Was geil ist, wenn du nicht erziehst: Es gibt hunderte Möglichkeiten.
Früher dachte ich – nicht bewusst, aber doch – über Probleme so nach, dass entweder mein Kind oder ich Recht bekommen würden. Entweder es putzt sofort seine Zähne oder ich verliere. Entweder es hört sofort auf, mich zu hauen oder ich verliere.
Es war schrecklich.
Zum Glück habe ich damit aufgehört, zu erziehen. Und angefangen etwas viel Schöneres zu tun: Lösungen suchen.
Wenn ich damit befasst bin, entweder-oder zu denken und zu fühlen, dann bin ich im Problem. Ich male mir aus, wie es wäre, wenn mein Kind anders wäre (‚Der Xy ist nicht so stur!‘) oder werfe mir vor, so zu fühlen, wie ich fühle (‚Mann ey, nie habe ich Bock, mit meinem Kind zu spielen!‘).
Ich konzentriere mich auf das Problem. Alles in mir ist angespannt und gestresst.
Und dann die Gedanken!
Wenn ich denke, dass ich gerne anders wäre oder wie doof ich bin oder das Wetter oder mein Kind – dann sabotiere ich mich. Ich stelle sicher, dass ich keine Lösung finde. Ich tue mir weh.
Gerade die Idee des ‚könnte-müsste-sollte‘ ist verheerend. Eine zweite Realität wird in meinem Kopf aufgemacht: So sollte ich sein! So müsste mein Kind sein! So könnte ich endlich zufrieden sein!
Das Problem: Es IST nicht die Realität. Es sind meine Gedanken, die sich weigern anzuerkennen, dass es nicht so ist, wie ich wollte.
Es ist meine Unfähigkeit zu trauern. Meine Angst vor Fehlern. Meine Hilflosigkeit, wenn es um Gefühle geht.
Nicht die Realität.
Wie aber finde ich nun Lösungen?
Indem ich aufhöre, mich mit dem Problem aufzuhalten. Indem ich entscheiden lerne. Und endlich, endlich Frieden mit dem schließe, was ist.
Sieh, ob du dich beim Klagen erwischst, ob du mit Worten oder in Gedanken klagst – über die Situation, in der du dich befindest, darüber, was andere Leute tun oder sagen, über deine Umgebung, deine Lebenssituation, das Wetter. Sich beklagen ist immer Nichtannehmen von dem, was ist. Darin ist immer eine unbewusse negative Ladung enthalten. Wenn du dich beklagst, machst du dich selbst zum Opfer. Wenn du Stellung beziehst, dann bist du in deiner Kraft. Verändere also die Situation, indem du handelst, indem du die Dinge beim Namen nennst, wenn nötig oder möglich, lass die Situation hinter dir oder akzeptiere sie. Alles andere ist Wahnsinn.
Eckhart Tolle ‚Jetzt!‘
Lösungen kannst du erst finden, wenn deine Energie bei dem ist, was GEHT, nicht bei dem, was nicht geht. Wenn du konstruktiv, also ‚bauend‘ bist, kannst du dich nicht mit dem aufhalten, was nicht geht. Tu es beiseite. Arbeite mit dem, was du hast.
Du bist müde? Dann suche eine Lösung, bei der du ruhen kannst. Spiele ein Spiel im Liegen, wenn dein Kind spielen will (über die Kunst des ‚undens‘ hier meine Kollegin Lena). Wenn dein Kind nicht die Zähne putzt, mache eine Liste von Dingen, die möglich sind und die die Integrität nicht verletzen.
Was du dafür brauchst: Einen genauen Blick auf das, was ihr braucht, du und dein Kind. Eure Bedürfnisse stehen nicht konträr. Sie stehen für sich selber.
Versuch sie zu vereinen – setze dich neben dein plantschendes Kind an die Badewanne und lies ein Buch.
Lass deine Ideen davon, wie deine Elternschaft zu sein hat, los und lebe die Elternschaft, die du leben kannst und willst. Lass den Haushalt so sein, wie er ist, gegen eure Beziehung kann er nicht bestehen, so prioritätenmäßig.
Ich habe lange geglaubt, dass ich nur wenige Handlungsmöglichkeiten hätte. Heute erkenne ich in Konflikten durch viel Übung schnell, welche Lösungen da sind – und nein, nicht immer sind es viele. Aber immer sind es mehr als vorher, als ich im Korsett von Erziehung steckte.
Und nein – sanft das Kind dazu zu bringen, zu gehorchen, ist trotzdem Erziehung. Es geht um Miteinander und Respekt. Und ja, manchmal bedeutet das, dass du noch eine Stunde länger schaukelst. Denke an die vielen, vielen Male, die dein Kind irgendwo mit hingegangen ist und nicht wollte, die dein Kind kooperiert hat, weil es ein wunderbares soziales Wesen ist.
Ja. Es geht, es braucht deinen Mut und deine Selbstverantwortung. Und dann ist jedes Problem eine Eröffnung für das, was Beziehung und Lernen gleichermaßen charakterisiert wie nährt: Kreativität.
Ich verstehe noch nicht wie ich annehmen kann was ist und wie wir sind (das Kind und ich) und gleichzeitig verändere und umlerne was ich anerzogenen bekam. Vermutlich liegt der Schlüssel im jetzt? Das umlernen braucht aber doch die Verneinung vom bisherigen, oder? Oder ist es als Weiterentwicklung zu sehen? Denn das Kind das laufen kann verachtet sich ja auch nicht rückwirkend fürs krabbeln.
Danke für deine Artikel!!
Hanna, genau – der Schlüssel liegt im Annehmen. und in der Differenzierung zwischen Schuld und Verantwortung. Dass du etwas moralisch falsches getan hast bedeutet nicht, dass du falsch BIST.
Grüße, Ruth
hallo hanna,
ich sehe wohl auch, dass in vielen situationen alternativen existieren die man aufgrund eigener erziehung, also erfahrungen die man gemacht hat, einfach nicht zulaesst. es gibt aber situationen in denen ich das gefuehl habe keine alternative zu haben. ich habe ein vorstellungsgespraech. mein plan war es, mein kind bis 7 in der kita abzugeben. gegen 6 ist meine tochter noch immer nicht angezogen weil die rosa socken urploetzlich doch nicht farblich passen und sie eben auf einmal grau mag. mir ist es eigentlich voellig egal welche sie anzieht, aber anziehen muss sie ein paar, weil sie sich sonst trotz stiefeln gegen die naesse, erkaelten wird. „ist mir egal“ hoere ich noch und nehme mein kind unter den arm. mittlerweile mit einem beutel samt aller bekleidung bestueckt und verlasse das haus mit beutel in der einen hand und kind unter dem anderen arm.
wenn ich den job nicht bekomme hilft alle gelassenheit nicht. dann bin ich die mietwohung los. vllt. ist mein vermieter ja auch so gelassen? wohl eher nicht… ich stecke in der grossen quarkmuehle von managern und terminen und muss mich dem anpassen, sonst gehe ich unter in dieser von finanzen bestimmten welt. ob ich will oder nicht, mein kind MUSS in diesem fall einfach „funktionieren“. alternativ spare ich mir heute die einhaltung des termins und ab naechsten monat spare ich mir die einkaeufe. bezahlen kann ich sie dann ja sowieso nicht mehr.
und bitte keine informationen ueber arbeitslosengeld oder such dir nen familienfreundlichen chef. gehen sie mal zum arbeitsamt und sagen sie, sie haetten gern nen familienfreundlichen chef. das gelaechter ist dann sofort bei ihnen auch wenn das offiziell keiner zugeben wird. hier gehts auch nur um zahlen, abgeschlossene faelle und geld geld geld.
gruesse aus der bescheidenen realitaet
ich muss mich korrigieren… es sollte heissen
gruesse aus MEINER bescheidenen realitaet…
es sollte nicht aggressiv wirken!
Ich verstehe den Sinn dahin nicht, Kindern keine Grenzen aufzuzeigen. Es gibt Wege, Nein, ohne den Dampfhammer zu vermitteln. Man kann mit seinem Kind zusammen leben und die eigene Persönlichkeit sowie die des Kindes achten, auch eigene Grenzen aufzeigen, ohne Kindern das Kind- und Menschsein zu nehmen. Wie bitte kann ich als Mensch Toleranzen bilden, wenn ich gar nicht gelernt habe, das ein Nein nicht zwangsläufig nicht das Ende der Welt bedeutet? Ich glaube, dass jeder Mensch anders ist und dieser Nichterziehungsstil auch nicht für jeden geeignet ist. Er eignet sich aus meiner Sicht am besten für Eltern, die sehr emphatisch sind, die früh spüren können, was ihr kleines und großes Gegenüber braucht. Ich glaube auch, dass „Unerzogen“ möglicherweise oft falsch interpretiert wird (auch bestimmt sogar von mir), z. B. von Menschen, die einfach faul sind und keinen Bock auf Stress mit ihren Kindern haben. Ich erlebe das traurigerweise in meiner eigenen Familie, wie dieser Erziehungsstil A…lochkinder formt, die nicht gelernt haben, Rücksicht auf andere zu nehmen. Die nicht mit anderen teilen, weil sie es nicht gelernt haben, weil sie es „nicht müssen“, die dies aber von anderen einfordern. Die laut herumschreien, sobald sie ihren Willen nicht bekommen, weil sie nicht gelernt haben, dass zumindest andere Menschen Grenzen haben. Die sich einschmeicheln, wenn sie etwas haben wollen, weil sie wissen, dass sie ihren Willen häufig ohne Probleme durchsetzen, denn es gibt kein Nein, und keinen Willen Grenzen aufzuzeigen. Kinder, die Grenzen nicht kennen und damit nicht umgehen können. Ein Beispiel. Die Oma näht in mühevoller Kleinarbeit der Enkeltochter ein weißes Kleid für eine Hochzeit. Sie bringt das Kleid mit und die Kleine will es sofort im Sandkasten anziehen, woraufhin klar ist, dass das Kleid innerhalb kürzester Zeit verdorben wäre. Ein Nein der Oma, mit der Erklärung warum es nicht geht, ist dem Kind egal. Es fängt laut an zu schreien und kann sich nicht beruhigen. Das gleiche Kind möchte auf ein Schaukelpferd, in das man einen Euro stecken kann. Der Opa steckt in Folge mehrfach Geld hinein, weil das Enkelkind immer mehr und mehr fordert. Nach einer Weile sagt er ruhig, dass es nun reichen würde, weshalb die Kleine wieder laut schreit und heult. Als der Opa sagt, dass es nun auch mal mit dem Schreien gut ist, bekommt er Ärger mit der seiner Schwiegertochter, die ihn heruntermacht, er dürfe das Kind nicht erziehen. Wo ist denn da der Sinn? Die Schwiegertochter darf dem Opa Grenzen zeigen, weil er dem Enkelkind keine Grenzen zeigen soll? Wäre es konsequent, so müsste sie auch den Opa in Ruhe lassen, dürfte ihn nicht erziehen. Aber ich frage mich, wo würde das hinführen, wenn alle so miteinander umgehen würden?
Ist das richtig? Müssen wir solche Menschen heranziehen? Die Diktatoren ihrer Eltern und ihrer Umwelt sind, weil sie wissen, dass es keine Grenzen gibt. Werden solche Menschen angesichts der Tatsache, dass sie auf kurz oder lang mit Grenzen und Neins konfrontiert werden, nicht in tiefe Löchern fallen, weil sie nie kennengelernt haben, dass es nicht das Ende der Welt bedeutet? Ich bin alleinerziehend und arbeite in Vollzeit. Ich habe wenig Zeit für alles. Zum Einkaufen, zum Ausruhen, zum Kreativsein. Gerade letzteres ist mir sehr wichtig. Und wir schaffen es uns diesen Freiraum zu basteln. Ich muss aber mein Kind nicht schleppen, ich integriere es, ohne es herum zu zerren. Dazu gehört auch mal ein Nein, wenn ich nicht mehr kann oder möchte oder das Vermitteln an mein Kind, dass es ich es eilig habe, weil ich zur Arbeit gehen muss. Das erschafft auch in ihr ein Verständnis dafür, was ich selbst gewisse Dinge nun mal innerhalb außen geschaffener Grenzen erledige. Um bspw. Geld zu verdienen. Wir werden manchmal beäugt, manche denken, mein Kind ist einfach nur lieb oder bekommt meinen Willen aufgedrückt aber es stimmt nicht. Wir machen halt alles was geht, gemeinsam und wenn es nicht geht, dann ist das eben so, aber es bringt uns nicht um. Vor allem aber, wir sind ehrlich zu einander, schon immer. Heißt, ich sage auch mal, wenn ich nicht mehr kann und das bedeutet manchmal auch ein Nein. Kinder verstehen viel mehr, als man denkt. Man muss sie nicht in Watte packen, aus Angst, sie zu verbiegen. Man kann sie zu klugen und verständigen Menschen machen, indem man aufhört, an ihnen herumzudoktern und einfach mit ihnen lebt. Meine Tochter, inzwischen 8 Jahre, ist konventionell „erzogen“ und gehört zu den rücksichtsvollsten, tolerantesten und liebevollsten Menschen, die ich kenne. Dennoch hat sie einen starken Willen und ist ein Freigeist. Ich habe nie ein Buch zu Erziehungstilen, Einschlafbücher oder sonstiges gelesen, sondern immer nur nach Gefühl gehandelt. Dazu gehörte auch mal ein Nein, wenn mein Gefühl mir sagte, dass es reicht.
Es gibt Regeln und Erziehungsstile, die sind sicher zur starr und beschneiden Persönlichkeiten. Aber das Kennen von Neins und Grenzen ist wichtig. Das Leben selbst besteht aus Grenzen. Die wichtigste ist das Leben selbst. Anderenfalls würden wir ewig leben. Die Natur zeigt uns, dass es Grenzen gibt. Warum also Leben ohne Grenzen? Je besser man mit Grenzen umgehen kann, umso freier kann man leben. Grenzen können und müssen sogar erweitert werden, aber um das zu erreichen, muss man erstmal ein Gefühl dafür bekommen, was das ist.
Am Ende gilt der weise Ausspruch von Karl Valentin – Man kann Kinder nicht erziehen, sie machen uns sowieso alles nach.
super geschrieben, ich sehe es genau so. Ein “ nein“ bedeutet nicht immer automatisch was schlechtes fürs Kind. Grenzen sind nichts negatives fürs Kind, sondern geben eine gewisse Lebensrichtung vor und wenn man in einer Gesellschaft lebt, wird es immer Grenzen geben egal ob sie von dieser vorgegeben sind oder ich sie mir selber setzte, um in ihr zu existieren.
Hallo Ute, ich lese bei unerzogen und ähnlichen Seiten heraus, wie wichtig es ist für sich selbst zu sprechen und in Beziehung gemeinsam Lösungen für unterschiedliche Bedürfnisse zu entwickeln. Das kann aus meiner Sicht gleichgesetzt werden mit „Grenzen setzen“ oder nein sagen- entspringt aus meiner Sicht allerdings einer anderen Haltung und hilfreicheren, weiterführenden Sichtweise.
Und das Weinen des Kindes hilft ihm oder ihr anzunehmen, das es anders ist als gedacht, gehofft gewünscht. Hier kann ich von Herzen Vivian Dittmar empfehlen. Sie beschreibt Gefühle und deren Ausdruck als Kräfte, die uns helfen mit den Widersprüchen und Schwierigkeiten im Leben umgehen zu können. Für diese Sichtweise bin ich so unglaublich dankbar.
Was für ein mutmachender Artikel!
Ich stöbere hier nun seit ein paar Tagen herum und hangel mich von Artikel zu Artikel. Die Idee Kinder „unerzogen“ zu begleiten finde ich immer großartiger und es bringt mich so ins Nachdenken über mich, meine eigene Kindheit, mein Kind, meinen Umgang mit ihm, meinen Umgang mit anderen generell und dann beobachte ich momentan eifrig das Verhalten von Eltern, Großeltern usw. und ENDLICH kriege ich immer mehr Mut mein Kind nicht erziehen „zu müssen“ und einfach frei von der ganzen Erziehung in einer BEziehung zu meinem Kind zu leben, so wie es vorgesehen ist.
Danke für’s Mut machen!
Gern!
Ein sehr schöner Artikel, und mit einem Kind auch gut umsetzbar. Wie ist das aber mit mehr als zwei Kindern? Gibt es dazu auch ein Buch, oder Artikel? Ich komm hier nämlich mit 5 Kindern an meine Grenzen. Die zwei Grßen sind zwar schon in der Pubertät, haben aber auch ihre Zeiten, wo sie mich brauchen.
Hallo!
Ich selber habe drei Kinder – die Kinderanzahl setzt den eigenen Werten natürlich keine Grenzen. Trotzdem brauchen wir oft noch andere Lösungen und haben weniger Optionen als mit einem.
Grüße, Ruth