Wir laufen einen Marathon. Hier hat Mark Manson es so schön beschrieben: Wir brauchen uns nicht zu verausgaben, wenn wir am ersten Kilometer knabbern. Ja, ich weiß, es ist viel Optimismus, gerade in Deutschland, gerade am Start. Warum auch nicht, hat es doch eines der robustesten Systeme, was Wirtschaft, Demokratie und Gesundheit angeht. Es ist angebracht, als weiße, reiche Person, die die Möglichkeit hat, im Home Office zu sitzen, nicht allzu besorgt zu sein.

Aber du wirst da noch eine Weile sitzen.

Es gibt bisher absolut keinerlei Entwarnung. Wir sind am Anfang. Wir werden noch Monate, vielleicht Jahre, mit Corona zu tun haben. Bis eine Behandlung oder eine Impfung (oder beides) kommt. Bis dahin werden es einige von uns ein bisschen unbequem haben und andere werden um ihr Leben fürchten.

Sorry, aber ich halte nix von rosigen Erzählungen. Ich finde es nicht fair, dir beim Start ins Rennen zu sagen: „Nur bis da vorne um die Ecke!“ und dich dann mit einem Triathlon zu überraschen (anders herum isses okay für mich!). Das Problem liegt in der psychischen Leistungsfähigkeit – denke ich, ich sprinte nur um die nächste Ecke, bin ich bereit, viel früher viel mehr zu geben. Tritt die Erleichterung nicht ein, muss ich schon äußerst zäh sein, um nach dem Start noch ein paar Kilometer zu machen.

Okay, genug der Metaphern. Mir geht es darum, dir klar zu machen, dass deine Energie das Wichtigste ist in dieser Zeit. Diese Krise, so schallt es von überall her, zeigt unsere Themen wie unter einem Vergrößerungsglas. Unter Druck fallen wir in alte Muster zurück. Und nun brauche ich deine volle Aufmerksamkeit, ich will dir nämlich was wichtiges sagen. Mach die anderen Tabs zu.

Du bist das Wichtigste in dieser Krise.

Es war schon vorher wahr, dass Eltern, vor allem weiblich sozialisierte, sich meist komplett auflösen, wenn sie sich um Kinder kümmern, und das zu enormen Aggressionen und dann, im Umschlagen, zu der Idee von Grenzen und Erziehung führen kann. Und davon halte ich nix. Es war schon vorher wahr, dass der Schlüssel zu einer friedvollen Familie Eltern sind, die zu sich selber friedvoll sind.

Und das wird nun wahrer als je zuvor. Du wirst wichtiger als je zuvor. Hier drei Dinge, die mir und vielen Menschen in meiner Community – ich hab auf Instagram mal gefragt – helfen.

1. Bewegung

Angst, Verunsicherung, Stress… Alle Emotionen stecken in deinem verdammten Körper. Sie sind nicht ausgedacht, sondern von deinen Gedanken ausgelöst. Wenn du also mit Emotionen umgehen willst, hilft es nix, dir zu sagen, dass du nun mal so und so sein solltest… Das hilft mal exakt gar nicht. Im Gegenteil. Dich anders zu wünschen, als du bist, ist ziemlich gemein.

Wenn du an Emotionen ran willst, brauchst du deinen Körper. Du brauchst einen ruhigen, klaren Atem. Dazu gibt es hier Übungen. Falls du keine fancy Übung machen willst, atme schlicht einmal tief ein. Halte den Atem, bis du langsam bis 3 gezählt hast. Und dann lass ihn ganz raus. Halte wieder, bis du bis drei gezählt hast.

Herzlichen Glückwunsch, du hast eine Atemübung gemacht.

Oder du schließt jetzt mal kurz die Augen. Los! Nee, warte, lies erstmal noch diesen Absatz. Und zähle alles auf, was du hörst. Autos? Wind? Kindergebrüll? Jetzt Augen schließen!

Herzlichen Glückwunsch, das war eine Achtsamkeitsübung.

Das Gleiche gilt für Meditation. Ich mach das mittlerweile täglich und es hilft. Aber ehrlich, gerade als ich in Quarantäne war (ich hatte Verdacht auf Covid-19, es gibt hier in Portugal aber nicht genug Tests), war ich oft total gestresst. Also hab ich kurz die Augen zugemacht. Solange, wie ich es eben konnte. Da, Meditation.

Ich weiß, das ist nicht besonders chic, aber ich mache alles, vor allem Körperwahrnehmungszeug frei nach dem Motto besser halb als gar nicht und fahre damit gut. Damit wären wir nämlich schon bei einem sehr wichtigen Teil der ganzen Geschichte: Niedrige Standards.

2. Niedriger Standard

Ja, vielleicht kannst du nun endlich Mandarin lernen. Wirklich, viel Glück dabei! Aber in dem Moment, in dem du in die Falle tappst, dass du das nun tun MUSST, bist du im Arsch. Ist so. Das ist NICHT die Zeit für Perfektion. (Gibt es überhaupt jemals die Zeit dafür?) Das ist die Zeit für niedrige Standards. Für dreckige Bettwäsche und n halbes Workout statt gar keines. Für mehr gutes Essen und weniger Neuanfänge.

Wir sind in einer globalen Pandemie, nicht bei Schöner Wohnen.

Wenn dich das Zeug inspiriert und du, wie ich, zum Beispiel die Gelegenheit ergreifst, mal so richtig fit zu werden und Homeworkouts dich happy machen, finde ich das übrigens nicht schlimm (nur weil sonst die empörten Kommentare kommen). Ich finde schlimm, wenn du deinen Standard an dich hochschraubst, anstatt besonders liebevoll, nachsichtig und zuckerlieb zu dir zu sein. Du bist die einzige Freundin, die du gerade sehen kannst – sei dir eine gute.

3. Radikale Bullshit-Diät

Das lerne ich gerade erst selber. Zugegeben. Seit Beginn der Pandemie gibt es einen Menge Bullshit auf meinem Radar. Da gibt es Leute, die finden, dass ja ca 2% Tote weltweit vertretbar sind (Nö, verlinke ich nicht. Aber geht auf Facebook und scrollt, irgendwann begegnet euch so ein*e Spezialist*in bestimmt. Eher früher als später.). Und dann die Verschwörungstheoretiker*innen und Faschist*innen und alles dazwischen.

Ich bin im Umgang damit mehrere Phasen durchlaufen. Zunächst war ich wütend. Dann dachte ich, naiv wie ich bin, dass es einfach nur Aufklärung braucht. Versteht ja nicht jede*r, wie man Viren voneinander unterscheiden kann oder wie Wissenschaft passiert. Macht ja nix. Also habe ich Stunden damit verbracht, das zu erklären. Mit, sagen wir mal, mäßigen Ergebnissen. Denn es ging in den meisten Fällen nicht um Fakten oder Wissen, sondern um Gefühle. Mein autistisches Ich musste das erstmal raffen!

Dann kam Traurigkeit. Und aus der arbeite ich mich langsam raus, indem ich blocke, was das Zeug hält. Allein letzte Woche habe ich fast 200 Menschen entfreundet oder geblockt. Ignorant? Mag sein. Sollte ich da nicht den Dialog suchen? Bestimmt. Belastet und erschreckt es mich in einem Maß, dass es mir nicht mehr gut geht? Ganz genau. Und deswegen muss ich mich damit nicht umgeben. Auf einem Marathon würde ich ja Leuten, die mir Gewichte umhängen wollen, nicht noch freudig nachlaufen. Auch ich bin auf Kilometer 1.

Klar, ich bin eine relativ öffentlichte Figur. Und ich hab mich mehrfach kritisch geäußert und bekomme entsprechende Rückmeldung – unter diesem Beitrag vermutlich auch. Und dann ist da noch die Nähe der bedürfnisorientierten Szene zur Rechtsesoterik. Schade, aber Tatsache. Auch hier: das Brennglas Corona. Und ich und auch du, wir dürfen dazu sagen, was und wie wir wollen. Was uns trägt, trägt uns. Was uns belastet, belastet uns. Das entscheidest du.

Du brauchst deine Kraft.

Gutes Rennen, meine Freundinnen und Freunde.