Wir sitzen am See. Meine Jüngste spielt um mich herum, ich lasse mir die Sonne auf den Pelz scheinen und quatsche mit Bekannten.

Mein Töchterlein fängt an zu schimpfen. Das Tuch auf dem sie sitzt, soll glatter sein. Ich bitte sie aufzustehen und lege das Tuch glatt hin.

Meine Bekannte unterbricht ihre Erzählung, die sie gerade in den warmen Sommerabend plauderte und guckt mich an. Ich warte auf den Kommentar. Da ist dieses ‚gleich sage ich dir wie ich dich als Mutter finde‘-Gesicht.

Und dann sagt sie: ‚Sag mal, du regst dich nie auf, oder?!‘

Am Anfang des Weges

Als mein Sohn fast 2 war, wurde ich schwanger. Im Nachhinein war das Timing wohl nicht so schlau. Mein Sohn brauchte mich, er war so klein… Und meine Schwangerschaft war fordernd.

Ich erinner, wie er manchmal schrie. Weil er traurig war. Weil er wütend war. Weil er einfach zwei Jahre alt war und nicht die Hirnreife hatte, mit Frust umzugehen.

Und ich schimpfte. Ich schrie zurück. Ich zwang ihm ‚Konsequenzen‘ auf.

Never ever hätte ich einfach freundlich tun können, was er wollte. Selbst als ich begann, mich mit Nicht-Erziehung zu befassen, erschien es mir komplett irreal. Eine Welt ohne Schimpfen. Ohne Schreien. Ohne Abwertungen. In Selbstverantwortung.

Haha, sicher doch! Was für ein Schwachsinn!

Und einige Jahre später sagt mir eine andere Mutter, sie habe den Eindruck, ich würde mich nie aufregen.

Also, klar, da liegt sie falsch. Ich rege mich auf. Über Ungerechtigkeit zum Beispiel. Oder Stifte nur für Mädchen.

Aber tatsächlich – ich werde nur noch sehr selten wütend, wenn meine Kinder schreien. Ich übernehme die Verantwortung für mich. Ich helfe, ohne den Eindruck zu haben, nachzugeben.

Ich lebe in fucking Disney Land.

Wie komme ich da hin? Der Fluch des Shortcuts

Das Problem ist, dass du, wenn du am Anfang deines Weges stehst, dieses Bild hast, wie es aussehen könnte. Also, das an sich ist ja kein Problem. Gut zu wissen, dass es lebbar ist, und schön, Orientierung zu haben.

Aber Bilder, wie wir zu sein haben und unser Leben aussehen sollte, sind ziemlich sicher Verhinderer in Sachen Präsenz. Und das wiederum garantiert, dass du dein Verhalten nicht verändern wirst.

In anderen Worten: Solange du zum Ziel willst, wirst du es nicht erreichen. Erst wenn du annimmst, wo du stehst, wirst du das Ziel vielleicht erreichen, es wird dir aber egal sein.

Hä?

Okay, von vorne.

Bilder als Präsenzkiller

„ich will auch endlich immer freundlich sein!“ – so bricht es aus vielen der Menschen, die ich berate, heraus. Meist sagen sie das, wenn sie über Situationen reden, in denen sie nicht angemessen reagieren.

Gerade diese Idee aber verhindert, dass sie aufhören mit dem Mist. Nachhaltig.

Think about it: Wenn wir davon ausgehen, dass jedes Verhalten eines Kindes Sinn ergibt und dass es kein böser Mensch ist, warum dann nicht auch bei uns? Und wenn wir davon ausgehen, dass nicht kooperatives Verhalten von kleinen Menschen immer auf unerfüllte Bedürfnisse zurückzuführen ist und Strafen nicht helfen, sondern schaden, warum dann nicht auch bei großen Menschen und, ich wiederhole mich, warum nicht bei uns selbst?

Du schreist deine Kinder immer an, wenn sie sich streiten? Dann hast du ein Problem. Vermutlich hast du dir schon hunderte Male gesagt, dass du das lassen solltest. Vermutlich warst du nicht nett, sondern hart mit dir.

Und eines der Probleme mit Härte ist, dass die Bilder, wie wir leben wollen, verhindern, dass wir empathisch leben können, was IST.

Du kannst gerade nicht freundlich sein. Du bist wütend. Das liegt nicht an deinem Kind – das liegt irgendwo in dir. Und nein, es ist nicht super. Aber das bist du. Das ist das, was in dir lebt.

Dir beständig zu sagen, dass du anders sein solltest, als du bist, tut weh, entfernt dich von der Verbindung zu dir und macht dir Schuldgefühle. Es ist, kurz gesagt, Erziehung.

Raus aus dem Bild, rein in das Jetzt

Ich habe lange versucht anders zu sein, als ich bin. Ich las von unerzogen, von bedürfnisorientierter Elternschaft und war verblüfft. Das geht? Was muss ich tun?

Damit war ich schon der ersten Falle auf den Leim gegangen: Ich dachte, es gibt ein Rezept. Ich muss nur weniger schreien. Mehr nett sein. Mehr erlauben. Fertig.

Das stimmte zum Teil auch. Manchmal war ich einfach still, wo ich vorher laut war und einfach freundlich, wo ich vorher erzog. Aber an vielen Punkten wusste ich nicht, wie ich jemals mein Verhalten verändern konnte. Und verzweifelte.

Das funktionierte ja gar nicht!

Nein, das tat es nicht. Solange ich nicht annahm, was da war. Dass ich eben nicht darüber hinwegsehen konnte, nicht freundlich und großartig sein konnte. Sondern voller Schmerz und Ärger war. Und Trauer.

Weil ich geprägt war von meiner Erziehung. Von meiner Umwelt. Das saß tief.

Ich begann zu trauern. Mich in mich hineinzubegeben. Ich gewöhnte mir an, Situationen die mir schwer fielen zu verlangsamen. Ich meditierte. Ich atmete.

Und plötzlich hörte ich auf.

Ich hörte auf, meine Kinder anzuschreien, weil ich meine Not sah und dass meine Kinder nichts damit zu tun hatten. Ich wurde freundlicher.

Erst schaffte ich es nur einmal in zehn Situationen. Dann oft erst im Nachhinein. Ich vergab mir, ich nahm mich in den Arm und sah meine guten Intentionen – ohne zu versuchen das Leid, was ich verursacht hatte, kleinzureden.

Und am Ende? Am Ende merke ich, wie ich das Ziel nicht mehr brauche. Ich orientiere mich an meinen Maßstäben. Ich bin inspiriert von tollen Menschen. Aber meine Rama-Familie ist das, was ich leben kann. Was ich schaffen kann. Und dieses Potenzial, das kreiere ich eben dann, wenn ich feiere und dankbar bin für das was ist.

So. Und nun gehe ich mich bei meinem Sohn entschuldigen.

Still: A long way to go.