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Wir leben in einer Gesellschaft, die sehr darauf optimiert ist, dass wir alles sofort bekommen und dass die Dinge, die wir machen, eine sofortige Wirkung zeigen.
Ich finde das in vielerlei Hinsicht toll. Ich finde es super, dass wir unsere Wäsche nicht mehr in Körben zum Fluss tragen und dann im eisigen Wasser mit den Händen waschen müssen, sondern dass eine Maschine das für uns übernimmt und wir dadurch viel schneller und ohne den gesamten Aufwand den Belohnungseffekt und die Freude über die frische Wäsche haben. Ich finde diese convenience-Sachen – Dinge schnell und effektiv machen – auch und gerade für uns Eltern super unterstützend.
Das wird hier ganz bestimmt kein Technologie-Bashing. Wenn du meine Arbeit kennst, weißt du, dass ich ein großer Fan davon bin – natürlich, ich bin online-Unternehmerin.
Aber ich glaube, wir vergessen manchmal, dass es Dinge gibt, die sich nicht beschleunigen lassen, bzw deren Beschleunigung und der Versuch sofort ein schnelles, angenehmes Ergebnis zu haben, schadet.
Das ist einmal in Bezug auf Beziehungen der Fall und zweitens in Bezug auf Verhaltensveränderungen. Bestimmt ist es bei anderen Sachen auch so, aber hier reden wir ja über Eltern-Kind-Beziehungen und darüber wie wir friedvoller mit unseren Kindern sein können.
Verhaltensveränderungen
Vielleicht bist du hier gelandet, weil du google oder ecosia angeschmissen und eingegeben hast: „ich will nicht mehr so viel schimpfen„. Vielleicht bist du auch insgesamt auf der Suche nach dem, was für dich passt, was für dich richtig ist und willst grundsätzlich etwas verändern an deinem Umgang mit deinem Kind. Du willst eine Verhaltensveränderung herbeiführen.
Total gute Idee!
Manchmal merken wir, bestimmte Handlungen oder Automatismen, die wir zeigen, passen nicht mehr zu uns und unseren Werten, auf die wollen wir nicht zurückschauen, wenn wir irgendwann auf dem Sterbebett liegen. Ich finde es genau richtig, so etwas wahrzunehmen und ggf zu korrigieren.
Die Frage ist aber, wie wir das tun.
Das kann nämlich ganz schnell erziehend werden:
- Wertest du dich ab?
- Machst du dich fertig?
- Fühlst du dich schuldig?
- Bist du gemein zu dir?
- Beschimpfst du dich, wenn du etwas nicht hinbekommst?
Oder – und genau darum geht es ja bei uns beim Kompass, bei den Weggefährt*innen:
- Beobachtest du erstmal, warum du etwas machst?
- Unterstellst du dir Gutes?
- Und gehst dann einen nächsten, machbaren Schritt?
Instant Gratification – sofortige Belohnung
Was uns oft im Weg steht bei der Umsetzung, ist das Konzept von Instant Gratification, sofortiger Belohnung. Unser Gehirn steht da total drauf. Es mag gelöste Probleme.
Und natürlich ist es im ersten Moment einfacher, das zu tun, was ich schon immer getan habe. Erstmal dem alten Gedanken zu glauben, der da in meinem Kopf rumspukt. Erstmal das Kind anzuschreien, damit es endlich still ist und ich meine Ruhe habe. Mit einer Person, die vollkommen abhängig ist von mir, lassen sich Probleme super leicht lösen. Ich benutze einfach meine Macht.
Gerade im Umgang mit Kindern ist normalerweise das, was wir gelernt haben, an Effzienz für den Moment geknüpft. Das Ergebnis funktioniert in diesem Moment ggf besser, ist einfacher zu erreichen und von einem Machtgefälle geprägt.
Beispiel: Ich will, dass mein Nachbar mich nicht mehr so komisch anguckt, also zwinge ich mein Kind dazu, “Danke” zu sagen. Ich will mich sozial zugehörig fühlen und erfülle mir dieses Bedürfnis, indem ich mein Kind zwinge. Vielleicht ist es das in diesem Moment wert, denn ich habe sofort dieses erleichternde Gefühl. Außerdem muss ich kein unangenehmes soul searching machen, sondern kann mir die Situation schön reden mit “Kinder müssen aber auch mal lernen, dass…”.
Ich glaub ja, 90% der Erziehung, die unsere Kinder über sich ergehen lassen müssen, hat ihren Ursprung darin, dass wir Eltern nicht aushalten können, was eigentlich hinter unserem Verhalten steht. All der Schmerz, die unangenehmen Gefühle, mit denen wir uns eigentlich mal befassen sollten. Anstatt das zu tun, suchen wir eine schnelle Lösung, eine kurzfristige Erleichterung. Deckel drauf auf unsere Scham, unsere Angst, unsere Hilflosigkeit.
Genauso ist Erziehung in den letzten 100 Jahren gedacht worden: schnell funktionionierende Lösungen sollten her. Und erst seit 10, 20 Jahren fangen wir ernsthaft an, uns zu fragen, was passieren kann, wenn wir uns stattdessen die langfristigen Folgen anschauen sowohl im Umgang mit Kindern als auch mit uns selbst.
Wie können wir langfristig erreichen, was uns wirklich wichtig ist?
Der kurze, effiziente Weg geht auf Kosten der Beziehung.
Wenn ich meinem Kind beibringe, dass es „Danke“ sagen muss, egal wie es ihm geht und ich mach das nicht einmal, sondern 20 Mal und geh mit mir selbst genauso um, dann ist der langfristige Schaden, den das Kind dadurch erleidet, viel höher als der kurzfristige, den ich habe, wenn es mal kurz unangenehm für mich ist, weil der Nachbar komisch guckt.
Unser Gehirn findet aber in dem Moment sehr viele Ausreden, warum die unangenehme Situation jetzt sofort beendet werden müsse. Zum Beispiel:
- Mit fünf Kindern geht das nun mal nicht.
- Ich muss auch mal zu mir selbst gut sein.
- Hier ist aber mal eine Grenze!
- Das Kind muss das jetzt einfach mal lernen.
- Das Kind wird sonst ein Tyrann.
All diese Dinge funktionieren als Ausreden, um sich in dem Moment nicht diesem Marshmallow-Test zu unterziehen. Eben nicht sofort die Belohnung zu suchen.
Der langfristige Lohn so viel schöner ist und so viel tiefer geht als ein kurzfristiges Durchsetzen.
Wenn unser Kind uns wirklich vertraut, wenn es weiß, wir benutzen unsere Macht nicht für jeden Pups und wir sagen nur nein, wenn wir es so meinen, wenn es sich sicher ist, dass wir uns Lösungen überlegen, auch wenn es schwierig ist und wir schlechte Laune haben, dann erreicht unsere Beziehung ein ganz anderes und bedeutsameres Level.
Genauso gilt das im Umgang mit uns selbst. Wenn wir in eine Verhaltensveränderung herbeiführen wollen, wenn wir uns friedvoller verhalten wollen, dann ist es in dem Moment deutlich unangenehmer zu sagen: „Ich schaue jetzt hin, was das mit mir macht, anstatt eine*n Schuldigen zu suchen oder meine Probleme auf eine andere Person zu projezieren.“. Aber langfristig wirst du mit einem solchen Wachstum belohnt, weil es so hilfreich und wichtig ist, dass wir uns mit uns selbst beschäftigen.
Auf der anderen Seite kann es diese Momente geben, in denen das gerade nicht geht, in denen deine Energie nicht reicht, in denen zB alte traumatische Inhalte auftauchen, denen du dich im Alltag nicht mal so eben nebenbei zwischen Schulranzen fertig packen und Frühstücksbrot schmieren, stellen kannst. Und das ist total ok. Die kurzfristige Entlastung kann angebracht sein, wenn du sonst in einen schlimmen Ausraster schlitterst.
Aber wir müssen aufhören, darüber zu reden, ob es gerechtfertigt ist, am Kind zu zerren oder nicht, wir müssen mehr darüber reden, an welcher Stelle wir bewusst die kurzfristige Lösung wählen und wie wir das begründen.
Das ist meines Erachtens die ethische Herangehensweise, die uns so viel weiter bringt als Diskussionen darüber, was besser funktioniert.
Ums Funktionieren darf es in diesem Jahrhundert im Umgang mit anderen Lebewesen nicht mehr gehen!
Dieser Artikel kam gerade wie gerufen! Erst am Wochenende musste ich mir von meinen Schwiegereltern anhören, dass ich mit meinen Kindern strenger sein muss. Der Große (3,5) wollte nämlich mit dem Laufrad nicht die gewünschte Spazierrunde (ohne mich) antreten (den Berg rauf), sondern in die andere Richtung fahren (den Berg runter). Er hat sich so gewehrt, dass Opa ihn schnappen und mitzerren musste.
Und deshalb muss ich einmal „härter durchgreifen, die tanzen mir nämlich sonst auf der Nase herum!“ Sie wollen ja nicht schimpfen mit den Kindern, sondern lieb sein, weil sonst wollen die lieben Kleinen ja vielleicht nicht mehr zu ihnen kommen, aber ganz ohne Strenge gehts halt dann auch nicht…
*seufz* was sagt man auf sowas? Ich hab nur genickt und mich auf keine Diskussion eingelassen… mal schauen, was in dieser Hinsicht noch kommt. Hat da jemande eine passende Antwort für mich? „Ich will meine Macht nicht gegenüber Schwächeren ausnutzen?“ „Ich verfolge langfristige Ziele und dieses erniedrigende Verhalten schadet dem Seelenheil meiner Kinder?“ …? Ich glaub, ich sag einfach weiterhin nix, nicke und denk mir meinen Teil – bye bye instant gratification 😉
Hallo, habe das gerade gelesen und bin so froh, dass wir in der Regel solche Sachen nicht mit unseren Eltern erleben, vor allem weil wir aufgrund großer räumlicher Entfernung nicht so oft sehen. Aber dennoch haben wir schon viele Diskussionen über Kinder“Erziehung“ geführt, was mir allerdings selten friedlich gelingt 😉 Allerdings finde ich es ganz wichtig, wenn man diesen Umgang mit seinen eigenen Kindern miterlebt (egal ob Großeltern, Erzieher), ihnen den Rücken zu stärken und klar zu machen, dass das ungerechte und von dir offensichtlich nicht gelebte Verhalten der Großeltern von dir nicht toleriert und „geschluckt“ wird. Diskussionen über Sinn und Unsinn deiner oder ihrer Erziehung ist sicher selten zielführend, dafür ist das oft viel zu persönlich. Aber natürlich kannst du klar hinter deiner Auffassung stehen, auch das hat ja Vorbildwirkung für dein Kind, für sich einzustehen zu können.
Viele Grüße und Kraft
Danke für dieses Audio (ich hab’s mir angehört), ich finde diese Gedanken so wertvoll und sie sind doch einfach einleuchtend! Ich will diese Werte auch leben und ganz oft gelingt mir das auch und ganz oft noch nicht.
Am liebsten würde ich diesen Text sofort allen möglichen Leuten schicken (zum Beispiel meinen Eltern), doch mache ich zum Beispiel in Bezug auf meine Eltern oft die Erfahrung, dass sie sich (womöglich aus Schuldgefühlen und Schmerz?) nur sehr schwer mit dieser Sichtweise auseinandersetzen können. Was denkst du dazu Ruth?
Liebe Grüße!
Liebe Luise, ungefragt das eigene Weltbild um die Ohren gehauen zu bekommen ist meist kein guter Weg für echte, offene Verbindung. Auch bei Erwachsenen steht Beziehung immer zuerst. Wenn du Veränderung möchtest, sei offen für ihre Sicht und ihre Welt.
– Ruth
Hallo Duplo,
danke für deinen Kommentar und deine Anregung – du hast völlig recht, ich werde dafür gerade stehen und das Thema nochmal ansprechen. Vor allem, nachdem ich mit meinem Sohn darüber geredet habe und er bejaht hat, es war schlimm für ihn. Auf die Frage was Opa denn anders machen hätte sollen, damit er mitfährt hat er gesagt: Das Laufrad umdrehen!
So einfach wärs also gewesen. In der Situation haben sich halt nur scheinbar beide nicht mehr adäquat artikulieren können… Keine Ahnung, obs beim nächsten Mal besser funktioniert, aber ich werde auf jeden Fall klarstellen, dass ihn einfach zu packen keine Option mehr ist.
Hallo, ich konnte vor allem mitnehmen meinem Kind nicht mein ich aufzuzwingen. Ich versuche so oft wie möglich sie so stehen zu lassen wie sie ist. Ein kleines „Aber“ kämpft sich dann doch nach vorne, manchmal geht’s nicht anders. Sie ist fast 2,5 und voll in der Trotzphase. Gestern hat sie sogar Weinen und Jammern geübt! Es ist eine Reise zu und mit sich selbst, an Bord ein kleines Menschlein daß wir begleiten dürfen. In eine Welt voller schlechter Vorbilder aber auch voller Liebe. Und sich selbst verzeihen dürfen…
Vielen Dank Ihnen!
Hört hört! Wieder einmal ein genial hinterfragender Artikel auf diesem Blog.
Mir schwirren viele Fragen im Kopf herum, auf die ich keine Antworten weiß. Zunächst einmal verstehe ich abstrahiert, wie ich sein will, was für eine Mama ich sein will, doch fehlt es mir an Handwerkszeug, den Weg dahin zu meistern, was mich regelmäßig verzweifeln und an meinem Verstand zweifeln lässt ;(
Wie gelingt denn zum Beispiel eine Hinwendung zu mir selbst?
Wie komme ich denn davon weg zu sagen, mein Kind hat dies und das gemacht und ich finde das blöd. Wie erlangt man denn den Überblick, wenn man im täglichen Kleinklein versinkt und unzählige Entscheidungen treffen muss? Was ist denn, um konkret zu werden, mit meiner Dreijährigen, die an mir klebt, ich aber eine Telefonkonferenz habe? Was tue ich da?
Natürlich ist mir tatsächlich egal, ob mein Kind danke sagt (sag ich einfach für mein Kind, wenn ich es für nötig halte), aber nicht egal ist mir, wenn ich meinen Job nicht gut machen kann und inkompetent und als „Ach, immer diese Muddi!“ wahrgenommen werde. Leider ist ja trotz corona nach wie vor das Bild da, dass man im Job, wenn möglich kein eigenes, anderes Leben haben sollte. Kinder? Hat keiner! Und die, die doch welche haben, lassen es sich am besten nicht anmerken.
Sorry für mein Gemotze, ich bin traurig. Ich schimpfe zu viel und kenne meine niederen Beweggründe dahinter. Ich will das aber so nicht mehr! Mir gelingt die Hinwendung zu mir einfach noch nicht.
Weiß jemand schlaue Fragen, die man sich stellen sollte?
Liebe Grüße. Annika.
Liebe Annika, ich würde IMMER mit beobachten beginnen. Also nicht direkt gegen dich angehen und dich anmeckern (was eh nichts bringt) sondern lieber in Ruhe beobachten: WANN passiert das? WAS fühlst du da? WAS GENAU denkst du? WOHER kennst du diese Denkmuster? Je genauer und liebevoller du hinguckst, desto mehr kannst du über dich lernen und dir dann neue Strategien vorschlagen.
Sei sanft zu dir!
Deine Ruth
Danke, liebe Ruth, bisweilen nehme ich mir einfach keine Zeit zum Analysieren. Leider läuft das bei mir oft nur im akuten Fall und dann geclustert ab. Merke ich immer wieder.
Langsam erkenne ich, wie wichtig die Nachbereitung eines Tages ist.
Ich danke dir für die Inspiration, die ich durch dich immer wieder erfahren darf 🙏