„Das Leben ist kein Ponyhof!“
Viele Eltern, die das erste Mal davon hören, dass Erziehung Gewalt ist, kommen früher oder später zu der Idee, man müsse Kinder abhärten – und deswegen könne unerzogen nicht ‚funktionieren‘.
Das tut es tatsächlich nicht – aber das ist auch nicht die Idee.
Manche nennen es auch „auf das Leben vorbereiten“.
Die Idee ist die: In einer Gesellschaft, in der Leistung und Anpassung als richtig angesehen werden, ist es verheerend für Kinder, ohne Druck, Zwang und Abwertung aufzuwachsen.
Die Angst ist die: Die Kinder werden scheitern. An Aufnahmeprüfungen, Herausforderungen, Unbequemlichkeiten aller Art und an dem, was wir ‚das echte Leben‘ nennen (und was aus irgendeinem Grund auf keinen Fall auf Ponyhöfen stattfinden kann!).
Was ist dran am Abhärtungsgedanken?
Jetzt mal ganz abgesehen davon, dass an der Hypothese von ‚was Hänschen nicht lernt…“ wirklich schon seit Jahrzehnten kein Fünkchen Wahrheit zu finden gewesen ist (im Gegenteil), ist es auch komplett spekulativ, zu hoffen, dass der erwünschte Effekt eintrifft (auch hier trifft oft das Gegenteil ein).
Wir können uns jederzeit Herausforderungen stellen. Und das um so besser, je mehr wir sicher sind – sicher vor Be- und Abwertung, sicher, dass wir geliebt werden, kurz: Sicher vor Erziehung.
Und wir wissen nichts über die Herausforderungen der Zukunft. Das liegt in der Natur der Zukunft, dass wir nichts wissen. Eine simple Erkenntnis, die wir aber oft vergessen: Was für eine Welt unsere Kinder erleben werden, können wir nicht antizipieren.
Allein deswegen sicherheitshalber zu erziehen, ist, sagen wir mal, sehr optimistisch.
Aber: In gewisser Weise stimmt die Befürchtung, dass nicht erzogene Kinder in dieser Gesellschaft nicht zurecht kommen werden.
Die Gesellschaft – was ist das denn?
Es ist verheerend für die Idee von Leistung über alle seelischen Grenzen hinaus, wenn wir unsere Kinder stärken, nur zu leisten, was sie leisten wollen.
Es ist verheerend für die Idee von Gehorsam, unsere Kinder nein sagen zu lassen und ihre Grenzen zu wahren.
Es ist verheerend für eine Gesellschaft, die diese Dinge verlangt. Nicht für das Kind.
Ja, Kinder die sich nicht anpassen wollen, sind in einer Gesellschaft, die darauf baut, dass einzelne das, was in ihnen lebt, unterdrücken und funktionieren müssen, ’schwierig‘, ‚rebellisch‘ und all das. Sie tauschen ihre Integrität nicht gegen Anerkennungsleistungen und sie sind absolut nicht bestechlich.
Kleine Menschen, die immer ernst genommen wurden, sind ein Problem.
Aber wofür sind sie das Problem?
Die Zukunft beginnt heute
Ich behaupte: Sie sind ein Problem für all die Teilbereiche unserer Gesellschaft, die ohnehin obsolet werden.
Nicht gehorsame Menschen sind ein Problem im industriellen Broterwerb, der ohnehin zerstückelt und zunehmen von Technologie beherrscht ist, die wiederum hohe Spezialisierung erfordert.
Eigenwillige Menschen sind ein Problem, wenn es um eine Medizin der Gleichschaltung, eine Behörde der Unbarmherzigkeit und eine industrie ohne moralischen Anspruch an ihre Produkte geht.
In einer Welt aber, die dringend Innovationen braucht, die Eigensinn und Mut braucht für drängende Fragen unserer Zukunft – in einer solchen Welt darf fehlende Moral keinen Platz mehr haben.
Und deswegen ist es nicht nur Privatsache, ob wir erziehen oder nicht. Es ist kein Experiment, es ist keine Idee, die man mal ausprobiert. Es ist die moralische Überzeugung, dass es falsch ist, Menschen zu verletzen, zu manipulieren und diskriminierend zu behandeln, weil sie jung sind und weniger Erfahrung haben. Es ist die Sicherheit, dass psychische Gesundheit sich nicht an Wohlerzogenheit oder Benehmen messen lassen kann und das Wissen darüber, dass Lernen nicht erzwungen werden kann – nur Gehorsam.
Diese Ideen verändern eine Gesellschaft. Und all das, was heute schwierig ist in dieser Gesellschaft – Empathielosigkeit, Rücksichtslosigkeit, Hass, Abwertung, antidemokratische Ideen – kann nur verändert werden, wenn wir heute nicht einknicken und im vorauseilenden Gehorsam unsere Kinder hart machen wollen für eine Welt von morgen, die wir nicht kennen.
Echte Stärke im Umgang mit Widrigkeiten erwächst nicht aus Machthunger oder den sogenannten ’sozialen Kompetenzen‘ (womit viel zu oft gemeint wird, dass ein Kind soziale Gewalt anwenden und ertragen lernt). Echte Stärke wächst aus der Erfahrung, gut zu sein. Geborgen zu sein. Sicher zu sein.
Das macht Stärke aus.
Das Leben ist kein Ponyhof, nein. Was uns nicht daran hindern sollte, es zu einem zu machen (wie Dani-Miriam zum Beispiel). Und was uns ganz sicher nicht daran hindern darf, unseren Werten entsprechend zu leben.
Sehr schön geschrieben. Du sprichst mir aus der Seele. Als ich das erste mal schwanger war, habe ich mir schon ausgemalt, wie ich meine Kinder „erziehen“ möchte. Nämlich liebevoll. Von ungezogen wusste ich damals noch nichts. Ich selber bin sehr erzogen worden, mit Bestrafung, Liebesentzug und allem was dazu gehört. Das wollte ich meinen Kindern ersparen. Es war aber je älter sie wurden schwieriger für mich, einmal durch den gesellschaftlichen Druck und zum zweiten, weil die Erziehungsmethoden die ich als Kind miterleben musste in einigen Situationen immer wieder in meinen Gedanken erschien. Dieses… das macht MAN nicht… oder …. was sollen die Leute denken… hat sich in mir eingebrannt wie ein Tatoo. Aber ich wollte es uuuunbedingt abwerfen, diese Last. Und mit der Zeit habe ich mich davon befreit und lebe nun mit meinen Kindern ein freies unerzogenes Leben 🙂
Liebe Bella,
hach, wie wunderbar zu lesen – und wie motivierend! Danke!
Deine Ruth
Ein wunderbarer Artikel, der mir mittlerweile aus der Seele spricht. Das war nicht immer so… Wo runter meine zwei Großen besonders gelitten haben. Die Geburt meines dritten Kindes hat die Sicht auf die Welt und die Wertigkeiten im Leben vollends auf den Kopf gestellt. Jetzt bin ich dabei, seit jetzt auch schon wieder einem Jahr, Elternschaft ganz neu zu entdecken und zu erlernen… Mit allen Höhen und Tiefen… Und ich muss sagen es ist wunderbar. Ich hatte schon lange kein so inniges Verhältnis zu meinen Kindern wie jetzt. Ich hoffe es hält an und hilft uns durch die Pubertät. Eine Frage hab ich noch zur Schule. Meine Kinder leiden sehr unter dem Schulsystem. Unschooling, wie in deinem link beschrieben ist in Deutschland ja verboten. Wie machst du das? Lieber Grüße
Sarah
Liebe Sarah, das freut mich aber zu lesen! Die innere Haltung von ‚unschooling‘, das Ernstnehmen des Gegenübers als Subjekt und die Weigerung, Leben und Lernen zu trennen, lässt sich wunderbar auch mit Schule leben.
Grüße, Ruth
Ich stoße auch immer wieder auf Widerstand. Wie? Du erziehst Deine Kinder nicht? Und wie die dürfen ins Bett wann sie wollen? Genau Richtig!!! Sie dürfen wann und was sie wollen. Und wenn nicht kann man auch freundlich „nein“ sagen. Und das Lieblingswort ist wohl „ich will“. Ja ist das nicht schön? Meine Große sagt mir was sie will. ☺️
Den Gesichtsausdruck der Leute möchte ich manchmal mit der Kamera ? festhalten ?.
Ach übrigens! Wo finde ich denn den Blogbeitrag über „unschooling“?
Ich fühle mich mitgenommen und möchte dir sagen, dass ich genauso denke und fühle. Dennoch bleiben Zweifel, die ich nicht so einfach ausräumen kann. Menschen sind soziale Wesen und können nur in Gemeinschaften leben. Ist es nicht auch wichtig, diese „Gesellschaft“ aufrecht zu erhalten? Was macht der Individualismus aus uns? Gucken wir noch nach rechts und links vor lauter Selbstverwirklichung? Ich möchte meiner kleinen Tochter auch gerne mitgeben, dass sie stark genug ist, sich um sich selbst zu sorgen. Aber braucht man nicht die „anderen“ auch? Gerade das Miteinander und die gemeinschaftliche Achtsamkeit fehlt doch immer mehr. Viele denken nur an sich.
Viele Grüße!
Liebe Christin, ich glaube, gerade wenn Menschen sich ernst genommen und geliebt fühlen, kann eine Gesellschaft gut miteinander leben. Zu tun, was man will bzw. zu sagen, was man nicht möchte, heißt ja nicht dass man nichts mehr miteinander oder füreinander macht. Wer sich reich beschenkt fühlt, frei und geliebt, gibt gerne und ist gerne für andere da. Liebe Grüße*