Hier geht’s zum Audio:

 

Das Essen ist fertig, der Tisch nicht gedeckt. Wie auch? Der ist voller Bastelkram, Brettspielen, Magneten und die Tablets stehen auch mittendrin. Nebenbei hat der Hund auf den Teppich gekotzt, es klingelt an der Tür und das Baby schreit.

„Kind, kannst du mir mal eben helfen? “

„Nö.“

Mithilfe im Haushalt. Aus irgendeinem Grund verläuft da für viele Eltern die rote Linie. Es ist ok, wenn das Kind mal grummelig ist, sie suchen für alles Lösungen und Bedürfnisorientiert ist total schick, bis das Kind nicht im Haushalt mithelfen will. Oder nicht genau so mithelfen will, wie die Eltern es sich vorstellen. Je älter das Kind, desto erbitterter die Diskussionen. Das Interessante: Es gibt ganz viel Empörung und zusammengefasst nur ein Argument: „Wir sind ja nunmal eine Gemeinschaft und jede*r muss seinen Anteil beitragen.“

Ich möchte diesen Gedanken herausfordern.

Familien sind keine Gemeinschaften!

Eine Gemeinschaft ist freiwillig. Da haben Leute sich entschlossen, gemeinsam zu leben. In einer WG zum Beispiel.

Familien hingegen sind unfreiwillige Gemeinschaften, so was wie Nachbar*innen, die kann eins sich auch nicht aussuchen.

Diese Unterscheidung ist wichtig! Dein Kind hat nicht darum gebeten, in diese Familie geboren zu werden, es hat nicht darum gebeten, dass du so viel oder wenig Zeit hast, wie du eben hast. Dass du so viel oder wenig arbeitest, dass ihr so viel oder wenig Geld habt. Es hat noch nicht einmal darum gebeten, dass es noch so viele oder wenige weitere Kinder in eurer Familie gibt. Hinzu kommen das Machtgefälle und die extreme Abhängigkeit, von denen Eltern-Kind-Beziehungen eben so geprägt sind. Da is‘ nix mit Gemeinschaft!

Wenn du über jemanden verfügst und sagst, sie*er müsse den Müll raus bringen, weil ihr schließlich eine Gemeinschaft seid, hast du just das Gegenteil bewiesen, nämlich, dass du bestimmst! Das ist einfach nur eine Forderung nach Gehorsam. Und das ist nicht fair! Ich finde es ehrlicher, zu sagen: „Du musst mir gehorchen, weil du hier wohnst. Ich nutze deine Abhängigkeit aus, um dich zu zwingen.“ Klingt weniger schick, was?

Hast du mal in einer WG gewohnt? Wie lief das da mit dem Putzen? Ich kenne viele WGs, in denen der Haushalt immer wieder für Streit sorgt oder gesorgt hat, denn die Vorstellungen, was ein gefüllter Kühlschrank, ein geputztes Bad oder ein sauberer Fußboden sind, gehen oft weit auseinander. Und der Stress entsteht, obwohl diese Menschen freiwillig zusammen leben, die Regeln gemeinsam aufstellen und alle autonom handeln können.

Nochmal zusammengefasst:

Dein Kind hat nicht darum gebeten, in diese Familie zu kommen, es hat die herrschenden Regeln nicht aufgestellt und es wird deinem Sauberkeitsempfinden unterworfen.

Nachdem wir das geklärt haben, kommen wir zu der eigentlich spannenden Frage:

Was kannst du stattdessen tun?

„Aber Ruth, ich kann mein Kind nicht gar nix machen lassen, denn dann versinken wir hier im Chaos. Ich hab fünf Kinder und drei Jobs, ich schaff das alles nicht!“

Es geht mir überhaupt nicht darum, dass du dich einfach mal zusammenreißen und für dein Kind putzen sollst, bis es 25 ist. Natürlich nicht! Aber:

GUCK HIN! Hör auf, die Abkürzung zu nehmen, indem du dein Kind zu irgendwas zwingst, weil es sich für dich angenehmer anfühlt.

Was liegt unter deinem Ärger?

Warum ärgert es dich so wahnsinnig, wenn der 12jährige sein Zimmer nicht aufräumt? Oder wenn die 5jährige nicht wegfegt, was ihr runtergefallen ist? Was ist da los?

Wie immer, wenn es um Kinderbegleitung geht, hat ein großer Anteil des Problems gar nichts mit deinem Kind zu tun, sondern er steckt in dir. Vielleicht hast du Glaubenssätze und Ideen übernommen wie:

  • Wer Dreck macht, wird betraft.
  • Jede*r ist für ihren*seinen Kram selbst verantwortlich.
  • Mithilfe im Haushalt ist Ausdruck von Respekt.
  • Die Gemeinschaft steht über dem Individuum.

Vielleicht liegen darunter Emotionen wie Trauer, Angst und dazu ein großer Schmerz?

Nimm deinen Schmerz wahr.

Welche Art Schmerz fühlst du? Wo kommt der Schmerz her? Was ist da passiert? Welche Gedanken hast du dazu? Aus welcher Herkunftskultur kommst du?

Hast du vielleicht gelernt, dass du sowieso keine Wahl hast? Wurdest du sowieso gezwungen. Und nun musst du dich schmerzhaft damit auseinandersetzen, dass dein Kind sich weigert, sich zwingen zu lassen. Welche Gefühle kommen auf? Welche Gedanken? GUCK HIN! Es lohnt sich! Von da aus kannst du dich fragen:

„Wie kann ich mich unterstützen, wenn wir in diesen Konflikt kommen?“

Und genau da wird es interessant.

Du bist in Not!

Nimm das ernst und lass dein Kind in Ruhe!

Du bist in Not! Welche Art von Not ist das? Wie kannst du dich unterstützen?

Es kann sein, dass eine sehr offensichtliche Lösung ist, bestimmte Sachen selber zu machen. Oder es morgen zu machen. Oder eine andere Person um die Erledigung zu bitten. Oder später nochmal zu diskutieren.

Es kann aber auch sein, dass du bestimmte Sachen nicht aushältst, weil sie für dich belastet sind. Das hat mit deiner Geschichte und deiner Vergangenheit zu tun. Das ist in Ordnung. Du bist deswegen nicht falsch.

Das bedeutet einfach nur: Du hast da ein Thema.

Und genau das kannst du deinem Kind erzählen.

Palaver nicht über Gemeinschaft, sondern sei ehrlich!

„Ich hab da ein riesen Thema! Ich dreh völlig ab, wenn du den Klositz nicht runterklappst. Oder wenn hier niemand wischt. Das ist mir so wichtig, ich weiß auch nicht warum.“

Das ist ehrlich. Das ist Begegnung.

Sag, wie es dir geht.

Das heißt nicht, dass du eine Lösung erzwingen darfst, dass es in Ordnung ist, gewaltvoll zu handeln. Aber es ist der erste Schritt, dich wirklich zu zeigen und rauszugehen aus den Floskeln ( Das macht man aber so! In deinem Alter müsstest du aber mal…) und reinzugehen in deine persönlichen Werte. Das ist mir wichtig. Darum geht es mir.

Wenn du feststellst, dass es dir zB um Wertschätzung geht – das ist häufig der Fall bei diesen Themen – dann kannst du dich fragen: Warum muss ich meine Wertschätzung von diesem jungen Menschen erpressen? Kann ich vielleicht andere Wege finden?

Mein Weg aus dem Aufräumzwang

Ich kann dir sagen, wie es mir ging. Mir war es so wichtig, dass meine Kinder mit mir zusammen aufräumen. Sogar mein minikleines Kind sollte mindestens ein paar Klötze in den Korb legen. Ich hatte die Idee, ich müsse meinem Baby das Aufräumen beibringen, sonst würde es das niemals können. Typische Was-Hänschen-nicht-lernt-lernt-Hans-nimmer-mehr-Angst-Geschichte und ein typischer Vorlauf für Gewalt.

Irgendwann hab ich den Unsinn bemerkt, aber ich konnte nicht loslassen, ich wollte weiterhin, dass mein Kind aufräumt.

Bis mir auffiel, dass es mir um Wertschätzung geht. Ich erpresse meine Kinder, damit ich mich wertvoll fühle. Puh! Der hat gesessen. Das war ganz schön schmerzhaft.

Ich wollte das nicht mehr machen. Aber mein Bedürfnis nach Wertschätzung war hungrig. Ich überlegte, wie ich mir das anders geben könnte? Und allein dieses Draufschauen, mir nicht zu sagen, ich sei scheiße und eine schlechte Mutter, sondern festzustellen, dass mir etwas fehlt, dass ich mich blöde verhalte, weil es mir nicht gut geht, allein das hat schon so sehr geholfen. Und von da aus konnte ich dann Ideen suchen, mich zu unterstützen, mir Gutes tun, mir Wertschätzung zu besorgen.

  • Kann ich meine Lieblingsfreundin anrufen?
  • Kann ich einen schlauen Blogartikel schreiben?
  • Kann ich meinen Partner bitten, mich in den Arm zu nehmen?

Es gibt Tausende Strategien, sich wertgeschätzt zu fühlen, ohne das 10 Monate alte Baby zu zwingen, Bauklötze aufzuräumen.

Wenn du verstehst, dass dein Verhalten nur eine Strategie ist, kannst du verstehen, was du eigentlich brauchst.

Da kommst du aber nur hin, wenn du den Bullshit hinter dir lässt, wenn du aufhörst, zu wiederholen, die Kinder müssten es lernen und ihr wäret ja eine Gemeinschaft. Es lohnt sich, diese Floskeln zu hinterfragen und ehrlich hinzugucken, um dich dann da zu unterstützen, wo du wirklich Hilfe brauchst.

Welche Strategien helfen dir? Was machst du, um dich wertgeschätzt zu fühlen? Ich freu mich auf deine Ideen in den Kommentaren!