Die schlechte Nachricht vorweg: Du muss gar nix. Du bist frei, zu tun, was immer du willst.

Zumindest in der Theorie. Wobei der Streit darüber, was das bedeutet, durchaus schon ein paar hundert Jahre dauert. Zugegeben.

Du sagst jetzt vielleicht: „Hä, schlechte Nachricht? Is doch geil!“

Ja – solange es angenehme Entscheidungen sind. Der Punkt ist: Wenn es um unsere Kinder geht, ist es wesentlich einfacher, zu behaupten, man müsse irgendwas tun oder lassen (das hab ich hier schon mal erklärt, warum das Mist ist), als festzustellen, dass wir immer die Verantwortung haben. Auch für die doofen Entscheidungen.

Wir haben nämlich üblicherweise ein Verantwortungsproblem mit unseren Kindern, was mehr oder weniger bewusst mitläuft. Und das hat damit zu tun, dass wir Macht und Verantwortung verwirren und dabei unseren moralischen Kompass verlieren.

Aber langsam – warum ist das denn so schwer für uns Eltern, mit der Verantwortung?

Verantwortung – eine verquere Erziehungskiste

Schuld ist, tadaaa, die eigene Erziehung (denn Erziehen ist gemein). Ja, sorry, ich weiß, es wird langweilig. Aber nicht weniger wahr. Die eigene Erziehung prägt tief (aber selten so, wie unsere Eltern sich das erhofft haben).

Das Ding ist, dass Erziehung einen ganz merkwürdigen Move drauf hat: Einerseits haben Eltern die Veranwortung und sollen deswegen Dinge tun – auch gegen den erklärten Willen des Kindes. Das ist ihre heilige Elternpflicht. Andererseits aber gibt Erziehung die Verantwortung für die Folgen in der Beziehung vehement an das Kind ab.

Das Kind ist dann schwierig, laut, rebellisch – oder wird krank, still und unglücklich. Der Extremfall sind dann Diagnosen, die die Kinder für immer mittragen.

Aber auch der (innere) Vorwurf ‚ich mache und tue und du?! Wütest rum!‘ zum Beispiel zeugt davon, dass wir ungern die Folgen unserer Entscheidungen mittragen. Die Folgen einer machtvollen Entscheidung für unser Gegenüber ist nämlich nicht angenehm – und das zu ertragen haben die wenigesten Menschen gelernt. Scham und Schuldgefühle tragen dazu entscheidend bei.

Und das frisst sich ein. Heutige Eltern sind noch tief drin in der Denke, dass die erlebten Grenzüberschreitungen im Namen der Verantwortung der eigenen Eltern stattfanden (’sie meinten es nur gut‘), der eigene Schmerz darüber aber falsch war. Der Schmerz und die Folgen waren die eigene Schuld.

Mies, oder? Erziehung eben. Wie gut, dass du es anders machen willst!

Macht und Verantwortung

Um kurz mit einem üblichen Missverständnis aufzuräumen: Wenn wir nicht erziehen, gibt es ebenfalls Situationen, in denen wir Macht anwenden. Das liegt daran, dass Macht an Verantwortung gekoppelt ist.

Wir müssen nichts. Wir sind aber in allen unseren freien Entscheidungen unglaublich mächtig. Unsere Entscheidungen sollten deswegen im Einklang mit unseren Werten erfolgen und das bedeutet, dass Verantwortung an sie gekoppelt werden muss.

Diese Logik war schon großen Politiker_innen bewusst und die gilt auch für Eltern. Große Macht = große Verantwortung.

Es nützt dabei nichts, Macht zu verneinen. Wir haben sie. Wir entscheiden alles über das Kind. Wo es wohnt, welche Menschen es kennenlernt, ob es betreut wird. Wir entscheiden zu einem Großteil über seine psychische Gesundheit. Es ist lange, lange Jahre zum größten Teil von uns abhängig. Sein Gehirn formt sich nach den Beziehungserfahrungen mit uns. Unsere Stimme wird ihre innere Stimme. (zum Thema Ton und Stimme hier ein paar wertvolle Gedanken (auf englisch)). Um nur einen Bruchteil der Folgen der Anwendung unserer Macht zu nennen.

Das ist ne Menge Macht. Oder?

Und deswegen ist es nicht egal, wie wir damit umgehen. Wir haben sie nun mal. Ob wir wollen oder nicht.

Verantwortung ist dreidimensional

Wenn wir Macht an Verantwortung knüpfen, bedeutet das, dass wir drei Dimensionen der Verantwortung mit einbeziehen:

  1. Die Verantwortung uns selbst gegenüber
  2. Die Verantwortung für das Wohlergehen des Kindes
  3. Die Verantwortung für die Beziehung zwischen uns.

Diese drei Dimensionen stellen sicher, dass wir nicht ‚weil man das so macht‘ etwas entscheiden und das damit begründen, dass wir Verantwortung für das Kind haben (‚das muss eben mal xy lernen‘).

Sondern nun müssen wir, wenn wir alle drei Dimensionen berücksichtigen, zum Beispiel klar die Verantwortung für uns selbst (‚ich möchte für mich sorgen, es geht mir zu schlecht mit dem Verhalten‘) benennen und das Kind von der Bürde, verantwortlich zu sein für die Misere, die ihm ‚zu seinem Besten‘ widerfährt, befreien.

Und außerdem verhindert die dritte, entscheidende Dimension, dass wir die Beziehung zum Kind unnötig gefährden.

Drei Fragen für deine Entscheidung in Verantwortung

Wenn du das nächste Mal schwankst, ob du deine Macht schützend anwenden möchtest, frage dich diese drei Fragen:

  1. Welche Auswirkungen hat die Entscheidung auf mich und mein Wohlbefinden? Wie wichtig ist mir das?
  2. Welche Auswirkungen hat die Entscheidung auf mein Kind und seine Integrität? Wie wichtig ist mir das?
  3. Welche Auswirkungen hat die Entscheidung auf unsere Beziehung? Wie wichtig ist mir das?

Ganz schön kompliziert, oder?

Aber es ist auch befreiend. Weil du voll viele Möglichkeiten bekommst! Weil deine Kinder es dir danken – selbst wenn du dich gegen die Wahrung ihrer Integrität entscheidest, werden sie spüren, dass es dir ernsthaft wichtig war, diese Dimension mit einzubeziehen und dass du die Verantwortung dafür trägst, wie du entscheidest.

Trau dich, dich zu entscheiden. Wäge gut ab, schau die Optionen an und dann entscheide.

Verantwortung übernehmen heißt übrigens nicht, nur gute Entscheidungen zu treffen. Das heißt nur, dass du entscheiden darfst und solltest und dazu stehen darfst. Manchmal stellst du dann bestimmt fest, dass du dich getäuscht hast bei deiner Abschätzung oder dass irgend ein anderer Faktor doch wichtiger war – dann ändere es halt. Alles halb so wild. Entspann dich. Unerzogen beginnt immer im eigenen Kopf.