Ich sitz auf dem Klo. Mal wieder hüpfen die Kinder um mich herum. Da ich schon weiß, sie werden mich hier nicht allein lassen, wechsel ich meine Menstasse in ihrem Beisein. Und schon geht es los:

 

„Mamaaaaa? Was ist das? Was machst du damit? Waruuuum?“

Kennst du das? Im Mitgliedsbereich der Weggefährt*innen hatten wir letztens eine Diskussion dazu, die mich zu diesem Video und Artikel inspiriert hat.

Bitte sehr: Video.

Ich bin sehr, sehr schambehaftet groß geworden. Da war eine Mauer aus Schweigen rund um Sexualität und Körper. Für mich war es total ungewohnt, die ersten Male mit meinen Kindern darüber zu sprechen. Gleichzeitig wusste ich, es ist wichtig, woraufhin ich mir unglaubliche Ansprüche stellte, alles richtig zu machen. Ich wäre am liebsten in die Bücherei gerannt, um mindestens 15 Bücher auszuleihen und dann einen dreistündigen Vortrag zu halten. Das war ganz klar eine Überkompensation meiner Unsicherheit, denn es reicht völlig, einfach nur die Frage zu beantworten.

Fragen beantworten. Mehr nicht.

Sexualität und Körper sind kulturell schambehaftet und deswegen ist auch Aufklärung für viele von uns voller Widerstände, was dazu führt, dass wir durch sie durchholpern und denken, wir müssten ganze Fässer aufmachen zur Erklärung, wenn wir es überhaupt schaffen, darüber zu sprechen.

Das beste, was du tun kannst bei allem, was dein Kind fragt, ist, die Frage zu beantworten. Nicht mehr, nicht weniger.

Und manchmal passt es, zu nachzufragen: „Willst du noch mehr wissen?“ Meiner Erfahrung nach wissen Kinder sehr gut, wenn es ihnen zu viel wird. Zu viel Informationen, zu viel Stress, der entsteht, wenn wir Eltern unter Druck geraten.

Es übrigens auch völlig in Ordnung zu antworten, dass du es nicht so genau weißt. Du kannst dann anbieten, zum Thema zu recherchieren oder ihr setzt euch direkt zusammen ans tablet und sucht die Infos.

Wenn du etwas nicht aussprechen kannst, dann erklär es erstmal nicht. Verschieb das Gespräch. Lies dich erstmal selbst ein, damit du die richtigen Worte findest. Frag eine andere Person, ob sie das Thema mit deinem Kind besprechen kann. Biete an, ein Buch oder auch noch eines zu besorgen.

Das ist doch nicht normal!

Schon mal über Heteronormativität nachgedacht? Ziemlicher Blödsinn und trotzdem hängen die Annahmen darüber in vielen Köpfen fest. Aber hej, es gibt mehr als cis Frauen und cis Männer! Und logo lieben und begehren auch Männer Männer und Frauen Frauen.

Nora Imlau hat auf Twitter geschrieben, wie schön sie es findet, wenn ihr Partner zu den Kindern sagt: „Wenn du dann später mal eine Partnerin oder einen Partner hast…“ Das ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie du ganz nebenbei Heteronormativität ein bisschen auflockern kannst. Stell dir mal vor, dein Kind ist homosexuell geboren und es hört nie davon, dass es gleichgeschlechtliche Liebe überhaupt gibt.

Fragen ehrlich zu beantworten bedeutet auch, zu hinterfragen, was du normal findest.

Und da gibt es vermutlich lauter Sachen, die du normal findest. Aber was ist schon normal? Meiner Freundin wurde zB von ihrer Mutter erzählt, Mensschmerzen würden aufhören, sobald die Blutung startet. War und ist bei ihr aber anders. Sie dachte jahrelang, mit ihrem Körper stimme irgendwas grundlegendes nicht.

Normativitäten zu beleuchten, finde ich sehr wichtig, schon bei Kleinigkeiten wie dem Endpunkt von Mensschmerzen. Denn sonst transportierst du ein kulturelles Konstrukt in den Alltag hinein und dein Kind hat keine Chance, das zu hinterfragen.

Besonders ein Kind, das nicht in diese Nomativitäten hineinpasst, kann das sehr verletzen, der Schaden kann enorm sein.

Generell halte ich es für essentiell, dass dein Kind vielfältige Liebes- und Lebenskonzepte, verschiedenen aussehende und funktionierende Körper als gleichwertig kennenlernt, denn dann fällt es ihm viel leichter, Menschen mit Toleranz zu begegnen.

Eine Frage nach der nächsten

„Wo kommen eigentlich Babys her?“

„Das passiert halt so, wenn sich eine Frau und ein Mann sehr lieb haben.“

Mööööp! Erzähl deinem Kind keinen Scheiß!

Du kannst einfache, unkomplizierte Antworten geben, die trotzdem korrekt sind.

Es braucht eine Eizelle und eine Samenzelle, nicht einen Mann und eine Frau. Und Liebe ist dabei zwar oft anwesend, aber es funktioniert definitiv auch ohne. Dass überhaupt Kinder kriegen immer noch ausschließlich mit Sex verbunden wird, find ich schräg. Für viele ist der Weg zum Kinder kriegen eine künstliche Befruchtung. Und den meisten Sex im Leben haben die Menschen zum Spaß oder um sich verbunden zu fühlen oder oder oder, jedenfalls nicht, um Kinder zu bekommen.

Ich glaube, dass ein pragmatischer, faktischer Ansatz hilfreich ist. Fakten zum Thema „Wie entstehen Babys?“ sind auch

  • Sex kann unter Gewalt stattfinden.
  • Es gibt Abtreibungen.
  • Nicht jedes Kind ist von seinen Eltern gewollt.
  • Es gibt traumatische Geburten.
  • Babys können im Bauch sterben.

Wir sind so scheu, darüber zu sprechen, weil wir diese kulturellen Schammauern aufgebaut haben. Mein Ziel ist es,  hinter sie zu kommen, und mich immer wieder zu fragen:

Habe ich eine Schablone, in die ich mein Kind pressen will?

Mir hat es geholfen, mich Schritt für Schritt vorzutasten. Frage für Frage für Frage. Ich habe so ehrlich geantwortet, wie ich konnte, auch wenn es mir ein unangenehmes Gefühl bereitet hat, auch wenn ich Worte in den Mund nehmen musste, bei denen ich unsicher war. Ich wollte für meine Kinder keine Mauer aus Schweigen. Frage für Frage war für mich angenehmer, weil ich nicht gleich riesige Themen aufreißen musste, das hätte mich überwältigt. Und ich konnte jede Frage in Ruhe reflektieren:

  • Ist es wirklich wahr, was ich sage?
  • Was gebe ich mit?
  • Welche Bilder male ich?
  • Bedenke ich, dass mein Kind andere Vorstellungen haben kann?
  • Lasse ich meinem Kind genug Raum?

Und ganz ehrlich, ich bin darin überhaupt nicht perfekt, ich gebe Fragen an meinen Partner ab, weil ich mich bei manchen Sachen nicht traue, sie zu sagen. Aber ich versuch’s! Das ist friedvolle Elternschaft.

Wir versuchen, den Scheiß abzutragen, der vielleicht schon über Generationen weitergegeben wurde.

Die Traumata, die dahinter stecken. Gerade bei diesen Themen können so viele schmerzhafte Sachen darunter liegen, so viel Scham, so viel Schmerz, so viel Gewalt. Wir geben alle unser Bestes.

Ich will dazu aufrufen, Kinderfragen ernst zu nehmen und sie so ehrlich und kindgerecht wie möglich zu beantworten. Das sind wunderbare Übungen, weil du merkst, wo Widerstände sind, was dir peinlich ist. Wenn du es schaffst, durch diese unangenehmen Gefühle hindurch zu gehen, gewinnst du die Freiheit, über die Dinge sprechen zu können. Das ist ein riesiges Geschenk von deinem Kind!

Wie geht’s dir damit? Hast du damit überhaupt ein Thema? Oder hattest du das Glück, weniger schambehaftet aufgewachsen zu sein? Lass uns darüber sprechen hier in den Kommentaren oder bei den Weggefährt*innen. Hier kannst du sie 30 Tage kostenlos testen.