Dein Kind hat keine Lust zur Schule zu gehen? Vielleicht ist Freilernen was für euch!?

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Disclaimer: Es sollen nicht alle Menschen ohne Schule leben. Schule ist nicht perse schlecht und soll auch nicht abgeschafft werden.

Freilernen. Was ist das?

Freilernen ist erstmal ganz schlicht, das Lernen außerhalb von Schule. Im Deutschen ist das ein Sammelbegriff: Es kann für manche Leute auch bedeuten, dass Kinder eine freie Schule besuchen oder einfach, dass die Eltern das Lernen ihrer Kinder mit der inneren Haltung des Freilernens begleiten.

Auch das Freilernen ohne Schule sieht sehr unterschiedlich aus. Manche Eltern wollen ihre Kinder von bestimmten Inhalten und Themen fernhalten und unterrichten ihre Kinder dann zuhause. Das kann so richtig mit Klassenraum und Zeugnissen sein.

Oder es geht ihnen um Kinderrechte.

Ich persönlich benutze den Begriff ‚Freilernen‘ im Sinne der Kinderrechte und mit der Überzeugung, dass alle Menschen immer lernen und dazu keinerlei Manipulationsformen brauchen. Keine Noten, keine Strafen, keine Belohnung, kein Lob, keine extrinsische Motivation. Und auch keinen speziellen Ort. Das ist auch die Form des Freilernens, um die es in diesem Artikel geht.

Menschen lernen immer und überall!

Tätigkeiten werden im Rahmen des Freilernens also nicht in Lernen und Nichtlernen unterschieden und es gibt keine ausgewiesenen Lernorte, denn Lernen passiert immer und überall. Eltern, die ihren Kindern das Freilernen ermöglichen, sehen somit ihre Aufgabe darin, ihnen eine Umgebung zu schaffen, die möglichst konstruktiv und vielfältig ist.

Freilernen ist nicht für alle richtig.

Es braucht unendlich Ressourcen und Klarheit und den Willen, sich mit den eigenen Themen rund um Schule auseinanderzusetzen. Viele Menschen haben massiven Schmerz aus der Schule mitgenommen. Außerdem braucht es sehr viel Kraft und Energie, junge Menschen so eng und quasi 24/7 zu begleiten.

Freilernen muss nicht für immer sein.

Es kann jederzeit sein, dass sich die Umstände in der Familie ändern, die dazu führen, dass sich ein Kind in der Schule besser aufgehoben fühlt oder die Eltern dieser Meinung sind. In Deutschland zB führt oft die rechtliche Lage dazu, dass schulfreie Kinder doch irgendwann eine Schule besuchen.

Freilernen. Wie sieht das aus?

Freilernen kann sich ganz unterschiedlich gestalten, was mit den verschiedenen Lebensumständen und auch Lebensorten der Familien einhergeht.

Die Gesetze des jeweiligen Landes beeinflussen das Leben und Lernen von Freilernenden. Lebt eine Familie zB in Großbrittanien, ist es möglich, ohne Vorgaben zu lernen. In Österreich hingegen müssen Prüfungen abgelegt werden, die dazu führen, dass Eltern teilweise Lerninhalte vorgeben, da das Kind bei Nichtbestehen zwangseingeschult werden kann. In Frankreich wird neben den schulischen Leistungen auch überprüft, ob sich die Kinder im sozialen Bereich gut entwickeln. Und in Deutschland, einem der wenigen Länder mit Schulgebäudeanwesenheitspflicht, wirkt sich die hochproblematische rechtliche Situation auf die Familie und somit das Lernen aus.
(Da sich die Gesetzeslage bzgl Freilernen stetig verändert, verlasst euch bitte nicht auf die hier genannten Infos, sondern recherchiert weiter.)

Freilernende Familien sind so bunt wie alle anderen auch.

Vielleicht arbeiten beide Elternteile und wechseln sich mit der Begleitung der Kinder ab. Vielleicht wird nur sehr wenig gegen Geld gearbeitet. Vielleicht arbeitet ein Elternteil. Vielleicht gibt es überhaupt nur einen Elternteil, der für Begleitung und die ökonomische Versorgung zuständig ist. Alles ist möglich.

Es gibt Freilernende, die tun das aus einer tiefen Überzeugung heraus, dass junge Menschen ein Recht auf ein freies Leben haben und dass ihnen dieses nicht weggenommen werden darf.

Andere machen es deswegen, weil sie selber unter Schule sehr gelitten haben und ihrem Kind das nicht antun möchten.

Es gibt Eltern, deren Kind war ganz klassisch in der Schule, es ging ihm dort aber so schlecht, dass die Eltern beschließen, das nicht mehr mittragen zu können.

Freilerndende sind vielfältig und es gibt nicht den einen Grund und nicht die eine Motivation. Es gibt viele Schichten von Gründen.

Freilernen. Und dann?

Worüber sich viele Leuten Gedanken machen, ist, was denn aus den Kindern wird, wenn sie mal älter sind. Die brauchen doch einen Schulabschluss! Gefälligst! Was soll sonst aus ihnen werden?!

Kommt drauf an.

André Stern zB hat mehrere Berufe gelernt, die er auch ausübt und hat gar keinen Schulabschluss. Es kann also sein, dass eine Jugendliche*r etwas vorhat, wofür sie*er gar keinen Abschluss braucht. Stattdessen bildet sie*er sich durch online-Kurse fort oder hat durch vielfältige Praktika so viel Wissen angeeignet, dass in dem Ausbildungsbetrieb auf das Zeugnis verzichtet wird.

Und wenn doch, gibt es mannigfaltige Möglichkeiten, einen Schulabschluss zu machen. Ab einem gewissen Alter können Menschen sich in Deutschland als Externe zu Schulabschlussprüfungen anmelden. Einfach so. Inzwischen gibt es auch verschiedene Verbände, die das unterstützen. Einen Highschool Abschluss lässt sich sogar online machen.

Menschen lernen viel effektiver, wenn sie einen Sinn dahinter erkennen.

Wenn ein Mensch also wirklich gerne einen Schulabschluss haben möchte, weil er zB Tierärzt*in werden möchte, wird er das Wissen, das er dafür braucht, in viel kürzerer Zeit verinnerlichen, als das in der Schule passiert.

Unser Freilernen. Warum?

Unser Sohn war sehr unglücklich im Kindergarten. Wir haben anfangs nicht darauf geachtet und nicht darüber nachgedacht, ob es ihm dort gefällt, sondern ihn einfach hingeschickt, weil wir dachten, dass man das halt so macht.

Aber irgendwann haben wir unser Leben umstrukturiert, ihn aus dem Kindergarten genommen und ihn – und später auch seine beiden Schwestern – selbst betreut. Das hat uns Freude gemacht.

Dann rückte die Schulpflicht näher und in unserer Gegend gab es keine gute, freie Schule. Wir hätten nur für die Hoffnung auf einen freien Schulplatz umziehen müssen an einen Ort, an dem wir nicht sein wollten.

Außerdem waren wir in der Zwischenzeit so von Nichterziehung überzeugt, davon, dass es sein Recht ist, sich da aufzuhalten, wo er sich wohl fühlt, und dass er sowieso immer lernt. Sein Schulbesuch hätte somit ausschließlich der Einhaltung der Schulpflicht gedient. Und dafür wollten wir ihn nicht zwingen.

Denn das hätten wir tun müssen. Er wollte nicht weg von uns. Und wir wollten unsere Beziehung, die durch unser früheres Tun bereits arg gelitten hatte, nicht noch weiter belasten, indem wir ihn in die Schule zwingen.

So wurden wir zu Freilernenden!

Denn wir haben die Verantwortung für das Wohlergehen unserer Kinder und der gesamten Familie. Wir wollten nicht zu den Erfüllungsgehilfen der Schulgebäudeanwesenheitspflicht gegen unsere Überzeugung und gegen den Willen unseres Sohnes werden. Dazu waren wir nicht bereit.

Inzwischen wohnen wir in Portugal und hier ist es unproblematisch, nicht zur Schule zu gehen.

Mein größere Tochter hat sich gerade dazu entschieden, eine sehr freie Schule zu besuchen. Es gefällt ihr dort und da es keine Gebäudeanwesenheitspflicht gibt, kann sie einfach dann gehen, wenn sie mag. Ich genießes es, dass wir hier in Portugal die Freiheit haben, einem Kind das Freilernen und einem anderen den Schulbesuch zu ermöglichen. Denn wir finden natürlich nicht, dass alle Schulen scheiße sind.

Unser Freilernen. Wie?

Wir spielen gemeinsam, wir machen Ausflüge, wir gehen spazieren, wir kochen, wir diskutieren, wir bauen… Was wir sehen und erleben, erfüllt uns mit Informationen. Wenn etwas besonders ist, recherchieren wir darüber. Wir bekommen auch mal ein Problem und dann überlegen und lernen wir, um es zu lösen. Ganz von selbst ergeben sich immer wieder Fragen, die wir gemeinsam versuchen, zu beantworten.

Wir leben einfach miteinander.

Anfangs hatten wir weder die finanziellen noch die psychischen Ressourcen, es war eine Entscheidung gegen das Zwingen vom Kind. Wir waren uns nicht sicher, ob wir das überhaupt leisten können. Wir sind da reingewachsen. Die härteste Arbeit daran war und ist für meinen Mann und mich, unsere Mindfucks aufzuheben. Wir können darauf vertrauen, dass unsere Kinder kompetent sind. Wir brauchen nur aufpassen, dass wir ihnen nicht im Weg stehen.

Wir machen das nicht perfekt. Natürlich nicht. Und wir sind auch nicht immer alle ramamäßig glücklich. Aber im Großen und Ganzen geht es uns jetzt so gut, dass wir an unserem Leben als Freilerner*innen nichts ändern möchten und die Entscheidung jederzeit wieder so treffen würden.

Ich find Freilernen toll, aber…

Du bist vom Freilernen überzeugt, aber dein*e Partnerin findet das doof? Dein Kind hat keinen Bock auf Schule, aber du hast Angst vor den rechtlichen Konsequenzen in Deutschland? Du würdest gern mit deinem Kind zusammen bleiben, aber du kannst das nicht finanzieren?

Es gibt nicht den einen richtigen Weg.

Viele Familien müssen aus diesen oder ähnlichen Gründen Kompromisse eingehen. Dann wird es eben doch die freie Schule oder auch die normale Grundschule um die Ecke. Wichtig ist, sich klar zu machen, dass das eine aktive Entscheidung ist. Du bist kein Opfer!

Die tiefe Überzeugung, dass ein (junger) Mensch immer lernt und dass wir weder die Lerninhalte vorgeben, noch das, was dabei rauskommt bewerten müssen, kannst du behalten. Du kannst weiterhin dafür einstehen, dass es auf die Lernumgebung ankommt. Nämlich um psychische Sicherheit, Nähe, Geborgenheit, Bindung. Diese wichtigen Lernvoraussetzungen kannst du deinem Kind immer ermöglichen.

Dich kann keine Schulform, keine Schulpflicht daran hindern, deine Werte jederzeit zu leben.

Das kann bedeuten, dass du dich mal mit der einen oder dem anderen anlegst in der Schule. Das ist in Ordnung! Das kann auch bedeuten, dass du immer mal wieder in Gewissenskonflikte kommst. Und das ist auch in Ordnung!

Du kannst Kompromisse in deinem Leben machen, ohne deine Werte zu verraten.

Bild von Jane Lund auf Pixabay