Beziehung nimmt dabei einen viel eklatanteren Schaden als der olle Mercedes.

Was passiert, wenn ich schimpfe?

Erniedrigung und Strafe wirken doppelt: Einmal als Schmerz selber in der Psyche des Kindes. Und einmal, indem das Kind versucht seine Integrität mit dem Bild der Eltern übereinzubekommen und ein negatives Selbstbild entwickelt.

Kinder verstehen Kritik an ihrem Handeln immer persönlich. Schimpfen, also das laute und eindringliche auf-das-Kind-Einreden mit dem Hintergedanken, dass es dann zu irgendetwas wird, was es nicht ist (vorsichtiger, empathischer, freundlicher…. Der Erziehungsziele sind viele.) meldet zurück, dass es nicht richtig ist. Mehr nicht.

Schimpfen entwickelt auch keine Handlungsalternativen oder beschreibt das Problem. In dem Moment, in dem wir jemandem seelischen Schmerz zufügen, kann (!) das Kind nicht mehr auf die Inhalte der Botschaft achten.

Es kann nicht lernen.

Das ist besonders paradox, weil wir Schimpfen gerne mit ‚Das muss das Kind aber auch mal lernen!‘ begründen.

Lernen können wir nur, wenn wir uns sicher fühlen. Die Sicherheit deines Kindes wird massiv bedroht, wenn du schimpfst. Das Gehirn gerät in Alarmzustand und das Kind wird alles tun, um den schmerzhaften Erlebnissen ein Ende zu bereiten. Es wird rebellieren – oder, noch schlimmer, gehorchen.

In beiden Fällen wird es für die eigentliche Sache kein Auge und kein Ohr mehr haben. Es ist gefangen im Schmerz (dazu mehr bei Brené Brown: Verletzlichkeit macht stark: Wie wir unsere Schutzmechanismen aufgeben und innerlich reich werden).

Das, was du ihm sagen willst, wird nicht ankommen können. Dass es echt peinlich und unangebracht ist, anderen Leuten die Zunge rauszustrecken. Dass es dir wichtig ist, ob und wie viel dein Kind Zähne putzt. Dass du dir Sorgen gemacht hast, als dein Kind sich versteckt und du dich halb kaputt gesucht hast.

Das sind wichtige Botschaften: Botschaften über deine Gefühle, Konventionen, Moral und Bedürfnisse. Lass sie nicht untergehen, indem du dein Kind beschämst.

Was mache ich denn dann?!

Und nun: Soll ich jetzt einfach gar nix mehr sagen, wenn mein Kind Scheiße baut?

Das ist ganz interessant. Denn oft sind wir ganz verbissen in dieses Denken: Entweder ich schimpfe und beschäme oder ich tue nichts.

Es gibt aber einen Mittelweg: Wir nehmen unsere Verantwortung wahr und sprechen von dem, was uns bewegt.

Was wirklich wichtig ist, ist nicht, dass das Kind sich scheiße fühlt. Das ist billige Rache und lehrt niemanden etwas. Es ist viel wichtiger, dass dein Kind mitbekommt, was seine Aktion mit ihm, dir und anderen macht und was genau eigentlich das Problem ist.

War die Aktion gesellschaftlich inakzeptabel? War sie gefährlich? War sie moralisch falsch?

Unser Feedback ist wichtig. Es ist wichtig, dass das Kind weiß, was wir denken und warum. Wir sind sein moralischer Wegweiser und sein Vorbild.

Nichts sagen und nichts tun ist unfair. Woher soll das Kind denn wissen, wie das läuft?

Dabei hilft aber eben nur erklären. Voraussetzen, dass das Kind weiß, was es da tut und ihm die Verantwortung geben, ist gemein. Soziales Lernen braucht viele, viele Jahre und viel Übung. Erklären und helfen ist dabei absolut wichtig.

Aber auch aus einem anderen Grund ist es wichtig, dass wir dem Kind unsere Rückmeldung geben: Wegen der Beziehung.

Hat dein Kind keine Chance, deine Werte kennenzulernen und was dir wichtig ist, kann es dich nicht kennen lernen. Schimpfen ist unpersönlich und bleibt auf allgemeiner Ebene. Unmut und Ärger ausdrücken ist Beziehung.

Zeig dich deinem Kind, ohne es vorzuführen.