Diese Ressourcen sind sehr ungleich verteilt. Weltweit fällt das besonders auf, aber auch im kleinen Stil sehen wir, dass manche Menschen priviligierter sind, als andere.
Friedvolle Elternschaft und Bedürfnisse
Warum sind Ressourcen gerade in der friedvollen Elternschaft so wichtig?
Friedvolle Elternschaft beruht auf Bedürfniserfüllung aller Beteiligten. Nicht nur vom Kind, sondern auch von mir selber, von allen anderen in der Familie und auch außerfamiliären Menschen in der unmittelbaren Umgebung.
Je besser deine Bedürfnisse erfüllt sind, desto einfacher ist es, friedvoll zu handeln.
Du kennst das selber, wenn du abends müde und irgendwie nicht gut drauf bist, am Tag doofe Sachen passiert sind und du dazu nicht gut gegessen hast am Tag flippst du viel leichter aus, wenn dein Kind dann auch noch etwas von dir will, als wenn du gerade gute Laune hast und alles entspannt ist und dein Kind dann will, dass zum 394. Mal die gleiche Geschichte vorliest. Das ist eine ganz simple Rechnung.
Friedvolle Elternschaft und verschiedene Ressourcen
Der Zugang zu Ressourcen ist nicht für alle gleich. Und die Ressourcen, die wir haben, sind unterschiedlich.
Da sind psychologische Ressourcen, also zB die eigene psychische Gesundheit. Für manche Menschen ist da weniger Stabilität möglich und sie fallen viel leichter raus aus ihrer Bedürfniserfüllung bzw haben spezielle Strategien, die nicht immer leicht umsetzbar sind, weil sie psychisch nicht gesund sind.
Da ist so etwas wie eine Grundenergie. Für manche Menschen ist das Leben an sich ein extremer Energiesauger. Hochsensible Menschen, neurodiverse Menschen kostet einfach nur leben, existieren, mit anderen Menschen sprechen, irgendwie das Leben auf die Reihe kriegen, morgens aus dem Bett gehen schon enorme Energie.
Zugang zu Bildung, Infrastruktur, Zugang zum Internet, leben in einer stabilen, demokratischen Gesellschaft sind Ressourcen, über die du und ich vermutlich nicht so viel nachdenken. Zumindest, wenn du zu meiner Kernzielgruppe gehörst, ist das etwas, was du einfach voraussetzt, was aber keineswegs selbstverständlich ist.
Verbindung zu anderen Menschen ist eine sehr wichtige Ressource. Sind wir gut eingebettet in unsere Familie und unseren Freund*innenkreis? Haben wir eine unterstützende Herkunftsfamilie? Leben wir an einem Ort, an dem wir tolle Menschen um uns herum haben? Haben wir ein auf unseren Charakter und unsere Bedürfnisse zugeschnittenes Umfeld? Oder leben wir irgendwo, wo wir uns nicht wohlfühlen?
Ebenfalls sehr, sehr wichtig: ökonomische Ressourcen. Da gehören ein Stück weit auch Bildung, Autorität und Anerkennung hinzu. Welche Möglichkeiten, welchen Zugang haben wir, um potentiell Geld zu verdienen? Es ist leichter Geld zu verdienen, wenn bestimmte andere Ressourcen bereits da sind, zB Zugang zum Internet oder Infrastruktur. Du siehst, Ressourcen sind miteinander verbunden. Wenn bestimmte Ressourcen irgendwo vermehrt auftreten, sind auch andere vorhanden.
All diese Beispiele an Ressourcen können uns zur Erfüllung unserer Bedürfnisse dienen, bzw wenn sie nicht vorhanden sind, dazu führen, dass Bedürfnisse unerfüllt sind.
Friedvolle Elternschaft und Priviliegien
Wenn es um Ressourcen geht, brauchen wir definitiv eine Diskussion über Privilegien.
Wenn du es in deinem Alltag an bestimmten Stellen schwer hast, wenn du merkst, manche Sachen lassen sich für mich nicht lösen, macht es Sinn, einmal zu gucken:
- Was sind meine ganz realen Ressourcen?
- Wie sehen meine psychischen Ressourcen aus?
- Welche physischen Ressourcen bringe ich mit?
- Welche ökonomischen Ressourcen sind vorhanden?
- Auf welche gesellschaftlichen Ressourcen kann ich bauen?
Ich bin ein Fan davon, das relativ unemotional zu tun. Guck doch mal in einem Moment, in dem es dir relativ gut geht, darauf, was dir genau zur Verfügung steht.
Ich finde es weder hilfreich zu sagen: Oh, ich bin hier super unterprivilegiert, da kann ich ja leider gar nichts machen, das ist alles doof und ich bin ganz schrecklich dran. Noch: Oh, ich sollte so dankbar sein, ich bin so furchtbar überprivilegiert.
Manchmal kann es wichtig sein, sich einzuordnen und sich klarzumachen, dass sowas wie Zugang zum Internet oder eine Straße, auf der ich fahren kann, oder ein Sozialsystem, was mich auffängt, oder eine demokratische Gesellschaft, in der meine Rechte verbrieft sind, schon enorme Privilegien sind. Aber für deine individuelle Situation ist es nicht unbedingt hilfreich.
Wenn wir klar haben, welche Ressourcen da sind, welche Privilegien wir haben, die wir nutzen können, ist es auch wichtig, zu verstehen, dass es oft Spielräume gibt im Rahmen dieser Ressourcen.
- Wo habe ich Spielraum?
- Wo kann ich entscheiden?
- Rede ich mir vielleicht ein, keine Wahl zu haben?
- Trau ich mich vielleicht nicht, gewisse Ressourcen anzuzapfen? Ich habe zB tolle Menschen um mich herum, aber ich hab verlernt, um Hilfe bitten?
Ressourcen zur Bedürfniserfüllung in der friedvollen Elternschaft
Ich finde es sehr, sehr hilfreich, erst einmal festzustellen, welche realen Ressourcen da sind, aus denen heraus ich meine Bedürfnis erfüllen kann und aus denen heraus meine Kinder ihre Bedürfnisse erfüllen können.
Ich zum Beispiel habe zu Beginn, als ich in die friedvolle Elternschaft reingewachsen bin, sehr wenig Geld gehabt. Wenn du mal richtig, richtig wenig Geld hattest oder vielleicht auch gerade sehr wenig Geld hast, weißt du, was für eine Belastung das ist. Auch für die Beziehung zum Kind, weil es eben rundum belastend ist.
Das bedeutet, dass ich viel öfter Nein sagen musste, weil einfach nicht genug Geld da war. Das waren noch nicht mal erzieherische Ansprüche, die ich da hätte. Es war einfach nicht genug da. Die Frage war nicht: Kauf ich mir jetzt einen leckeren Kaffee oder kriegt mein Kind ein Plastikspielzeug. Nein, die Frage war: Haben wir morgen noch was zu essen, wenn ich das Geld jetzt ausgebe für das Spielzeug? Das sind reale Restriktionen.
Ich persönlich habe lange den Fehler gemacht, zu denken: Ich kann an dieser Stelle einfach nicht friedvoll sein, weil ich etwas verbiete. Ich kann nicht liebevoll sein, weil Verbote böse sind. Ich kann es einfach nicht richtig machen. Totaler Quatsch!
Manchmal sind die Ressourcen für eine sexy Lösung einfach nicht vorhanden.
Irgendwann habe ich dann verstanden, dass mit meinen Ressourcen die Möglichkeit für eine Lösung, mit der alle zufrieden sind, schlicht nicht da war. Der Entscheidungsfreiraum war einfach nicht vorhanden. Da ging es nicht um gut oder schlecht, es war einfach Teil unserer realen Lebensumstände.
Ein anderes Beispiel, was mir oft begegnet, ist das Leben ohne Schule. Da sagen Leute: Wenn ich es richtig machen würde, würde ich mein Kind nicht in die Schule zwingen. Wenn wir dann auf die Ressourcen gucken, auf die reale Lebenssituation, stellen wir fest, das Kind muss in die Schule gehen, damit ich entlastet bin, weil es einfach keine andere Person gibt, die sich um das Kind kümmern kann oder weil meine eigene psychische Gesundheit nicht stabil genug ist oder weil ich nicht die finanziellen Möglichkeiten habe, das Kind außerhalb der Schule zu betreuen. Viele Menschen, die sagen, sie wären gerne schulfrei, realisieren nicht, dass sie ihre Kinder nicht deswegen zur Schule schicken, weil sie uncool sind oder weil sie nicht genug Mut haben oder sowas, sondern weil die realen Ressourcen nicht zu dem Vorhaben passen.
Scham, Schuld und Druck machen dich nicht friedvoll.
Nochmal zusammengefasst: Um unsere Möglichkeiten ausschöpfen zu können, müssen wir zuerst verstehen, welche Ressourcen und Priviliegien wir haben und welche nicht. Wir müssen klar haben, wo es eben keine Frage der Entscheidung ist – wenn wir zB Diskriminierungsmerkmale mit mir herumtrage, ist das keine Entscheidung – und wo wir Spielraum haben. Von da aus können wir gucken, auf welchen Ebenen wir unsere Bedürfnisse erfüllen können. Welche Ressourcen kann ich anzapfen, sie voll nutzen, um Bedürfnisse zu erfüllen? So gut ich es eben kann!
Wir alle dürfen lernen, unsere Ressourcen und Möglichkeiten voll zu nutzen.
Ich bin sehr gespannt, denn ich habe das Gefühl, es wird eine größere Diskussion geben hierzu. Ich freu mich auf deine Gedanken, auf deinen Input. Schreib super gerne in die Kommentare.
Danke für deinen Artikel Ruth! Sag mal gibts irgendwo etwas „handfestes“, wo ich nach meinen Privilegien und Ressourcen schauen bzw diese abchecken kann?
Das würde mir helfen, mir Dinge klarer zu machen.
Mich hinzusetzen, weil ich einen Leitfaden habe (so wie du es ja auch schon angerissen hast).
Und wäge ich da ab?
Ich meine, ich beziehe HartzIV, das ist wenig und wir befinden uns in Armut.
Aber andere Menschen haben das nicht und noch weniger und wenn ich an die Gesamtsituation denke, bin ich da sowohl privilegiert als auch arm 🤔
Danke echt für deine Sicht! Sie holt mich ab. Ich struggle momentan sehr stark und stelle mich in Frage. Das ist nicht besonders hilfreich,
Da ist der unemotionale Blick auf meine Ressourcen ein machbarer Schritt! 🙏
Danke für deinen Input liebe Ruth!
Ich hätte eine kurze Frage zu einem kleinen Punkt den du erwähnt hast. Du hast als Ressource auch das soziale Netzwerk genannt, Verbindungen zu seinem sozialen Umfeld, Bedürfnis nach sozialen Kontakten und co.
Ich merke oft, dass ich mich dadurch enorm unter Druck gesetzt fühle, weil ich das so oft vom Umfeld höre nach dem Motto „Du hast viel zu wenig soz Kontakte, du brauchst das doch! Jeder Mensch braucht das!“ blabla. Nun ist es aber so, dass ich selbst hochsensibel bin und wir vermuten unsere Tochter auch. Ich bin hochsensibel vom introvertierten Typ. Mein Bedarf nach sozialer Interaktion ist seeehr schnell erfüllt. Es ist exakt wir du beschrieben hast, das „normale“ Leben/Alltag kostet mich schon so viel Energie. Erst recht mit Kleinkind. Angefangen von fertig machen über einkaufen gehen, Spielplatz und co. Nach einem Besuch der Mutter meines Mannes ist mein Hirn völlig full full. Das ist zB einfach absolut kein Kontakt der mich ansatzweise aufkädt, eher das Gehenteil.
An diesee Stelle finde ich das immer so schwierig diesem Bedürfnis gerecht zu werden, der Grad ist soo schmal.
Ich freue mich über Gedanken dazu. Sollte es jemandem ähnlich gehen, freu ich mich über die eigene Erfahrungen.
Alles Liebe,
Sarah
Hallo Sarah,
ich habe mich von deinem Kommentar sowas von angesprochen gefühlt.
Ich habe zwar auch das Bedürfnis nach sozialen Kontakten und mir geht es auch nicht gut wenn ich das zu lange aussetze.
Aber mich erschöpft es auch schnell, wenn das nicht gerade jemand ist, bei dem ich mich total fallen lassen kann und dadurch aufladen kann. Irgendwie schon blöd, ob das dann tatsächlich immer nur die Hochsensibilität ist oder noch was anderes dahinter steckt?
Liebe Grüße