Hier kannst du Ruths Stimme lauschen:
Die Grundlagen des friedvollen Miteinanders werden in der frühen Kindheit erlernt. Und zwar nicht, indem du sagst, „Du sollst nicht hauen!“ oder „Du musst teilen!“, sondern indem du dich einer vollständig abhängigen, jungen Person gegenüber sozial verhältst. Diese Grundlagen werden später – das kann man relativ gut untersuchen – in politische Gesinnung übersetzt. Menschen, die weniger Gewalt erfahren, werden liberaler wählen. Menschen, die autoritäre Erziehung erfahren, werden konservativer wählen. Da gibt es einen ganz deutlichen Zusammenhang.
Elternschaft ist ein Statement!
Wir sind immer Eltern. Wenn unsere Kinder auf Schulen gehen, wenn sie Wutanfälle in Supermärkten bekommen oder im Sportverein nur mit Papa zusammen in der Gruppe bleiben wollen, dann sind wir mitten in der Gesellschaft und unser Verhalten ist ein Statement. Es ist ein sich verhalten auf eine bestimmte Art und Weise, weil wir an etwas glauben.
Wir verzichten nicht auf Erziehung, weil das besser funktioniert, weil das netter ist oder weil die Kinder am Ende glücklich werden, sondern weil es ethisch richtig ist!
Es ist richtig, junge Menschen von Anfang an als Menschen anzusehen. Sie sind nicht verbesserungswürdig oder formungsbedürftig. Es ist richtig, bei ihnen zu sein, genauso wie sie sind, und sie zu begleiten.
Manchen Leuten passt das nicht, andere fühlen sich inspiriert und den meisten ist es egal. Manchmal ist es schwer, das persönlich zu navigieren.
Es ist ein Statement in der Gesellschaft, in unseren Familien, überall, wo wir gerade sind. Ja, das ist anstrengend, denn es macht uns zu unfreiwillig, polititsch Aktiven.
Elternschaft ist politisch!
Elternsein ist nicht nur individuell anstrengend, („Wie überwinde ich meine eigenen Themen?“, „Was mache ich mit unangenehmen Gefühlen?“, all die schwierigen Situationen, in denen du nicht weißt, was du machen kannst: Mein Kind lügt. – Meine Kinder streiten. – Mein Kind ist frech.), sondern hinzu kommt noch eine Gesellschaft, in der wir als Eltern – besonders als Mütter – ständiger Kritik ausgesetzt sind. Extra anstrengend!
Aber es ist so wichtig, dass wir unser Elternsein nicht als privates Hobby und nettes Vergnügen abwinken, sondern es muss klar werden, dass das, was wir tun, gesellschaftlich und politisch relevant ist.
Wir Eltern legen den Grundstein für die nächsten Generationen.
Deswegen ist es wichtig, was du entscheidest, wenn dein Kind sich die Zähne nicht putzen will oder wenn es zu spät kommt oder wenn es heute keinen Bock hat auf Schule oder wie du damit umgehst, wenn es Fehler macht. Nein, nicht jede einzelne Entscheidung trägt das Gewicht der Welt auf sich. Ja, du darfst eine Menge Fehler machen und das ist gar nicht schlimm. Ich mache auch immer wieder Fehler, wir sind halt Menschen. Und trotzdem: Deine Entscheidungen sind relevant!
Friedvolle Elternschaft ist antifaschistisch!
Sorry, ich muss es mal so deutlich sagen: Mit einer konservativen Haltung kannst du keine Antipädagogik unterstützen. Das funktioniert nur, wenn du Unerzogen als Methode verstehst. Und ich will gerne erklären warum.
Die Wurzeln der Antipädagogik liegen im Antifaschismus.
Wenn du ein humanistisches Weltbild hast, Menschen also als grundsätzlich gut und an ihrer Bedürfniserfüllung interessiert ansiehst und überzeugt bist, dass sie sich so sozial verhalten, wie es ihnen gerade möglich ist, dann schließt es sich grundsätzlich aus, dass du ebenfalls konservative oder gar rechte Überzeugungen teilst. Und wenn du davon ausgehst, dass junge Menschen wissen, was sie wollen und brauchen und dass sie wissen, wer sie sind in dieser Welt, dass du sie nicht in Genderschubladen zu stecken brauchst, dass sie wunderbar sind, ganz genauso wie sie eben sind, dann schließt sich das kategorisch mit konservativen und rechten Inhalten aus. Und diese Überzeugungen – das humanistische Weltbild und Vertrauen in das Kind – sind Grundlage der Antipädagogik.
Und doch gibt es auch in der bedürfnisorientierten Elternschaft, Menschen, die rechtes Gedankengut leben und verbreiten. Ich glaube, diese Volte, ein Kind als echten Menschen anzuerkennen gepaart mit einer poltisch konservativen Einstellung, funktioniert nur, wenn ersteres keine echte Haltung, keine tiefe Überzeugung ist. Vielmehr wird die Antipädagogik als Methode missbraucht, um das Kind gegen das System zu erziehen, es frei, glücklich, whatever zu machen oder auch Konflikte zu vermeiden. Echter Humanismus kann nicht dahinterstehen.
Eine echte humanistische Überzeugung leitet mich in den Fragen:
- „Wie will ich in dieser Welt stehen?“
- „Wie will ich einmal auf mich und meine Handlungen zurückschauen?“
- „Wie kann ich in diesem Moment gerade stehen für mich und meine Überzeugungen?“
Um Überzeugungen zu leben, gibt es natürlich keine Anleitung. Wie du das genau machst, dass es sich für dich stimmig anfühlt, kannst du nur selbst herausfinden. Aber es gibt viel mehr echtes Glück im Sinne von Zufriedenheit, weil du das lebst, was deinen Werten wirklich entspricht.
Lasst dir nicht erzählen, es sei egal, welche politischen Überzeugungen wir als Eltern haben.
Es zeigt sich. Es zeigt sich in dem, wie wir miteinander umgehen, in dem, was wir über andere denken. Das bedeutet nicht, dass alle Eltern die gleichen politischen Überzeugungen haben sollten, sondern dass uns klar sein muss, dass der Umgang mit Kindern keine isolierte Insel in der Gesellschaft ist. Im Gegenteil, es ist sogar eher die Wurzel von dem, was in 20, 30 oder 40 Jahren hier passieren wird auf unserem Planeten.
Hier seht ihr eine sehr kurze Zusammenfassung im Bild von dem, was ich versucht habe, zu sagen:
Das, was wir tun, ist hochrelevant.
Lass mich deine Gedanken super gerne unter dem Artikel lesen!
danke!
das sind genau meine gedanken!
Liebe Ruth,
ich bin ganz bei Dir.
Das Bild lässt mich echt schlucken, aber je länger ich darüber nachdenke, umso mehr macht es Sinn.
Wir unerziehen die Erwachsenen von morgen und wenn wir versuchen unseren Kindern zu zeigen/vorzuleben, dass es auch friedvoll geht, dann ist die Chance größer, dass sie sich als Erwachsene friedvoll verhalten.
Danke für Deine klaren Worte.
Lieben Gruß
Franzi
Danke für das Audio. Bisher fand ich nicht die Zeit deine Beiträge zu lesen. Das Hören integriert sich besser in meinen Alltag 🙂
Habe dich gehört und entdecke viele Parallelen zu meinen eigenen Gedanken während wir ‚on the fly‘ lernten, Eltern zu sein (warum muss man dafür eigentlich keinen Führerschein machen?)
Ganz klar stellen wir uns mit unserer Art der Begleitung gegen das establishment, auch wenn wir in neuen Situationen gerne in alte Verhaltensweisen unserer Eltern verfallen, was wir erkennen, uns bewusst wird, um dann nach neuen Strategien zu suchen für die nächste Begegnung.
Unsere Welt scheint dem Untergang geweiht. Das ist die Predigt, welche ich mir bereits seit meiner eigenen Kindheit anhöre. Meine Frage, warum wir dann nichts dagegen tun, blieb bisher unbeantwortet. Nach einigen Jahren der Erfahrung im Elternsein und Beobachtung der Machtverhältnisse in der Welt gebe ich mir selbst diese Antwort: ‚Unsere Großeltern haben es verbockt, unsere Eltern haben es genossen und übertrieben, WIR haben die Fehler erkannt und unsere Kinder werden es richten müssen. Und es ist unsere Aufgabe, ihren starken Charakter zu bewahren und Freigeister zu sein die nicht alle wie die Lemminge im Gleichschritt marschieren.
klar. voll richtig. aber vielleicht gut dass du es noch einmal in aller klarheit erläutert hast.
Danke liebe Ruth.
„keine isolierte Insel….“ ja das ist wünschenswert!
Ich wünsche mir, dass Unerzogen zum mainstream wird, aber meiner Beobachtung nach leben alle Eltern, die in diese Richtung gehen, doch irgendwie in einer ‚parallel‘ Welt. Sie schaffen sich ihre eigene Realität, oftmals mit freien Schulen (mit überwiegend weißen, eher privilegierten Kindern). Das soll jetzt nicht negativ klingen – im Gegenteil. Es ist wichtig. Dadurch bekommen hoffentlich solche Schulen zb mehr Aufmerksamkeit und an einigen wird ja auch bedacht wie man Familien, die zum Beispiel eher konservativ sind, mit einbeziehen kann.
Ich meine damit auch nicht, dass Menschen mit weniger Privilegien nicht Unerzogen sein können, aber ich denke, es für Menschen, die sowieso schon ne Menge Kämpfe haben, noch schwieriger dazu einen Zugang zu bekommen.
Ja Hannah, da bin ich bei dir. Und es ist mir ein wichtiges Anliegen.
– Ruth
Hey Ruth,
ich gehe komplett mit, dass Elternschaft politisch ist und Dein Artikel motiviert mich da total 🙂
Bei den Begriffen „rechts“ und „konservativ“ hätte ich mir noch eine klarere Definition gewünscht … bin ich „rechts“ weil ich die Idee von Privateigentum für sinnvoll halte? Bin ich „konservativ“, weil ich mein Kind mit Lebensmitteln versorge, so wie es meine Eltern und Großeltern ebenfalls getan haben?
Ja, es sind eher rethorische Fragen 😉 Für mich folgt das rechte politische Spektrum im Kern dem Leitsatz, sich zu aller erst selbst zu versorgen, bevor man sich um andere sorgt. Das bedeutet, „NEIN“ sagen zu können und zu dürfen, wenn die eigenen Bedürfnisse nicht erfüllt sind. z.B.: Nein, keine Kraft für Immigranten, Nein, keine Kraft für finanzielle Unterstützung anderer. (nur um im Klischee zu bleiben)
Ich kann mir passende Handlungen vorstellen, die diese „rechte“ Haltung, friedvoll und gewalt-minimierend umsetzen.
Ich sehe in unserer Gesellschaft momentan, die Gefahr, dass sich die friedvollen Menschen aufgrund dieser lustigen „links vs. rechts“ Debatte spalten lassen. bzw. die extremen und radikalen Pole die Diskussion dominieren.
Ich bin gespannt auf deine Sicht
LG Alex
P.S.: ob ich selbst nun „links“ oder „rechts“ bin. wissen die Menschen im Internet am besten 😉
Wichtiger Beitrag, liebe Ruth. Elternschaft ist absolut politisch, sehe ich auch so.
Ich empfehle in diesem Zusammenhang das kleine Büchlein von Klaus und Rose Ahlheim: Autonomie statt Gehorsam. Zu einer Erziehung nach Auschwitz.
Wir alle – ob Eltern oder Nicht-Eltern – haben die Pflicht, entschieden gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit einzutreten. Aber auch gegen Sozial-Darwinismus und jede Form von gesellschaftlicher Ausgrenzung. Damit haben wir eigentlich genug zu tun im Alltag, so dass sich Fragen, was denn nun links oder rechts sei, nicht mehr stellen dürften.