Eines der Dinge, die mich wirklich beunruhigen in der Debatte über Kinder, ist die verkürzte Idee von Freiheit, die ich darin lese. Diese Idee bedeutet im Kern, dem Kind maximal Wahlfreiheit zu lassen. Wahlfreiheit ist aber nur ein Teil von Freiheit. Und sie übersieht etwas Wesentliches, was für die Form von Freiheit, die der Verzicht auf Erziehung bedeutet, entscheiden ist. Aber fangen wir von vorne an.“

Kinder werden abhängig geboren.

Das Machtverhältnis, in das Kinder geboren werden ist 100 zu 0. Ein so extremes Machtverhältnis finden wir so nicht noch einmal wieder, selbst in z.B. Gefängissen ist es so, dass die Insassen durch ihre bloße Existenz die Wirtschaftlichkeit einer Einrichtung sichern, das Machtverhältnis also etwas ausgewogener ist.

Wenn Eltern aber nichts tun, wenn ihr Kind weint, dann erhält es keine Hilfe. Wenn sie es nicht tragen, wenn es getragen werden will, dann wird es dieses Bedürfnis nicht erfüllt bekommen. Wenn sie es nicht füttern, dann stirbt es. Wenn sie es nicht berühren, auch.

Ich sage das nicht, um dir ein schlechtes Gewissen zu machen. Aber ich glaube, wir tun uns keinen Gefallen, indem wir so tun, als hätte das Kind grundsätzlich eine Wahl. Es ist geboren, wohin es geboren wurde. Ob es in einem Haus oder einer Wohnung wohnt, ob es in der Stadt oder auf dem Land wohnt, ob es viel oder wenig Geld zur Verfügung hat, ob es mit psychisch stabilen Eltern wohnt oder nicht und vieles, vieles, vieles mehr, kann es nicht beeinflussen. Es ist ausgeliefert.

‚Macht‘ beschreibt hier nicht nur unsere körperliche Stärke. Es beschreibt auch unseren Einfluss auf die fragile Psyche des Kindes. Unser Geld. Unser Wissen. All das können wir mit Hilfe der Systemtheorie als ‚Machtattribute‘ bündeln und feststellen – in jedem einzelnen Bereich dauert es viele, viele Jahre ehe das Kind auch nur den Ansatz einer Wahl hat.

Und erst mit der Wahl kommt etwas, was wir als Freiheit bezeichnen können.

Es gibt also keine Freiheit für Kinder. In diesem Sinne.

In der Philosophie wird Freiheit u.a. aber auch als ‚Freiheit von etwas‘ definiert (einen schönen Input zu sog. ‚positiver‘ und ’negativer‘ Freiheit gibt es hier). Und das ist die Freiheit, die wir unseren Kindern schenken dürfen und sollten. Freiheit davon, bewertet zu werden. Freiheit von Strafen. Freiheit von Zwang.

Das ist aber keine absolute Freiheit. Es sind Abstufungen und Abwägungen. Wenn du in Deutschland lebst, muss dein Kind – zumindest theoretisch – in die Schule. Du als Erwachsene*r hast die Freiheit, zu entscheiden, ob du dich an dieses Gesetz halten willst. Das Kind nicht. Solange du entscheidest, ist es dem ausgeliefert. Es hat nicht das Wissen und die Erfahrung, diese Entscheidung zu treffen.

Was nicht heißt, dass du ihm*ihr nicht zuhören solltest. ‚Freie Kinder‘ bedeutet in diesem Fall, wenn überhaupt, dass du dein Kind, so gut wie es geht, beschützt. Das kann heißen, dass du Lösungen jenseits von Schule finden möchtest – auf deine Verantwortung.

Fazit: Freiheit ist kompliziert. Und eines der Probleme in unserer Gesellschaft ist, dass wir Freiheit als reine Wahlfreiheit propagieren, während wir die echte innere Freiheit, die Verantwortung für unser Leben zu übernehmen, nicht ergreifen können. Und letzteres ist für ein Kind in seiner massiven Abhängigkeit nicht möglich. Es ist eine Frage der Reife.

Es gibt keine freien Kinder. Was wir aber tun können, ist, ihre Kindheit zu schützen, so dass sie, wenn sie unserem Macht- und Einflussbereich entwachsen sind, mit den enormen Möglichkeiten dieser Welt gut umgehen können.