Der Wecker klingelt. Das Kind mault. Die Chefin wartet. Im Kindergarten haben schon alle angefangen, als du aufschlägst.
Auf dem Weg in die Arbeit/Uni/whatever könntest du in das Lenkrad (oder den Sitz vom Bus) beißen, so fertig bist du.
Ein normaler Morgen bei dir?!
Dann ist dieser Artikel für dich.
Es gab eine Zeit, da war mein Leben ungefähr so. Okay, in den Kindergarten gingen meine Kinder kaum. Aber diese Stimmen im Kopf, die mich gehetzt haben, die kenne ich so gut.
Die, die sagen: „Du musst aber noch“ und dann so endlos viel aufzählen, dass mir nach der Hälfte der Liste schon ganz schlecht geworden ist. Und den Anfang der Aufzählung hatte ich dann eh wieder vergessen.
Die, die mir erzählen, dass ich nur eine gute Mutter bin, wenn ich mehr leiste. Bessere Kuchen backe. Einen perfekteren Haushalt führe. Mehr arbeite. Mehr studiere.
Die, die mir das schlechte Gewissen einreden, dass die Vereinbarkeitsfalle zum Folterinstrument macht: Dass ich nicht genug bin. Nicht genug Mutter. Nicht genug Frau. Nicht genug Karrieristin. Nicht genug.
Ich zerrte meine Kinder von A nach B, zum Einkaufen hin, vom Einkaufen weg. Alles schnellschnell. Keine Zeit.
Wenn sie trödelten nahm ich sie und trug sie weg. Wenn sie schrieen, erpresste ich sie. Wenn sie müde wurden, schimpfte ich mit ihnen.
All das tat ich, weil ich dachte, dass ich das tun muss.
Ich war tief überzeugt, dass es meine Aufgabe sei, zu ‚managen‘, Abläufe zu planen, zu organisieren.
Und ich verlor mich selbst dabei.
Ich wurde krank. Ständig. Ich war immer, immer müde. Ich verlor Freund_innen, weil ich nicht zuhören konnte und wollte. Ich redete nur über mich und sehnte mich überall nach Menschen, die mir die Last des nicht-perfekt-Seins abnehmen sollten.
Und ich verlor (beinahe) die Beziehung zu meinen Kindern dabei.
Ich erinnere, wie ich meinen Sohn mit zu einer Prüfung nahm und er im Auto bitterlich weinte, weil ich ihm sein Lieblingskissen nicht geben wollte. Es war zu Hause, wir hätte umkehren müssen.
Ich tat es nicht. Dabei hatte ich genug Zeit. Ich wollte es nicht, weil sein Kissen mir nicht wichtig war. Und als ich nach der Prüfung mit dem Kind, das mittlerweile schlief, wieder nach Hause fuhr, durchzuckte es mich: Ich hatte das Kissen nicht geholt, weil er mir nicht wichtig genug war.
Er. Mein Kind.
Er war mir nicht wichtig genug, um weniger zu arbeiten. Das war eine bittere Erkenntnis. Ich arbeitete, weil ich mich entschieden hatte dazu, nicht weil ich musste. Ich hetzte meine Kinder, weil ich mich entschieden hatte dazu, nicht weil ich musste.
Ich tat Dinge gegen meine Kinder, nicht für unsere Beziehung. Ich hetzte, schimpfte, motzte und war allgemein auch einfach nicht anwesend. Meine Prioritäten waren nicht im Jetzt. Nicht bei meinen Kindern und nicht bei mir. Ich lebte nicht, ich schwamm mit. Ich bekam mein Leben nicht zu fassen.
Also begann ich, aufzuhören.
Das fühlte sich zuerst sehr hart an und dann ganz leicht.
Zuerst wusste ich nicht, wie ich die Verantwortung übernehmen konnte – dann war es leicht und fühlte sich frei an.
Ich setzte an diesen Punkten an:
1. Muss ich das wirklich tun?
Ich holte die Verantwortung zu mir. Musste ich wirklich GENAU DIESEN Bus bekommen, um pünktlich zu sein? Musste ich wirklich das Kind zu einer bestimmten Zeit ins Bett zwingen? Oder gab es vielleicht Alternativen?
Wenn ich die Alternativen aufgespürt hatte, fragte ich mich, was genau denn nun dafür und dagegen sprechen könnte. Die empörte innere Stimme („aber man MUSS doch“) ließ ich beiseite. Die hatte genug Leid angerichtet.
Ich frage mich, warum ich eigentlich das so wollte, wie ich es wollte. Was meine eigentlichen Gründe waren.
Und landete damit bei Punkt 2:
2. Was brauche ich wirklich?
Eine lange Zeit meiner Entwicklung verbrachte ich an diesem Punkt. Wie bei vielen Menschen, die ich berate, hat Erziehung da auch bei mir ganze Arbeit geleistet: Ich wusste oft schlicht nicht, was ich brauchte oder wollte.
Ich wusste nur, was ich von meinen Kindern wollte. Und ich spürte, dass ich in Not war, wenn ich sie drängte, stresste, ignorierte – schlicht die Beziehungsebene vernachlässigte.
Warum das so war, verstand ich erst nach und nach: Ich selber war mir auch keine gute Partnerin. Ich vernachlässigte mich selber wie meine Kinder – ich brachte mich zum Funktionieren, aber ich spürte nicht in mich hinein: Was will ich eigentlich? Was ist mir wichtig?
Also hielt ich inne. Achtsamkeit war ein wesentliches Instrument dafür. Ich ‚bremste‘ quasi immer, wenn ich bemerkte, dass meine Werte und mein Handeln auseinanderfielen.
Und dann leistete ich mir selber erste Hilfe. Schaute hin. Nahm mich in den Arm. Sorgte für mich.
Plötzlich war es nicht mehr wichtig, ob meine Kinder so angezogen waren wie ich es für richtig hielt. Oder ob sie mich mal ‚blöde Mama‘ nannten. Es war okay. Ich war okay.
Mein Selbstbewusstsein erholte sich. Meine Kinder und ihr Verhalten waren nicht mehr Ursache, höchstens Wirkung meines eigenen Verhaltens.
3. Wie will ich leben?
Die zweite Frage führte zu der dritten: Was ist eigentlich wichtig für mich in meinem Leben? Will ich wirklich später sagen können „Hey, aber die Einkäufe habe ich immer rechtzeitig nach Hause gebracht?“ Wirklich?
Das glaube ich kaum.
Wenn ich auf dem Weg nach Hause meine Kinder von so vielen Blumen, die es zu entdecken gibt, so vielen Fragen, die es zu fragen gibt, abgehalten habe, dann ist das den Preis nicht wert.
Das wurde meine Leitfrage: „Ist es den Preis wert?“
Ich entdeckte, dass es das oft nicht war. Und wenn es das war, war ich leichten Herzens und gerne bereit, den Preis zu zahlen, anstatt mich mit Schuldgefühlen zu plagen.
Außerdem entdeckte ich, dass ich selber meine Werte in dieser Welt leben konnte, heute. Mit meinen Kindern. Ich hörte auf, zu erziehen und begann, mit ihnen zu leben. Etwas Besseres hätte mir nicht passieren können.
Ich gab, gab alles was ich hatte und mehr. Ich tröstete, ich schluckte Bemerkungen runter, ich zog Socken an kleine und auch größere Kinderfüße.
Und ich hatte nicht weniger. Ich hatte mehr.
Mehr Vertrauen. Mehr Selbstwirksamkeit in der Welt. Mehr Verantwortung für mein Leben. Mehr Freude.
Sehr berührend… Danke
als ich es gelesen hab, da berührte es mich innerlich sehr.
da ich auch manchmal ecktisch und ungeduldig sein kann.. Es ist echt krass sowas zu lesen.. Gibt nicht viele Mütter die so offen reden können Und ehrlich sein können,wo ihre Schwierigkeiten sind,und wo sie Problem haben. Das zu teilen und zu offenbarn!( stark) hilft auch ganz bestimmt den anderen Mütter.. Werde mir das weiter an schauen und weiter durch lesen, es schadet mir nichts was neues zu zulernen und zu erfahren..
Hallo liebe Ruth,
der Artikel ist wunderbar, aber mir fehlen irgendwie Lösungen. Es ist echt egal, wann ich meine kleine wecke, jeden Morgen haben wir ein riesen Theater, wenn es ums Anziehen geht… Dann will sie noch dies und jenes machen und mir läuft schlicht die Zeit davon…. Hast du einen Rat für mich?
Liebe Grüße
Charlotte
Ja, das ist wahnsinnig schwierig – es gibt da draußen eine Menge Ideen, hier auf dem Blog würde ich dazu gerne nochmal dazu schreiben!
Grüße, Ruth
Liebe Ruth. Danke!!! Ich liebe deine Art zu schreiben. Und ich freue mich dass du mir und vielen anderen hilfst, zu mir (sich) zu finden und mit den Kindern zusammen den Weg der Liebe zu gehen.
Du sprichst mir aus der Seele. Was ich denke und was ich tu sind leider noch zwei verschiedene Dinge. Manchmal frage ich mich, ob meine Erklärungen warum es ist wie es ist Begründungen sind oder doch nur Ausreden. So blöd der Ist-Zustand manchmal ist, so ist er doch auch irgendwie sicher. Er ist das, was ich kenne… Alles andere ist fremd und es kostet Überwindung sich und sein Verhalten zu verändern. Aber ich bleibe dran 🙂
Danke für deine Worte
Habe Deinen Beitrag kurz überflogen. Deine Gedanken sind mir sehr sympathisch! („Blöde Mama“ ab und zu von den eigenen Kindern zu hören ist doch ziemlich normal. ;-)) Sollte man „Erziehung“ vielleicht nicht weiter fassen? Nicht erziehen ist auch erziehen. Nicht erziehen (aber präsent sein), geht gar nicht. Unkonsequent (aber authentisch) sein ist menschlich. Wir sind keine Roboter. Kinder sind wirklich das Besste was wir haben. Auch wenn es nicht immer einfach ist.
Hey!
Der Begriff „Erziehung“ ist in der Antipädagogik sehr genau gefasst und nicht gleichzusetzen mit „Einfluss“. Er meint das spezifische gezielte Formen eines Gegenübers. Mehr dazu in der Arbeit z.B. von Ekkehard von Braunmühl. Das ist theoretisch durchaus durchdacht.
Grüße, Ruth
Wow! Liebe Ruth! Ich bin durch Zufall auf deine Seite gestoßen und finde sie sowie deinen Ansatz/deine Mission einfach nur wunderbar!!! Die Aufmachung, Logo, Schrift deiner Seite sind sooo sooo schön! Dein Schreibstil hat mich total berührt und angesprochen!! Ich selbst bin noch keine Mutter, aber Erzieherin und habe zuvor ein Jahr als Au Pair mit Kleinkindern gearbeitet… Auch ich befand mich immer wieder in dieser „Klemme“: „Wozu mache/sage/verlange ich gerade dies oder jenes? Wie erkläre ich es mir oder den Kindern? Ist mein angegebener Grund tatsächlich einer?!“ Habe mich manchmal wie ein Schnacker gefühlt, der Sachen sagt, aber selbst nicht vorlebt… Oft eben, weil zB Arbeitskollegen oder Eltern das womöglich erwartet haben… Mir graut es davor, im Umgang mit Kindern weiterhin so verklemmt und verunsichert zu sein… Deine Seite ist Gold wert!!! Ich wünschte, ich hätte diese Einstellung schon verinnerlicht! Aber ich bin am Ball! Vielen lieben Dank für deine wunderbare, herzliche Ehrlichkeit! Damit hilfst du ganz ganz vielen Menschen sehr! Alles Liebe ❤
Ein schöner Bericht, der hilfreich ist, wenn man am Anfang dieses Weges steht.. So etwas suchte ich. Danke
Liebe Ruth,
ich empfinde auch vieles -das man so macht, um Kinder zum „Funktionieren“ zu bekommen, unnötig!
Doch oft hab ich auch das Gefühl, das für Eltern Kinder die funktionieren (weil sie anders nie durchkommen und das wissen) …“einfacher“ sind!?!?!
Natürlich will ich mein Kind Kind sein lassen, er soll die Dinge machen dürfen die sein ❤️ erfüllen und ihn glücklich machen!
Ich schenke ihm die Zeit die er dazu braucht so gut ich kann!
….
Aus den Umständen heraus (bin quasi alleinerziehend weil mein Mann sehr selten da ist) bin ich aber gezwungen ihn überall hin mit zu schleppen bzw die „für ihn langweiligen Dinge“ (wie Arbeit im und ums Haus und Co) mit ihm zu machen, wo wir dann unsere Probleme haben!
Ausserdem schaffe ich es dann nicht mehr gut für mich zu sorgen…. weil meine Bedürfnisse oft mal auf der Strecke bleiben!
Und da komme ich dann an den Punkt…. beneide dann meine Schwägerin, deren gleichaltriger Sohn eben um Punkt 18:00 Uhr schlafen geht (und sie sich dann noch ein paar gemütliche Stunden macht) während meiner oft mal um 21:00 noch rum turnt und ich dann mit ihm eingehe…
Der Neffe allein spielend an seinem Tischchen sitzt während sie Staub saugt, wo meiner am Staubsauger hängt und ihn aus und einschaltet und zerlegt und wieder zusammen baut…, weil er ihn so liebt ?!
Ich halte mir vor Augen dass mein Sohn seine Neugierde befriedigt, lernt und sich besser entwickeln kann,…..
……aber, es ist oft echt anstrengend…!
Und wenn ich ihm dann Grenzen setze, weil unser Alltag sonst einfach nicht mehr voran geht, trotzt er bis ins unendliche!
Hiiiilllfffeee…., was mach ich falsch???
Oh Mann, du sprichst mir so aus der Seele. Ich habe eine einjährige Tochter, ich weiß, dass sie nichts dafür kann, aber wo bleibe ich eigentlich?
Ich bin einfach nur noch fertig und müde. Meine kleine Maus geht mir oft auf die Nerven, weil ich keine Ressourcen mehr habe. Und dann bin ich ungerecht, weil ich es nicht schaffe kurz inne zu halten. Aber wie auch?
Liebe Ruth,
ich las erst andere Artikel von Dir und dachte mir, wie soll das gehen????
Ich wurde erzogen und dachte immer, dass ist ok so. Werte vermitteln, u.s.w…
Jetzt habe ich verstanden, es geht um die eigene Haltung und Einstellung. Bei diesem Artikel gerade, habe ich geweint, denn ich schaute in einen Spiegel. Es macht mich unsäglich traurig, weil ich vor lauter Erschöpfung und mich selbst nicht spüren, versuche, mein Kind in der „Spur“ zu halten.
Danke Ruth, ich weiß noch nicht wie, aber es ich werde das ändern!
Danke für den Lichtblick!
Liebe Grüße
Nika
Liebe Ruth, danke für deine Zeilen! Ich lese oder finde mich neu in die Materie „Unerzogen leben“ ein! Das, wie du es schreibst klingt harmonisch, jedoch wie sieht dein Alltag, deine eigene Realität aus? Wenn nicht der Bus zur Arbeit, welcher dann? Oder gar nicht mehr arbeiten? Wie schaut, das Geschriebene in deinem Leben aus? Magst du was dazu schreiben? LG Mandy
Ach Ruth, du hast mich zum weinen gebracht?das ist gerade genau mein Leben?ich stecke fa total fest, bin noch schwanger mit Babyboy Nr. 3 und dadurch auch noch total ungeduldig.. .ach ich mag mich gerade gar nicht?Danke für dieses Rütteln und Schütteln….Wenn ich morgen aufwache, werde ich mir das alles noch einmal durchlesen und herausfinden, was ICH eigentlich will. Ich danke dir?
Liest sich ja interessant, nur wird es ganz ohne erziehung nicht funktionieren.
Wenn mein sohn die nacht durch machen möchte und ich ihn lasse, ist er am nächten tag zu müde für die schule. Wenn ich ihm süßes ohne ende erlaube, wenn ich ihn bei minus graden ohne jacke raus lasse, zähne putzen ihm zu läßtig ist… dann muss ich erziehen. Er erkennt die zusammenhänge noch nicht. Das ist einfach so. Da kann ich mit dem erziehen nicht aufhören.
Ein elternführerschein wäre klasse. Gern auch verpflichtend. Dann hätten wir diese situationen möglicher weise seltener.
Liebe*r Alex,
ich bin immer wieder erstaunt über derartiges Misstrauen. Warum sollte ein Mensch sich selbst nachhaltig schaden wollen? Meine Kinder haben schon sehr früh den Zusammenhang zwischen z.B. Kälte und KLamotten begriffen. Sie sind ja nicht doof! Was nicht bedeutet, sie allein zu lassen. Dabei zu sein und das Band zu den Kindern so zu pflegen, dass sie sich für uns und unsere Meinung interessieren, das ist die Kunst.
Grüße, Ruth
wie sah das für sich sorgen genau aus?
ich bin allein mit maus und vielfach isses die schlichte erschöpfung die die nerven platt macht und unsinn aus meinem mund kommen lässt 🙁