Diese (…) Liebe hat vor allem das dem Kinde gesteckte Ziel, das Gedeihen des inwendigen Menschen (…). Sie ist darum von früh an schon darauf bedacht, dass das Kind lerne, sich selbst zu verleugnen, zu überwinden und zu beherrschen (…). Du haust ihn mit der Rute, aber du rettest seine Seele von der Hölle. (Aus: K.A. Schmid (Hrsg.), Enzyklopädie des gesamten Erziehungs- und Unterrichtswesens, 1887)

Erziehung und Liebe sind seit Jahrhunderten mit Gewalt verknüpft.

Ist das nicht schrecklich?!

Na gut: Inzwischen sind die Methoden sanfter. Wir sprechen nicht mehr von körperlicher Gewalt (die aber noch immer angewandt wird!) sondern nennen unsere Taten, die die Integrität des Kindes bedrohen Konsequenzen und Grenzen.

Das Problem ist das gleiche. Erziehung selbst, wenn sie der Formung eines jungen Menschen dient, ist Gewalt eingeschrieben. Egal, wie gut sie gemeint ist (nachlesen kann man das gut bei Alice Miller, zum Beispiel in Am Anfang war Erziehung). Denn ihre Annahme ist immer – so wie das Kind ist, ist es nicht gut.

Mein Anliegen heute: Der Deckmantel der Liebe gehört endlich enthüllt. Die Argumentation, Erziehung geschehe aus Liebe, gehört endlich in die Nische der Erziehungsmythen.

Warum?

Liebe misst sich nicht an den Gefühlen, die Eltern ihren Kindern gegenüber haben. Denn Liebe fühlt vielleicht auch derjenige, der züchtigt, wie wir oben sehen. Liebevolle Gefühle der Eltern sind kein Garant dafür, dass es einem Kind gut geht.

Liebe bemisst sich daran, ob derjenige, der geliebt wird, das auch fühlen kann.

Was uns zur nächsten Frage führt: Wie drücke ich Liebe so aus, dass sie auch ankommt?

Willkommen in der Welt von unerzogen. Denn jetzt wirds kreativ! Ich habe mal gesammelt. Hier meine ultimativen, gewaltfreien, liebevollen Tipps – lasst uns endlich aus der Spirale ausbrechen und im Einklang mit unseren Werten leben!

1. Frage dein Kind, wie es ihm geht

In meiner erziehenden Zeit habe ich das Verhalten meiner Kinder bewertet.

Haben sie gehauen, war das schlecht, haben sie mir im Haushalt geholfen, war das gut. Ich war, erschreckenderweise, recht gleichgültig dem gegenüber, was sie fühlten und brauchten, solange sie nicht auffielen.

Heute frage ich, interessiere mich und bin neugierig – was bewegt sie? Was interessiert sie? Helfen sie mir, weil sie sich verantwortlich fühlen oder unter Druck gesetzt? Oder weil es ihnen Freude macht?

Frag deine Kinder, wie es ihnen geht. Sei offen dafür, dass sie vielleicht ganz anders sind, als du denkst.

2. Sei echt!

Nicht umsonst habe ich der Authentizität mal einen ganzen Artikel gewidmet. Sie ist der Schlüssel dafür, in Verbindung zu gehen – in eine echte, von Mensch zu Mensch.

Und Verbindung fühlt sich nach Liebe an.

Von einer Person, die einfach ihre Pflicht tut, versorgt zu werden, nicht.

3. Mehr Humor!

Das Kind schmiert Butter durch die Küche? Geil, probiert mal aus, ob der Schlitten darauf fährt! Just in dem Moment, als die Kohle alle geht, zerschneidet dein Kind einen 50-Euro-Schein? Murphys goddamn law.

Entspann dich. Du verlierst nichts, wenn du lachst und dich am Leben freust. Und dein Kind gewinnt dazu, dass es nicht als Belastung, sondern als Bereicherung erlebt wird.

4. Verwöhn dein Kind

Trage es, wann immer du kannst und es will. Stille es, solange es will und du dich gut damit fühlst. Bring ihm Essen vor den Fernseher und eine warme Decke, wenn du fühlst, dass seine Füße kalt sind.

Es ist eine Unsitte, dass wir glauben, wir dürften Kinder nicht verwöhnen (und sie lässt sich ganz locker aus unserer Geschichte ableiten), dafür aber als Erwachsene ständig danach lechzen. Wellnesshotels buchen. Schokolade knabbern. Ins Restaurant gehen.

Es fühlt sich einfach schön an, umsorgt zu sein. Da geht es kleinen wie großen Menschen.

5. Vertrau deinem Kind

In meinem letzten Video habe ich schon was dazu gesagt, warum das so wichtig ist mit dem Vertrauen. Und ich werde mich auch noch dazu äußern, wie man das eigentlich macht.

Bis dahin soviel:

Vertrauen ist essentiell für eine sichere Beziehung. Vertrauen führt zu Selbstvertrauen und zeigt dem Kind, dass wir Eltern glauben, dass es für sich sorgen kann.

6. Lass dein Kind nicht allein (wenn es das nicht will)

Vertrauen bedeutet keinesfalls, dass dein Kind allein sein soll oder gar die Verantwortung bekommt.

Sei bei ihm. Hör ihm zu und begleite es. Wenn es spielt, besuch es immer mal wieder und erkundige dich nach seinem Wohlergehen. Wenn es schläft, setz dich in seine Nähe, damit du da bist, wenn es aufwacht. Oder besorg dir ein gutes Babyphone, damit du in der Zwischenzeit etwas anderes machen kannst.

7. Berührung

Körperliche Nähe vermittelt Liebe ganz direkt, ohne Umweg über Kopf und Verstand. Dinge die meine Kinder lieben, sind:

  • Über den Kopf streichen
  • Umarmen
  • Hochnehmen und werfen/herumwirbeln
  • An die Hand nehmen
  • zarte Berührungen am Arm oder an den Schultern

Probier einfach aus – welche Berührungen mag dein Kind? Oder hat es vielleicht gar nicht so Bock auf Berührungen??

Denk daran, der Maßstab ist, wie es ihm dabei geht, nicht, was du liebevoll findest.

8. Gib deine Fehler zu

Ständig gute Entscheidungen zu treffen, ist echt anstrengend. Und unmöglich.

Eltern dürfen den lieben langen Tag entscheiden. Immer wieder. Egal, ob es ihnen gerade gut geht oder nicht. Oder ob sie alle notwendigen informationen haben. Da passieren Fehler.

Fehler in der Abwägung der Bedürfnisse, Fehler in der Einschätzung von Situationen.

Wenn deine Kinder dich darauf aufmerksam machen, dass du einen Fehler gemacht hast, ist das kein Weltuntergang. Sorry sagen, Krönchen richten, weitermachen.

9. Hör deinen Kindern zu

Was hat dein Kind gestern im Kindergarten erlebt?

Wenn es dir das erzählt hat und du jetzt länger als drei Sekunden nachdenken musstest (na gut, vor dem ersten Kaffee des Tages sind fünf Sekunden okay, ich bin ja kein Unmensch), darfst du das nächste Mal besser aufpassen.

Oder du fragst es jetzt und lässt es dir nochmal erzählen.

Deine Kinder erzählen dir aus ihrer Welt. Wenn du ihnen nicht zuhörst, werden sie irgendwann aufhören. Und auch dann nichts erzählen, wenn es eigentlich besser wäre. Wenn sie besser nicht allein wären mit ihren Erlebnissen.

Fang damit an, ihnen konzentriert zuzuhören. Ohne Wertung. Ohne Ableitungen. Ohne Konsequenzen. Stell dir vor, was sie da beschreiben. Hast du das Bild? Dann hast du die Verbindung.

10. Sei freundlich(er)

Erwachsene haben gemeinhin Kindern gegenüber einen Tonfall, den sie ihrem besten Freund nicht zumuten würden.

„Aufhören! Hinsetzen!“ – you get it.

Ehrlich, meckern ist Mist. Es macht schlechte Stimmung und gibt allen ein blödes Gefühl. Und Kinder fühlen sich sehr leicht verantwortlich für das Wohlergehen ihrer Eltern. Wenn die rummeckern, kommt ein Kind leicht auf den Gedanken, es selbst könne verkehrt sein.

Also: Aufhören zu mecken. Jeden Tag ein bisschen besser. Wie in der Werbung.

11. Übernimm die Verantwortung

Zu lieben bedeutet nicht, allein zu lassen. Das haben wir oben schon geklärt.

Es geht aber noch weiter – zu lieben bedeutet nicht, deinem Kind die Verantwortung überzustülpen. Lass sie bei dir. Wenn dein Kind einen Fehler macht, begleite es und entschuldige dich, dass du nicht besser aufgepasst hast. Lass ihm nur die Verantwortung, die es tragen kann und will.

Wenn du beschließt, zum Schutz deines Kindes deine elterliche Macht anzuwenden, ist das keine Liebe. Es ist Schutz. Und die Verantwortung trägst du.

12. Unterstelle gute Absichten

Ein Trick aus der Psychologiekiste: Menschen werden das, was wir in ihnen sehen.

Sieh das Gute in ihnen. Sieh, wie dein Kind sich bemüht.

Wenn es Dinge durch das Zimmer wirft – will es vielleicht ausprobieren, wie es sich mit der Schwerkraft verhält? Oder ist das eine Strategie, nicht dem Geschwister oder dir das neue Piratenschwert um die Ohren zu hauen im Frust, sondern nur der Zimmerpflanze?

Unsere Kinder sind auf unsere Rückmeldungen angewiesen. Sie glauben uns. Sie glauben das, was wir über sie denken. Denke freundliche Dinge. Unterstelle ihnen Gutes.

13. Nimm sie ernst

Kinder werden systematisch diskriminiert.

Ein Phänomen, an dem man diese Behauptung gut beweisen kann, ist, dass es komplett hoffähig ist, ein Kind auszulachen. Gerne in größeren Gesellschaften – sind sie nicht putzig? Ach, gucke mal, wie niedlich, er kann das gar nicht aussprechen!

Stell dir irgendeine andere Bevölkerungsgruppe vor, die auf Hilfe anderer angewiesen ist. Würdest du deinen Nachbarn, der gerade aus Syrien angekommen ist, auslachen, weil er so süß ‚Abteilung für Gesundheit und Soziales‘ sagt?

Ich glaube ja nicht. Also, ich hoffe es.

14. Trösten – da sein, Klappe halten

Warst du schon mal so richtig scheiße drauf wegen einer Kleinigkeit? Mir passiert das ja manchmal.

Und weißt du, welche Leute mich dann so richtig nerven? Leute, die meinen, das wäre ja nicht so schlimm. Oder die meinen, ich solle mich halt ablenken. Oder die Witze machen, in der Hoffnung, ich wäre dann besser drauf.

Dabei geht das vorbei und ich weiß das. Aber ich brauche niemanden, der mir das erzählt. Nach Liebe und Verbindung fühlt sich an, wenn jemand das mit mir aushält.

Und ich glaube, ich bin damit nicht allein. Oder?

15. Ermöglichen, was möglich ist

Aus Angst vor dem Verwöhnen und unter dem Deckmantel der Vorfreude fällt es vielen Eltern schwer, Wünsche zu erfüllen.

Keine Sorge, das ist kein Plädoyer, dass du dich nun für ein Pferd verschulden sollst. Es geht um Wünsche, die absolut machbar sind. Die du erfüllen kannst. Weil du Macht hast und die Übersicht. Weil du das Geld verwaltest und weißt, wie man den Wunsch erfüllt.

Gebrauche deine Macht sparsam. Kinder, die in der Fülle leben und keinen künstlichen, von den Eltern kreierten Mangel erleben, sind meiner Erfahrung nach eher bereit, echte Limitierung zu akzeptieren. Sie haben erlebt, dass ihre Eltern ihnen hilfreich zur Seite stehen und keine Antagonist*innen sind.

16. Spiel mit ihnen

Ich hab mal eben ein Geständnis zu machen: Ich spiele nicht so gerne mit meinen Kindern. Rollenspiele sind mir ein Graus.

Meine Kinder aber spielen den ganzen Tag. Das ist das, was sie tun. „Spielen ist die Arbeit der Kinder.“ heißt es, und das ist wahr. Das Spiel ist ihre Art, zu lernen und die Welt zu erfahren.

Wenn ich also Interesse für mein Kind zeigen will, muss ich mich mit Spiel auseinandersetzen. Mitspielen. Mich einbringen.

Und nein – ich spiele noch immer keine Rollenspiele. Aber ich liebe Brettspiele mittlerweile. Und Lego kann ich auch etwas abgewinnen. Und so übel ist Barbie gar nicht. Ehrlich nicht.

Spiel mit ihnen. Lerne sie kennen und ihre Welt. Interesse ist gelebte Liebe.

17. Verzichte auf jede Form der Gewalt – verzichte auf Erziehung!

Wie meine Kollegin Aida von elternmorphose.de so schön herleitet, ist es nicht möglich, zu erziehen, ohne bestimmte, oft subtile Formen der Gewalt anzuwenden. Das fühlt sich nicht nach Liebe an. Egal, wie es gemeint ist.

Erinnerst du dich, wie deine Eltern dir gesagt haben „Das ist doch nur zu deinem Besten!“? Oder sie haben gleich mit Liebe argumentiert, wie es seit Jahrhunderten der Fall ist, wenn es um Kinder geht: „Wir tun das doch nur, weil wir dich lieben“.

Hat es sich nach Liebe angefühlt? Hat es sich warm und sicher und geborgen angefühlt, wenn deine Eltern so gehandelt haben, wie sie glaubten, dass es Liebe diktieren würde?

Die meisten von euch werden nein sagen. Du auch?

Das ist keine Liebe. Es ist eine Ausrede für Erziehung und Erziehung ist Gewalt. Und zwar doppelte: Die Gewalt an sich, wenn über einen kleinen Menschen bestimmt wird und die Gewalt, die es darstellt, wenn dieser auch noch Gewalt als Liebe präsentiert bekommt.

Das Ergebnis sind Generationen von Menschen, die Liebe und Gewalt miteinander verwechseln. Das Ergebnis ist Erziehung.

Lass uns diesen Kreislauf aufbrechen. Fang sofort damit an und tue etwas, was deinem Kind vermittelt, wie sehr du es liebst. Viel Freude!