“Mein Gott, du bist so anstrengend!” schreibt mir jemand auf TikTok. “Ich würde dir ja gerne zuhören, aber du bist immer so wütend.”
Immer und immer wieder. Wenn ich über Elternschaft somewhat emotional schreibe, passiert genau das:
Ich bin zu emotional.
Aber warum eigentlich? Was macht mein Botschaft weniger wichtig oder relevant, weil sie mit Emotion vorgetragen wird? Warum soll meine Kompetenz mit meiner Fähigkeit, meine Gefühle zu unterdrücken, korrelieren?
Aus dem gleichen Grund, aus dem Eltern verzweifelt versuchen, nett zu sein.
So viele weiblich sozialisierte Menschen kennen diese Reaktionen – das Einnorden einer Gesellschaft, die wütende Menschen nicht ertragen kann, wenn sie als FLINTA identifiziert werden.
Heute will ich aber über etwas reden, was hinter dieser Idee ein bisschen versteckt ist und wir finden es in Elternschaft überall: Die Spuren von white supremacy.
Denn die Person, die mir Wut unterstellt, sagt mir nicht nur, dass ich als weiblich sozialisierte Person gefälligst weniger wütend zu sein habe, sondern auch, dass meine Glaubwürdigkeit mit der Abwesenheit von Wut korreliere.
Warum?
Die Geschichte der Rationalität
“A growing body of research suggests that affects and emotions constitute crucial components through which whiteness and white supremacy are constructed and maintained in society and in educational settings.”
Das schreibt Zembylas in 2025 über unser Verstehen von Emotionalität und Weißheit.
Die Theorie ist die: Weißheit als Standard der Emotion ist ein Teil dessen, was das Leben für Menschen ungleich macht. Die Gefühle von Menschen, die weiß sind, gelten als richtiger und wichtiger, als normaler und die Art, wie man mit Menschen umzugehen hat.
Und sie sind beherrscht. Ruhig. Nett.
Im Gegenteil gilt dann die nicht-weiße Person, die sich emotional ausdrückt, als Problem (Gibbons 2018). Und das führt zu einer langen Reihe von Problemen: Weniger Empathie gegenüber nicht-weißen Menschen und ihrem Leid (Gaza, anyone?!), weniger Glaubwürdkeit, die nicht-weißen Menschen zugesprochen wird und natürlich die Gewalt, die darin liegt, Menschen ihre Emotionen und deren Ausdruck vorzuschreiben.
Aber Moment, was hat das mit Elternschaft zu tun?! Eine Menge, tatsächlich.
Elternschaft als modernes Druckmittel sozialer Erwartungen
Wenn wir Elternschaft, wie Weißsein, als soziale Performance betrachten (Roth-Gordon 2023), als etwas, was wir in Gesellschaften tun und diese damit formen, dann ist unsere Art, mit Emotionen umzugehen eben nicht nur, ob wir eher laute oder leise Typen sind.
Wir drücken auch aus, wo wir uns zugehörig fühlen und wovon wir abrücken. Ob wir eher die Eltern sind, die sanft säuselnd auf dem Spielplatz “Ulrike, bitte, lass das doch.” flöten, wenn unser Kind andere haut, ist nicht nur eine Frage unseres Temperaments, sondern auch unserer Wahrnehmung als Teil einer Gesellschaft. Und Weißsein als Privileg wird mit dieser Art des Umgangs mit Emotionen verfestigt. Nicht umsonst sprechen nicht-weiße Menschen von linguistischen und habitualen Ansprüchen, die sie in bestimmten Settings an sich legen müssen, um überhaupt Zugang zu erhalten (“code switching”).
Elternschaft ist ein Ort, an dem wir scheinbar harmlose Ideen wie “nett sein zu Kindern” performen und gar nicht merken, dass unser Wunsch dahinter einer ist nach “nicht-Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die als weniger wertvoll gesehen wird” (Gibbons 2018).
Emotion und Beziehung
Unser Nettsein signalisiert also nach außen unsere Zugehörigkeit und Überlegenheit. Wie gut wir uns beherrschen, bestimmt, wo in das strukturelle Spektrum wir fallen und ob uns entweder unsere ethnische Zugehörigkeit verziehen werden kann, weil wir uns eifrig assimilieren durch bedeckte und beherrschte Sprache und Habitus, oder ob wir unser Weißsein verstärkt haben durch die Bestätigung unserer Überlegenheit durch die Art, wie wir unser Kind behandeln.
Aber es ist auch ein Signal in unsere Beziehung zum Kind, das zerstörerisch ist. Denn: Beziehungen brauchen authentischen Ausdruck.
Wenn ich nicht weiß, was mein Gegenüber fühlt, KANN ich der Person nicht begegnen. Kinder brauchen deswegen nicht die berühmten Grenzen (ugh!!), sondern authentischen Ausdruck von Emotionen, damit sie uns als Menschen begegnen können.
Das stärkt unsere Beziehung. Nicht nett sein, sondern:
“Boah bin ich gerade sauer, ich muss mal eben in ein Kissen schreien gehen.”
“Gerade ist irgendwie doof, ich weiß auch nicht, bin genervt!”
“Ich freu mich echt gerade so krass, dass du das schon allein machen kannst”
Was auch immer echt FÜR DICH ist, ist dein Beitrag zur Beziehung. Beziehung und systemische Verortung der Versuch, mich so zu verhalten wie es für mich vorteilhaft ist, passt nicht zusammen. Beziehung braucht unsere unvorteilhafte Menschlichkeit, unsere Unvollständigkeit. Und das gilt auch für Kinder.
Nein, das ist keine Aufforderung, mehr zu schimpfen. Es ist die Aufforderung, aufzuhören nett zu sein. Weil Nettsein unsere Beziehungen zerstört – und weil Nettsein das per design tut.




