Neulich hab ich auf Instagram eine Frage bekommen. Die Mama, die mich um Hilfe bat, war verzweifelt: Sie hatte ihr Kind gehauen.
Wie es dazu gekommen war? Das Kind hatte seinem kleinen Bruder ein Bein gestellt.
Mit der Antwort auf diese Situation im Rahmen eines Live-Videos habe ich wohl einen Nerv getroffen und mag auf die vielen Folgefragen und den Themenkomplex ‚Was tun statt Strafe?‘ eingehen. Denn das ist etwas, was neu ist. Wir sind Pionier*innen: Wohin geht es? Was kann Erziehungsfreiheit bedeuten? Auf diesem Weg ist die Essenz der Veränderung, dass wir uns gegenseitig unterstützen und Ideen teilen, glaube ich.
Dann lasst uns mal loswandern!
Warum nicht strafen?
Hier bin ich schonmal tiefer darauf eingegangen. Strafe ist komplett sinnlos. Es ist die Idee, dass jemand etwas lässt, indem ich dem*derjenigen hinterher seelische oder körperliche Schmerzen zufüge, ungeachtet der Motive.
Funktioniert es? Jein. Ja, weil abhängige Menschen im Extremfall ihr Leben riskieren, wenn sie nicht tun, was wir sagen. Kinder sind leicht bereit, ihre Integrität über Bord zu werfen, um uns zu gefallen. Das ist ein Schutzmechanismus der Seele und auch gut so – Problem ist allerdings, dass das Bedürfnis bleibt, was da unerfüllt ist.
Funktioniert es denn WIRKLICH? Nein. Denn sonst wäre unser Strafsystem erfolgreicher. Ist es nicht. Die Angst vor Strafe hält Menschen zwar ab, Dinge zu tun, aber sie heilt nicht und hilft der Person, die da so in Not ist, nicht, dass sie Gewalt anwendet, ihre Bedürfnisse anders zu erfüllen.
Schimpfen ist aber nicht strafen!
Doch. Schimpfen ist das nachträgliche Beschämen einer Person, die von unserem Urteil abhängig ist. Die Worte, die wir denken und sagen zu unseren Kindern, die brennen sich ein. Schimpfen nutzt das zur negativen Prägung.
Außerdem ist schimpfen genauso sinnlos. Schimpfen erklärt nicht, was das Problem am Verhalten war. Wem das warum weh tat. Was vielleicht sinnvoller gewesen wäre. Es beschämt nur. Genau wie… eine Strafe.
Jaja Ruth, ganz prima. Du bist also einfach immer nett, ja?
Nein. Nicht schimpfen heißt nicht ‚immer nett‘ sein. Es heißt, die andere Person nicht zu erniedrigen, sondern auszudrücken, was mich bewegt.
Nicht „Ey, spinnst du? Lass die Scheiße, sonst…“ sondern „Ey! Kacke, guck mal, das tat X weh!“ Es lenkt den Blick auf Verbindung, nicht auf Verhalten.
Was also tun, wenn mein Kind Mist macht?
Damit dein Kind lernen kann, braucht es Rückmeldungen. Ihr könnt, je nach Alter, schauen, wie die andere Person nun guckt, fragen, wie es ihr geht. Du kannst ausdrücken, warum du etwas nicht in Ordnung findest.
So kann dein Kind herausfinden, was Werte sind, wann sie angewendet werden und wie. Das heißt nicht, dass es tut, was du sagst! Es heißt, dass es eine Chance bekommt, zu verstehen, warum dir was wichtig ist. Und so lernen kann.
Denn vergessen wir eines nicht: Auch Grenzüberschreitungen, ‚Provozieren‘ und Co sind soziales Lernen. Alles ist Lernen. Je mehr Ideen du dazu gibst, desto besser kann dein Kind verstehen, was wann angemessen ist – und wann nicht. Und: Keine Angst vor Fehlern, auch bei sozialem Lernen!
Außerdem: Konstruktiv bleiben. Im Nachhinein beschämen ändert genau gar nix an der kaputten Vase, dem weinenden Geschwister. Natürlich können wir nicht alles WEG machen, aber wir können die beschissene Situation wenigstens nutzen, um Beziehung und Einfühlung zu leben – warum hast du das wohl getan? Was brauchst du jetzt? Worum geht es hier? Was wären gute Ideen, um das zu lösen?
Und das heißt nicht, dass es Lösungen gibt. Es heißt nur, dass dir wichtig ist, das Leben anzunehmen, wie es ist und dein Kind. Mit allem.
Hallo Ruth!
„Ey! Kacke, guck mal, das tat X weh!“, ist etwas unglücklich formuliert. 😉 Ich würde die Kinder nicht so nennen. 😀
Wenn wir gute Vorbilder in der Lösung von Konfliktsituationen sind, werden die Kinder es sich abschauen – das liegt in ihrer Natur.
In hitzigen Situationen hilft es mir immer, mich zu fragen, was jetzt wichtiger ist: Die Integrität meines Kindes oder meine zerbrochenen Lieblingstasse. Sich für „Erziehung“ zu entscheiden, macht es nur schlimmer.
Es sind eben Kinder. Vieles geschieht bei ihnen noch instinktiv und aus dem Affekt heraus. Wenn Geschwister in Streit geraten, können die Fetzen fliegen. Doch geht der Sturm oft genauso schnell vorüber, wie er aufzog. Hier können wir ewig nachtragenden Erwachsenen noch viel lernen. 🙂
Liebe Grüße
Patrick
Hey Ruth, für mich war die Gegenüberstellung der beiden Sätze beginnend mit „Ey…“ ein echter Schlüssel. Diese Art von Alternativen kann ich nämlich leben. Ich brauche eine Art des Ausdrucks, die Gefühlen von Ärger oder Erschrockenheit über das Verhalten meiner Kinder Rechnung trägt. Also: Danke für das unflätige Wörtlein in deinem Vorschlag. Er macht möglich, dass ich mich als emotional eher aufbrausende und im Alltag mit zwei kleinen Jungs nicht immer so besonnen sprechenden Person der Idee von nicht-erziehen annähern kann. Für mich ist es immens wichtig, dass ich fluchen darf, dass ich laut sein darf. Und dass dies nicht bedeutet, dass nicht-erziehen für mich nichts ist!
<3
Danke Ruth für diesen Input!
Hi Ruth,
Danke für den Text. Trifft inhaltlich meine Meinzng zum Umgang mit unseren Kindern sehr gut.
Könntest du vielleicht noch kurz eingehen auf, was Peovozieren bedeutet im Rahmen zwischenmenschlicher Interaktion?
Ich denke darüber seit längerem nach und bin interessiert an anderen Meinungen.
Naja, die Zuschreibung ‚Provokation‘ kommt ja aus uns. Da kann erstmal das Kind nix für. Das Verhalten kann viele Ursachen sein, die meist aus Misstrauen und dem Versuch die eigenen Integrität zu verteidigen kommt. – Ruth