Dein Tag war lang. Du kommst nach Hause. Dein Kind weint. Der Haushalt sieht aus, als hätte jemand ihn für ein vorher-nachher-Bild eines Entrümpelungsunternehmens drapiert – und zwar als vorher-Bild.

Deine Kinder streiten. Der Haushalt wartet. Du bist müde.

Und irgendwo da passiert es. Du schickst deine Kinder ins Bett. Oder maulst sie an, dass sie nicht EINMAL Rücksicht nehmen. Oder willst nicht mit ihnen spielen.

Das ist das, was ich die kindliche Sollbruchstelle nenne: In einem System von Arbeit und Gesellschaft, in dem Bedürfnisse per Design keinen Platz haben, müssen sie irgendwo erfüllt werden. Und das passiert an unseren Kindern. Die müssen schlafen, aufstehen, mal warten, still sein und mit uns essen, damit wir mal was gemeinsam machen – weil wir dort, und nur dort, die Kontrolle haben.

Kinder sind uns ausgeliefert. Hier können wir Grenzen ziehen, Verhalten erzwingen und unsere Bedürfnisse verteidigen. Denn mit ihnen können wir es machen. Es ist sogar gesellschaftlich legitimiert, schließlich gibt es eine lebhafte Debatte, ob bedürfnisorientierte Elternschaft nicht Aufopferung sei, noch ein Bereich, in dem wir Bedürfnisse ignorieren.

Ich glaube, wir müssen dringend eine Welt designen, in der Bedürfnisse die wichtige Rolle spielen, die sie haben. Denn unsere Kinder sind darauf angewiesen, dass unsere Bedürfnisse erfüllt sind. Damit sie es nicht tun müssen.

Die Lebensfeindlichkeit, in der wir als Eltern leben, raubt mir oft den Atem. Ich kenne Eltern, die abwechselnd in Schichten arbeiten und sich nur nachts sehen, Kinder, die 10 Stunden in Betreuungseinrichtungen verbringen, Schulen, die jeden Lebensgeist aus den Kindern saugen.

Und dann ist da noch die innere elternliche Stimme, Schuldgefühle, Unsicherheit und eine komplett kinderfeindliche Umgebung.

Kein Wunder, dass das Kind da um 8 ins Bett muss, damit Mama mal Ruhe hat. Woher soll sie sie sonst nehmen?

Das Kind wird hier nur noch zum Symptomträger der lebensfeindlichen Umgebung seiner Eltern. Seine Funktionsfähigkeit wird zum Gradmesser des Erfolges. Wie traurig ist das denn.

Wie kannst du dich befreien?

Dir ein geileres Leben schaffen. Du kannst damit anfangen, dich zu weigern, Vorgaben zu entsprechen, die nicht deine sind. Chaos im Haushalt stört dich nicht? Prima, hör auf, aufzuräumen. Du glaubst nicht, dass Hausaufgaben Sinn ergeben? Dann spiele nicht mehr den verlängerten Arm für eine Dressuranstalt, die die letzten Jahrhunderte verschlafen hat.

Und dann kannst du konsequent anfangen, dir Gutes zu tun.

Mach dir eine Liste von Dingen, die du liebst und tue mindestens einmal am Tag eine Sache davon. Genieße. Reise. Trink mehr Tee.

Der Wille, uns als Eltern der allgemeinen Bedürfnisblindheit unterzuordnen, ist der Treibstoff entfremdeter Lebenswelten. Sobald wir anfangen, nein zu sagen zu Ansprüchen, die wir nicht teilen, und ja zu sagen zu uns, können wir auch die Verantwortung für die Kinder wieder übernehmen. Und nicht bei ihnen und ihrem Verhalten die Lösung für den systemischen Druck suchen. Das ist unfair. Hören wir auf damit.