Das ist ja echt son Ding.

Selbstbestimmen – neee, das darf ein Kind doch lieber nicht, oder? Da muss mensch doch eingreifen. Sicherheitshalber.

Aber: Nein sagen, wenn wir nein meinen, das ist dann doch verdammt schwer. Da verlieren wir uns in Erklärungen, erwarten Verständnis und sind dann sauer, wenn das Kind sauer wird. Hä?

Nein.

Einfaches Wort, große Wirkung.

Unerzogen und das Nein-Sagen

Unerzogen, das ist doch das, wo man nicht nein sagen darf, oder?

Vergiss es. Um mal kurz mit diesem dämlichen Vorurteil aufzuräumen. Das stimmt nicht.

Ich bin voll fürs Neinsagen. Wenn wir es meinen. Unerzogen ist nicht, aufzuhören mit dem Neinsagen sondern anzufangen, es bewusst und klar zu tun.

Es geht um Verantwortung. Wenn du wirklich entschlossen bist, sag nein. So klar und liebevoll es geht.

Wie?

Dazu gibt es ein paar Faustregeln:

1. Sage nicht zu oft nein

Das Ding ist: Wenn du grundsätzlich nein sagst, sobald du was gefragt wirst, wird dein Kind dir nicht mehr zuhören, wenn es wichtig wird.

Irgendwann, wenn es um wichtige Dinge geht – um Themen, die dein Kind ernsthaft gefährden können, um Angst und Kontrolle und Ausprobieren – wirst du dir sicher wünschen, dass dein Nein gehört wird.

Sorge dafür, dass es eine Ausnahmeerscheinung ist.

Ist es echt so schlimm, wenn dein Kind nun einen dritten Löffel zum Essen haben will? Ist es wirklich so schlimm, wenn der Hund mit Spinat gefüttert wird? Ist es ernsthaft so schlimm, wenn das Kind eine halbe Stunde länger auf dem Spielplatz bleiben will?

Ehrlich: Ist es nicht. Wobei, bei dem Spinat bin ich nicht ganz sicher..

2. Biete eine Alternative

Okay. Die handgeklöppelte Vase deiner Urgroßmutter soll nicht von schmierigen Kleinkindhänden pulverisiert werden. Deine Tochter soll nicht auf ein fragwürdiges Konzert mit weniger als einem Hauch von Nichts am Leib gehen.

Ich habs kapiert.

Aber weißt du was? Lösungen sind viel geiler als Probleme. Deswegen schlage ich dir vor: Biete Lösungen. Fokussiere dich auf das, was du willst und womit du zufrieden bist.

Gib dem Kind die billige Vase vom Flohmarkt, die du eh nicht ausstehen kannst.

Begleite deine Tochter oder schenk ihr nen neuen Fummel (wenn du darfst).

Wirklich: Auf das gucken, was sein soll, anstatt auf das zu gucken, was doof ist, ist voll schön. Positivität ist eine tolle Sache!

3. Sage nur nein zu einer Sache, nicht zum Kind

Es geht immer um mehr als die Sache an sich. Es geht um eure Beziehung, um euer Miteinander. Es geht um Bedürfnisse.

Wenn dir das klar ist, kannst du besser differenzieren – das willst du nicht. Aber dein Kind in der Würde verletzen, es beschämen oder bestrafen ist nicht nötig. Es geht um eine Sache, nicht um den Weltuntergang.

Ich habe ja festgestellt, dass meine Kinder sofort spüren, ob ich nein sage, weil ich sie im Ganzen ablehne, genervt oder sonstwie nicht in Beziehung bin oder ob ich nein zu einer Sache sage.

Es ist kein Drama. Es ist ein Nein.

4. Sage nicht nein, weil du denkst, dass man das so macht

Der Schlüssel für ein liebevolles Miteinander ist Authentizität. Wenn du es schaffst, auszudrücken, was in dir vorgeht, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass du gehört wirst.

Leider ist es so, dass in unserer Gesellschaft ein Nein sehr häufig erwartet wird. Laut singen in der Öffentlichkeit, hüpfen und tanzen? Um Himmels Willen, NEIN!

Aber warum denn eigentlich nicht? Na?

Erschreckend oft sagen wir nein, weil wir glauben, dass Andere das erwarten. Damit machen wir uns zu den Sklaven unserer Gedanken (Byron Katie hat dazu Wunderbares gesagt in Lieben was ist. Wie vier Fragen Ihr Leben verändern können).

Lass das!

5. Beharre nicht auf dein Nein

An dieser Stelle: Ein Hoch auf die Inkonsequenz! Das böse, böse, Elternschreckwort! Ha!

Ich steh dazu. Konsequenz ist nur sinnvoll, wenn es um Erziehung geht.

In echten, lebendigen Beziehungen macht es Sinn, abzuwägen – habe ich mich vielleicht geirrt? Ist es meinem Kind zu wichtig? Finden wir doch keinen Kompromiss? Gibt es einen Faktor, den ich nicht bedacht habe?

Hör deinem Kind auch nach dem Neinsagen zu. Vielleicht kommt nun etwas Wichtiges. Etwas, was Konsequenz überflüssig macht. Etwas, bei dem es um viel mehr geht als so blödes Sturkopfverhalten.

Sei offen.

6. Sei klar, kein Opfer

Die Welt geht nicht unter. Dein Kind macht nur etwas, was du nicht willst. Reg dich nicht auf!

Und vor allem: Hör auf dich zum Opfer zu machen.

Das bist du nicht. Du bist vielleicht genervt, vielleicht ärgerlich. Okay. Aber du musst nicht nein sagen. Du willst es.

Dein Kind will dir nichts Böses. Es will leben, seine Gefühle ausdrücken und es selber sein. Mit dir hat das alles nichts zu tun. Das finde ich so wichtig zu betonen.

Sag nein, weil du es für dich tust. Es wird eure Beziehung verändern.

7. Laber nicht rum

Ganz ehrlich – ’nein‘ hat vier Buchstaben. Ein Phonem. Belass es dabei.

Okay, wenn du so ne Labertasche bist wie ich, sagste halt noch einen Satz dazu. ‚Weil ich nicht will, dass…‘

Aber dann ist auch gut. Erklären, in den historischen Zusammenhang bringen, moralische und politische Keulen schwingen (‚… die Kinder in Afrika wären froh‘), psychologischen Druck ausüben (‚Mensch, du weißt doch, dass es mir nicht gut geht, kannst du nicht mal Rücksicht nehmen?‘) … all das entfernt euch voneinander.

Es nimmt euch den Blick auf das, was ist: Ihr wollt unterschiedliche Dinge. Das ist alles.

Keep it simple. An dieser Stelle.

8. Erwarte kein Verständnis

Du warst freundlich. Auf Augenhöhe. Hast es erklärt. Hast die Führung übernommen – ach, du warst wie aus einem verdammten Jesper-Juul-Erklärbärbuch!

Und dann das. Das Kind tobt. Es ist sauer. Es findet dein ‚Nein‘ scheiße. Hallo?! Hat es denn etwa nicht verstanden, was du gesagt hast? So viele gute Gründe und dann das?!

Ey. Komm runter. Deine Gründe sind gut, davon gehen wir aus (ansonsten bitte nochmal zu Punkt 1!). Und dein Kind muss das nicht verstehen. Es ist total blöd, wenn eine Person, die so viel Macht hat, wie Eltern über ihre Kinder Macht haben, nein sagt. Das nervt. Das ist scheiße.

Lass es ihm. Echt. Das ist okay. Das sagt nichts über dich oder deine Eignung als Elternteil aus. Vielmehr sagt dein Verhalten und die Bereitschaft, die Verantwortung für das Nein zu übernehmen etwas darüber aus.

Ernsthaft. Nein sagen ist nicht schwer. Unser Elternbild ist es. Erziehung ist es. Wenn wir das loslassen, dann wartet da die persönliche Freiheit, endlich in Beziehung zu gehen.

Davon bin ich überzeugt.