Du willst es ändern. Das ist großartig. Doch alles Wissen wird erst dann relevant, wenn es Handlung leitet.
Ganz wichtig: Leitet. Nicht determiniert.
Das heißt, es gibt keine Anweisungen. Keine Vorgaben mehr. Es gibt dich und deine Situation und deine Werte, die dich (ab jetzt) leiten.
Klingt kompliziert? Ist es nur solange du nicht gewohnt bist, dich ernst zu nehmen. Deine Werte wirklich zu leben. Deswegen bin ich ja der tiefen Überzeugung: Verzicht auf Erziehung ist das ernst nehmen von dir, deinen Bedürfnissen, deinen Werten. Es beginnt bei dir.
Und genau da starten wir auch.
1. Sei gut zu dir selbst
Das klingt immer so nett – aber gerade wenn du dein Verhalten gegenüber deinem Kind verändert willst, bist du oft genug damit beschäftigt, was dein Kind braucht. Das Blöde ist: Veränderung braucht Kraft. Sie braucht deine Hingabe, deine übererfüllten Bedürfnisse. Sie braucht DICH. Sie braucht Heilung.
Nimm. Dir. Deine. Kraft. Gönn dir die Heilung. Beginne da.
Das ist ein Fehler, den ich erst in den letzten Monaten und Jahren korrigiere – mir selbst die Heilung zu geben, ist das Fundament. Immer und immer wieder. Erst aus dieser Kraft heraus kann ich nachhaltig etwas ändern.
2. Fang NICHT bei den großen Baustellen an
Wenn du jetzt sofort etwas beginnen und deinen bisherigen Kurs korrigieren willst, denk daran, dass DU mitwachsen musst. Eure Beziehung muss es. Euer Leben.
Fange nicht mit den schwersten Themen an, auch wenn sie vielleicht die sind, die dich zur Veränderung gebracht haben. Fang da an, wo es leicht ist und wachse langsam nach.
Unterstelle Gutes.
Sag mehr ja, wenn du es von Herzen meinst.
Vertraue mehr.
3. Trauere
Ja, es ist Mist gewesen, was du gemacht hast. Ja, das hat Folgen. Und es macht überhaupt keinen Sinn, sich einzureden, das sei anders.
Die Folgen deines Tuns können sein, dass dein Kind lügt. Dass eure Beziehung angeschlagen ist. Dass du innere, abwertende Bilder über dein Kind aufgebaut hast. Es können Diagnosen sein. Entfremdung.
Das ist nicht angenehm. Es ist hart zu erleben. Es tut weh.
Und das ist okay.
Diese Trauer nicht zuzulassen, ist meines Erachtens einer der schwersten Fehler, die du nur machen kannst. Diese Trauer nicht leben zu lassen, bedeutet dass sie sich verlagert. In Selbstbeschämung und -abwertung, in ‚das funktioniert eh nicht‘.
Und dann ist da noch eine andere Trauer – die darüber, dass du selber nicht erlebt hast, was du nun erlebbar machen willst. Und da sind wir wieder bei Heilung. Es tut weh. Und das ist okay. Es kann unmöglich erscheinen. Und das ist okay.
Weil genau da die Veränderung wartet. Hinter dem Schmerz und den unangenehmen Gefühlen. Da darfst du durch. Es ist nicht angenehm. Aber du darfst es dir so angenehm wie möglich machen, indem du dich nicht mit Scham und Schuld belastest.
4. Scham und Schuld weglassen
Das ist ne schwere Übung. Scham und Schuld sind direkte Nachfolger von Erziehung. Sie aufzulösen, braucht Kraft und Hilfe (Du darfst dir therapeutische Hilfe holen. Nur zur Info!). Für jetzt kannst du jedes Mal, wenn du anfängst dich niederzumachen, diesen Gedanken bewusst zur Seite legen.
Atmen.
Weitermachen.
Ja, liebe Ruth … ein spannendes und zugleich auch schwieriges Thema.
Danke für Deine Zeilen! Ich kann es nur bestätigen, dass zuallererst man sich selbst bewusst werden muss, was WIR eigentlich WIRKLICH wollen. Nicht etwa, was die Großeltern erwarten, die Kindergärtnerin oder der Nachbar. Und klar, da spielen eigene Werte eine große Rolle. Diese Werte gilt es ja auch erstmal zu finden.
Kurzum, alles braucht seine Zeit und geht nur Schritt für Schritt – das sehe ich also genau wie Du. Nochmals lieben Dank!
Liebe Ruth,
ich habe geweint, als ich deine Worte gelesen habe (und tue es noch)! Ich bin nun seit fast 8 Jahren mit meiner Heilung mit Hilfe solch toller Methoden wie empathischem Zuhören oder the Work beschäftigt! Ich habe nicht einfach „nur“ Erziehung zu heilen, sondern (sexuellen) Missbrauch und seelische Grausamkeit. Seit 5 Jahren von den 8 habe ich Kinder und ich weiß, dass sich dadurch für meine Kinder (und für mich) schon so viel verbessert hat! Im Moment trete ich auf der Stelle und lese deinen Blog und fühle mich hilflos und weiß nicht weiter! Ich erlebe mich jeden Tag, wie ich bedürfnisorientiert und auf Augenhöhe mit meinen Kindern bin, nur, um dann wieder in alte Ängste zu verfallen und das an meinen Kindern auszulassen! Dann kommt die Schuld und Scham darüber, wie ich mit ihnen rede und, dass ich es immer noch nicht schaffe, friedvoll mit mir und mit ihnen zu sein! Daraus entsteht Wut darüber, dass ich es nicht kann und andere schon (Rosenberg sagte ja mal: wenn du unglücklich sein willst, vergleiche dich mit anderen! ;-)) und dass die es ja sowieso viel einfacher haben!
Dein Blog und deine Ansichten bringen mich in einen Ausnahmezustand, der mich an vielem zweifeln lässt. Leider im Moment am meisten an mir selbst. Aber da steckt ja auch eine Chance für Veränderung drin! Danke, dass du so mutig bist, das mit anderen zu teilen, was dich bewegt!
Ganz herzliche Grüße, Steffi
Liebe Steffi! Danke für dieses wunderbare Feedback. Und vergiss nicht – mach langsam. Heilung braucht Zeit.
Deine Ruth
‚Scham und Schuld sind direkte Nachfolger von Erziehung.‘ Das ist es. Dieser Satz. Jetzt kann ich Heilen, denn ich habe eine Klarheit (über mich) in mir. Jetzt kann ich Weiterstolpern auf dem erziehungsfreien Weg und weiß, warum ich genau das will. Fünf Kinder, fünf Väter in spe (vielleicht). Sie sollen nicht mit vierzig heilen müssen, so wie ich. Danke von Herzen!