Ich meine, das kann ja nicht so schwer sein. 5cm vor dem Kind liegt das Handtuch. Ich rufe nochmal ‚Gib mir doch mal das Handtuch her!‘
Kind dreht sich um und geht.
Hallo?!
Das Problem mit dem Gehorchen
Wir Menschen sind schon echt komisch. Das, was uns unterscheidet vom Tier, ist etwas, was wir Willen nennen. Die Fähigkeit, unabhängige Entscheidungen unter Einbeziehung von Dingen zu treffen, die nicht nur unser eigenes Wohlergehen, sondern auch das von anderen betreffen. Letzteres heißt dann Moral.
Und das ist richtig, richtig kompliziert zu lernen.
Meine Kleinste ist gerade 2. Sie ist in dem Alter, in dem sie gerne zwei Dinge gleichzeitig will. Ich will in die Badewanne! Aber nicht ausziehen! – schrie sie neulich. Der Wille überwältigt sie. Gleichzeitig ist ihre emotionale Kontrolle noch sehr gering, so dass sie leicht überwältigt wird von Gefühlen.
Mit ihr zu verhandeln und Lösungen zu finden, ist extrem schwer. Denn ihre Fähigkeiten, sich einzufühlen sind noch gering ausgeprägt. Der oben genannte Clash von Willen und Wissen und Emotionen funkt dazwischen.
Was das mit dem Handtuch zu tun hat?
Unser Wille ist hoch emotional. Was wir entscheiden hat viel weniger mit dem zu tun, was wir denken, als mit dem, welche Emotionen das auslöst. Wenn ich also ein Kind habe, dessen Willen gerade so gar nicht meinem entspricht, habe ich vor allem ein emotionales Problem. Oder das Kind. Oder beide.
Das anzuerkennen, ist die halbe Miete.
Über das Wollen
Denn oft ist die Idee, das Problem über den Verstand zu lösen. Wir erklären, veranschaulichen, planen, erzählen einem winzig kleinen Kind Zeug.
Und das wird nix. Ehrlich. Spar dir den Atem.
Denn verstehen ist NICHT fühlen und fühlen ist NICHT handeln. Der Weg, etwas zu wollen, geht immer über das Gefühl. Und das ist sehr, sehr beeinflussbar. Von den äußeren Umständen, dem Füllstand des Magens, der Beziehung zu der Person, die fragt.
Deswegen kann die Weigerung, etwas zu tun, eine wertvolle Rückmeldung sein. Über unerfüllte Bedürfnisse. Oder darüber, dass wir zu wenig auf die Beziehung zum Kind geachtet haben.
Was also tun?
1. Zuhören
Warum will denn mein Kind nun mal partout das verdammte Handtuch nicht wegtun? Was ist denn da los? Neugierde, Interesse – allein die Möglichkeit, dass mein Kind einen Grund hat, kann schon so viel ändern.
Kenne ich übrigens von mir selber auch. Wenn ich blöde Sachen mache, hilft es so ungemein, eine Person bei mir zu haben, die mir einfach unterstellt, dass ich einen Grund habe. Dass ich okay bin.
2. Ehrlich werden
Warum soll mein Kind denn nun unbedingt tun, was ich sage? Was ist es denn wirklich, was ich will? Und was ich brauche? Und was ich dazu denke?
Das kann übrigens unangenehm sein. Das ist der Punkt, an dem wir dann gerne verteidigen, dass wir unser Kind zwingen. Aber innehalten lohnt sich: Worum geht es mir? Der Blick auf Bedürfnisse kann da sehr, sehr angenehm sein – er zeigt mir dann nämlich auch, wo mein Weg aus dem Dilemma raus ist.
3. Mir die Kosten klar machen
Wenn ich Gehorsam verlange, hat das immer Folgen. Es gibt zahlreiche Situationen, in denen ist das nun mal nicht zu vermeiden: Wenn das Geschwisterchen gerade gestillt wird und nicht warten kann. Wenn Gefahr besteht. Wenn ich einen Termin wahrnehmen will, der mir wichtig ist.
Aber es gibt auch viele Situationen, in denen sind die Folgen des Gehorsams unproportional. Zum Beispiel bei der Sache mit dem Handtuch.
Zu Gehorsam habe ich hier mehr geschrieben. Es ist wichtig, sich diese Folgen ehrlich vor Augen zu führen. Nicht, damit wir uns mistig fühlen. Sondern damit wir eine ehrliche Wahl treffen können.
4. König*in meines Lebens werden
Der letzte Schritt führt dazu, dass ich mich selber entscheide. Ich. Mich. Dafür, wie ich reagiere. Ob ich mein Kind zwinge. Und wenn ja, warum.
Er führt auch dazu, dass ich mich kennen lerne. Und das wiederum ist der Schlüssel dazu, dass ich mein Leben so gestalten kann, wie ich es will.
Wenn die Sache mit dem Handtuch täglich vorkommt – dann kann ich mir ggf externe Hilfe holen. Oder es geht um Wertschätzung und ich kann endlich den beschissenen Job aufgeben, der mir täglich alles abverlangt und mich null wertschätzt. Oder ich darf mir bei einer andere Person als meinem abhängigen kleinen Kind holen, was ich will.
Denn seien wir ehrlich: Gehorsam zu verlangen ist möglich, aber frustrierend. Am Ende führt das immer dazu, dass die Kinder tun, was wir sagen. Weil sie das nunmal müssen – sie sind uns unterlegen.
Aber zu wirklich ehrlicher innerer Freiheit führt es, dahinter zu sehen.
Deswegen feiere den Moment, an dem dein Kind den Gehorsam verweigert. Ich meine das Ernst. Denn jetzt kannst du dich kennen lernen. Yay!
Wie gut, dass ich das gelesen habe. Mir fällt dazu ein, wie meine Tochter (3 Jahre) nicht einsehen will, dass das Teilen mit Ihrem kleinen Bruder doch so viel schöner ist als die Tatsache es sein zu lassen…Und dann, wie ich im Grundschulalter angehalten wurde zu teilen bis ich es tat. Auf die Frage der Betreuerin „Fühlt sich das nicht gut an?!“ Habe ich mit „Nein.“, geantwortet und mich bis heute gefragt, was mit mir nicht stimmt…
Zum Beispiel bei der Sache mit dem Handtuch. Zu Gehorsam habe ich hier mehr geschrieben.
Ok verstanden. Aber wie reagiere ich angemessen in Situationen, in denen Gehorsam nun einmal wichtig ist? Mein vier jähriger ist z.b. Unabsichtlich grob bzw unachtsam mit seinem neuen Bruder (4 Wochen). Er legt sich beim knuddeln auf ihn rauf, zerrt an seinem Kopf, küsst ihn auf den Mund obwohl ich 2000 mal gesagt habe, dass er es bitte lassen soll (wenn er erkältet ist) und dass er mit ihm vorsichtiger umgehen muss. Ich möcht ihn gar nicht bremsen, aber es sind einfach gefährliche Situationen und er hört partout nicht damit auf. Es macht mich wahnsinnig, gerade weil ich ihm nicht das Gefühl geben will, dass er zurückstecken muss.
Was denn nun, du willst ihn bremsen oder nicht? 😉 … Ich würde ganz klar einschreiten wenn du es nicht willst. Da würde ich dann ggf meine Macht einsetzen und eben klar unterscheiden, ob ich dazu bereit bin oder nicht. Auf Gehorsam würde ich da nicht setzen sondern das Kind körperlich hindern (dazwischen stellen, ablenken, anderes anbieten). Ggf hilft es auch, daraus ein Spiel zu gestalten mit ihm.
Grüße, Ruth