Es funktioniert so mega gut.
Das ist ja irgendwie das Blöde an der ganzen Idee von Erziehung. Dass sie so super funktioniert. Ich mache A und weil das Kind mir ausgeliefert ist, macht es B.
Klar, das klingt alles so gemein. Also bürsten wir es runter und nennen es ‚Konsequenzen‘ und lauter so Kram. Aber am Ende bleibt: Es ist mühsam, Kinder ernst zu nehmen. Das Ding ist – es lohnt sich. Ehrlich.
Als ich aufhörte zu erziehen, konnte ich mir das Ganze nicht vorstellen. Aber dann gab es diese Momente, wo meine Kinder und ich uns näher kamen. Wo meine Kinder mir plötzlich zuhörten. Sich interessierten. Rücksicht nahmen. Weil sie wollten. Nicht weil sie mussten.
Und um das zu erreichen, musste ich aufhören. Auch mit dem Kram, der eben erstmal so nett und logisch klingt. Wie das Ignorieren.
Die Idee ist Folgende: Ein Kind zeigt ein Verhalten, dass ich scheiße finde. So richtig scheiße. Und weil ich auf keinen Fall will, dass es das tut, ignoriere ich das Verhalten. Das ist sogar ziemlich weit verbreitet. Auch unter sehr liebevollen Eltern.
Das liegt daran, dass es erstmal eine Alternative zu Schlimmerem ist: Züchtigung. Anschreien. Beschämen. Bestrafen. Ignorieren kann ich mir auch noch schönreden, ich schreie ja nicht. Ich verweigere nur eine Bestärkung des Verhaltens. Wie nett von mir.
Was ist also das Problem?
Das Problem ist, dass wir Menschen soziale Wesen sind. Unser Gehirn ist auf soziale Interaktion ausgerichtet. Wir brauchen Kontakt und Verbindung, sonst gehen wir kaputt. Und wenn wir besonders jung sind, sind wir davon auch noch zu 100% abhängig. Es ist nicht ’nett‘, einem Kind Aufmerksamkeit zu geben. Es ist überlebenswichtig für seine Psyche.
Kinder sind von der Natur dazu gebaut worden, Aufmerksamkeit zu erregen – z.B. durch das sog. Kindchenschema, das dazu führt, dass ständig Leute ungefragt dein Kind angrabbeln. Weil es so süß ist.
Aufmerksamkeit ist kein Gimmick, nix was ich in meiner Freizeit mal einbauen kann. Es garantiert aus biologischer Sicht das Überleben und es ist entsprechend wichtig als Rückmeldung für das Gehirn: Es beruhigt die Alarmsignale. Es gibt dem abhängigen Kind die Sicherheit, dass es weiter relevant ist für die, die es umsorgen.
Und noch weiter: Ein kleines Kind braucht die Rückmeldung von der Umwelt über seine Existenz. Es begreift sich nicht als ‚ich‘, weswegen es ganz in der Rückmeldung seiner Bezugspersonen aufgeht. Diese Rückmeldung nicht zu geben, mimisch und sprachlich, beraubt das Kind der Wahrnehmung seiner eigenen Existenz. Die Folgen für Menschen, die gezielt ignoriert wurden, sind häufig massiv.
Wenn wir also ignorieren, arbeiten wir mit diesem fundamentalen Mechanismus. Und das ist bedrohlich. Und garantiert, dass das Kind UND ich vielleicht kurzfristig bekommen, was wir wollen. Aber es garantiert auch, dass das Kind uns nicht mehr vertraut, dass wir bereit sind, sein Anliegen zu hören – auch wenn es sich auf eine Art und Weise ausdrückt, die wir nicht mögen.
Was also tun?
Ich schlage vor, dass wir mit einer Unterstellung arbeiten, die Verbindung und Vertrauen generiert: Dass unser Kind gerade das Beste tut, was es kann (übrigens hilft das in Beziehung auf alles und alle, um konstruktiv zu bleiben).
Auf dieser Grundlage können wir davon ausgehen, dass das Kind irgendein Problem hat, wenn es sich destruktiv ausdrückt. Warum sonst sollte es riskieren, negative Aufmerksamkeit von seinen geliebten Eltern zu bekommen?
Anstatt zu ignorieren, können wir also versuchen, herauszufinden was da los ist. Hilft. Uns. Der Beziehung. Dem Kind. Schließlich wäre es schön, wenn es eines Tages zu uns kommt, wenn wirklich mal etwas los ist. Und weiß, dass wir zuhören. Und ein Team sind mit unserem Kind, auch wenn das nicht immer leicht ist.
Wie immer von Dir: ein augenöffnender, berührender Artikel.
Wenn ich für Schule wäre, würde ich für Deinen Blog als Zwangslektüre plädieren. Nun bin ich das ja nicht und ausserdem davon überzeugt, dass wir durch Zwang nicht lernen.
Daher hoffe ich, dass wir alle mithelfen, Deine Arbeit zu teilen mit allen, die auf der Suche sind nach Beziehungen, Verbindung, Frieden und Heilung. Mit ihren Kindern und sich selbst.
Und wir so unsere Erde Stück für Stück, Mensch für Mensch (ob klein oder gross) zu einem besseren Ort machen. Bei uns selbst angefangen.
Danke, Ruth <3
Ich danke dir!
Liebe Ruth, ich bin Dir aus tiefstem Herzen dankbar für Dein Wissen, für Deine Erfahrung und für Deine Haltung die Du mit uns allen teilst. Ich danke Dir für Deine Texte u wertvollen Inhalte, die mich immer wieder bestärken diesen Weg ohne Erziehung zu gehen – auch wenn nicht immer leicht, bringen mich Deine Texte und Dein wissen immer wieder zum Ursprung! Sprich auf d richtigen Weg. Auch zum Thema ignorieren habe ich hier heute ne Menge gelernt !!! Weiter so
Liebe Yasmine,
das ist so schön zu lesen. Nein, es ist nicht immer leicht, aber so lohnenswert. Ich freue mich dass ich dir weiterhelfen konnte.
Grüße, Ruth
Hallo liebe Ruth!?
Um es mit den Worten meiner Tochter zu sagen:“Du bist toll, ich mag dich!“?
Liebe Grüße, Katrin Kühle
Danke!
Liebe Ruth, gerade habe ich deinen Blog mal wieder weiterempfohlen und dabei war ich auch wiedermal hier und habe deinen neuen Beitrag gelesen. Wie jedesmal kann ich auch diesmal zu 1000% deine Ansicht bestätigen. Ich bin Coach und Therapeutin für Erwachsene und erlebe täglich, was diese Erziehungsmethoden damals in der Seele meiner Klienten angerichtet haben. Und genauso, wie du es hier immer so wundervoll beschreibst, zeige ich den Menschen, die zu mir kommen, können sie auch als Erwachsene mit dem verletzten Kind in sich umgehen. Aufmerksamkeit, Achtung, Wertschätzung, Zuhören, Ernst nehmen. Dann können auch die Kinder in uns heilen. Danke für dein Tun.
Das ist so schön zu lesen!
Liebe Ruth,
Ich beginne hier gerade zu lesen, nachdem Jeannine von Minandme Dich bei Insta verlinkt hatte: Schon lange auf diesem Weg, bringst Du mir gerade jetzt wieder Inspiration & Bestärkung! Wo ich manchmal die Spur verliere mit einem sehr intelligenten und wunderbaren Vierjährigen…Deine Texte sind wunderbar! Herzliche Grüße von Rike
Liebe Rike,
das freut mich total zu lesen! Viel Freude noch auf deinem Weg.
Deine Ruth
Hallo Ruth!
Ich bin auch schon länger stille Mitleserin und versuche so gut es geht nicht zu erziehen. Das ist für mich schon gar nicht so leicht, weil sich manchmal doch so einiges in mir strebt, obwohl mich das Konzept vom Verstand her total überzeugt, ich kenne es nur aus eigener Erfahrung so ganz anders leider. Jedenfalls ist der Widerstand, auf den man im Umfeld trifft noch viel heftiger und eine sehr große Herausforderung. Mein Kleiner ist aktuell 15 Monate jung und wirft mit allen möglichen Gegenständen. Nicht mal aus Wut, das manchmal auch, aber eher aus Interesse?! Jetzt handhabe ich es daheim so, dass ich ihm nur die (Spiel-)sachen lasse, die ihm gehören und nicht kaputt gehen können, das klappt recht gut. Wir sind in einigen Krabbelgruppen/Kursen und da wirft mein Kleiner auch munter mit allem was er findet…ganz ehrlich, ich gerate total unter Druck und stehe kurz davor das Ganze (draußen) zu kippen, aber dann macht es bei und zuhause ja auch keinen Sinn mehr….wie kann ich das denn handhaben? Viele liebe Grüße
Vielleicht kannst du vorschlagen, dass das Kind nur in eine Richtung wirft? oder Dinge zum werfen mitbringen, die weich sind?
Danke, liebe Ruth, das wäre vielleicht ein machbarer Kompromiss für uns…ich werde es auf jeden Fall probieren? Du hast so viele gue Ideen, Wahnsinn! Du machst das ganz toll, ich bewunder deine Arbeit! Viele Grüße!
So wahr, dieser Text. Ich habe das große Glück, selbst offenbar ziemlich unerzogen zu sein… meine Eltern haben viele Dinge intuitiv getan (oder auch nicht getan).
Wir haben bis heute ein wunderbares Verhältnis zueinander.
Nun bin ich selbst Mutter und scheitere trotzdem an so vielem… z.B. ist für mich destruktives Verhalten meiner Kinder eine riesige Herausforderung.
Wenn mein Sohn seine kleine Schwester, die erst ein paar Monate alt ist, scheinbar aus dem Nichts heraus auf den Kopf haut.
Ich finde keine Anzeichen für Eifersucht, er will ihr auch nicht weh tun. Er tut es einfach, weil er es kann und meine Reaktion spannend findet.
Dieses Verstehen-Wollen des Großen (der auch noch so klein ist) und das gleichzeitige Beschützen der Kleinen lässt sich für mich jedoch nicht wirklich lösen. Somit probiere ich an meinen Reaktionen herum, was noch mehr Verwirrung stiftet.
Mit einem Kind waren solche Dinge für mich wirklich einfacher. Ich hoffe im Moment einfach auf die Zeit und tue mein Bestes, ruhig zu reagieren.
Ich danke dir so sehr für die Gedanken, die du teilst und den Mut, den du mir und anderen damit machst.
Liebe Ruth,
seit einer Weile lese ich deine Texte. Immer wieder haben mir deine Worte Mut gemacht meinen Weg weiter zu gehen und mir auch oft neue Ideen für den Alltag gegeben. Von Herzen Danke dafür!
Momentan gibt es einige Herausforderungen in meinem Leben und ich sehne mich unheimlich nach Beratung & Begleitung. Am liebsten eins zu eins. Und unkompliziert muss es sein, da ich alleinerziehende Mama von zwei kleinen Kindern (2 und 4) bin. Bietest du auch individuelle „Coachings“ z.B über Skype an? Das wäre toll.
Ganz liebe Grüsse, Anna
Hallo Anna!
Nein, ich biete kein Coaching an – wenn du mehr Begleitung brauchst, gibt es bei uns die Weggefährt*innen. Ansonsten gibt es tolle Coachingangebote, online und offline, nur nicht von mir.
Grüße, Ruth