Eigentlich ist das ja total easy. Weiß man ja.
Zwei Leute finden sich und werden Eltern. Auf welchem Wege auch immer – irgendwann sind da Kinder, die sie begleiten. Alle sind happy, manchmal ist Stress und sonst läuft das halt so.
Nicht.
Familie sein, das bedeutet heute noch immer so oft, diesen Träumen nachzujagen. Zusammenreißen, denn Eltern müssen ja immer freundlich sein. Nicht streiten. Geile Jobs haben. Und immer zuhören, wenn das Kind erzählt.
An und für sich voll die guten Ideen. Echt. Ich stehe ja auch auf friedliche Familien, auf Miteinander, auf Beziehung.
Das Ding ist: Das Leben ist ganz schön krass als Familie.
Da zerren Rollenbilder an uns: Wer wir sein sollten, abhängig von Geschlecht und gesellschaftlichem Status. Da ist die Ökonomie mit ihrer alles bezwingenden Logik. Da ist die Globalisierung und die Technik mit ihrer Verzerrung von Zeit und Zusammenhängen.
Und da sind Kinder, die eine eigene Vorstellung haben vom Leben und von Zeit und die uns brauchen.
Das kann gar nicht immer gut gehen. Nicht in den vereinzelten Familien, in denen wir leben. Nicht solange wir aufräumen, wenn die Nachbarin kommt und ‚Gut.‘ antworten auf die Frage nach dem Befinden anstatt ‚Traurig. Ich vermisse meine Oma.‘.
Unerzogen als Befreiung
Wenn ich schreibe, dass Beziehung als Qualität, als Fokus für Prozess in den Mittelpunkt von Eltern-Kind-Beziehungen rücken sollte, wenn ich Erziehung kritisiere, dann meine ich Befreiung.
Befreiung von der Idee von Familie, wie sie sein sollte. Und Annehmen von dem, was ist. Befreiung von Genderstereotypen, Elternstereotypen, Rollenverteilung, Kinderstereotypen. Und hinsehen und annehmen, was für Menschen da miteinander leben wollen.
Dafür braucht es aber erst den Mut, anzusehen was da ist. Es hilft alles nix – glaub mir, ich habe es probiert, dieser Schritt lässt sich nicht überspringen.
Als allererstes darfst du annehmen, wer du bist. Was dich ausmacht. Was du lebst.
Du kannst nicht gut in Ruhe mit deinen Kindern zu Hause sein? Du willst unbedingt arbeiten gehen? Du willst auf keinen Fall gegen Lohn arbeiten? Du leidest unter Lärm? Du findest es geil, den ganzen Tag gemütlich mit den Kids auf dem Sofa zu gammeln? Du bist der Typ Action-Maus und magst in der Weltgeschichte rumreisen?
Guess what: Du bist deswegen kein schlechter Papa, keine egoistische Mama, keine schlechte Frau, kein undankbares Gesellschaftsmitglied. Du bist einfach erstmal du.
Ich sage nicht, dass alles geht. Aber ich bin es satt, mir anzuhören wie Eltern sich belügen! Der Schmerz aus diesen Lügen ist meist erst nach Jahren spürbar. Und er ist absolut verheerend.
Du solltest gar nix. Das heißt nicht, dass du alles genau so umsetzen musst, das heißt erstmal nur, dass du dein Leben gestalten darfst! Du musst nicht irgendwer sein, du darfst du selber sein.
So viele Eltern sehnen sich nach einem Moment ’nur für mich‘. Nicht falsch verstehen, ich liebe es auch ab und an, allein zu sein. Aber damit ist oft eine Auszeit vom Verteckspielen gemeint. Von der Rolle. Endlich nicht mehr Mama sein, sondern Verena. Oder Leonardo. Na, du weißt, was ich meine.
Lass das.
Ich glaube, dass der Verzicht auf Erziehung etwas Wunderbares ermöglicht: Dass du dir deine eigene Realität erschaffst. Dass du dir darüber klar wirst, dass alles, was du denkst, konstruierte Konzepte sind. Gender ist eines. ‚Die Gesellschaft‘ ist eines. ‚Beziehung‘ ist eines.
Das heißt, sie sind veränderbar. Einzig und allein von deinen Gedanken.
Du kannst dir die Realität erschaffen, in der du lebst. Indem du erstmal annimmst, dass sie ist, was sie ist und dann schaust, was für euch passt. Was ihr für Menschen seid und was eure Ideen sind.
Und wenn du am Ende entscheidest, dass du weiter in deinem Reihenhaus in Stuttgart wohnen und die klassische Rollenverteilung leben willst – super. Dann geht es dir ja gut.
Den Mut wünsche ich mir. Von dir. Von allen Eltern. Von Menschen. Ich glaube, das würde beträchtlich zu einer besseren Welt beitragen: Menschen, die leben wie sie wollen und was sie wollen. Unabhängig von Klischees und Besserwissereien, von Mummy wars und Erziehungsideen.
Hallo Liebe Ruth!
Das was du da beschreibst kenne ich nur zu gut!
Mich hat dieses „man sollte aber“ bis zu einer tiefen Erschöpfung getrieben.
Ich habe meinen Großen während des Abis bekommen. Ich war komplett alleine. Unterstüzung von der Familie gab es, aber eigentlich auch nicht.
Ich bin nach einem Jahr Studieren gegangen, weil ich nicht dieses Teeniemütterklischee bedienen wollte. Ich wollte allen beweisen, dass ich das packe. Dazu eine chronische Krankheit, die mir damals kein Arzt diagnostiziert hat. Es sei die Psyche, junge Mütter sind halt gestresst usw.
Im Prinzip war die Botschaft von Außen:
Andere schaffen das auch, reiß dich mal zusammen.
Ich wollte nicht als Versager dastehen.
Selbst als ich anfing ehrlich mit mir zu werden (was alles erstmal noch viiiel schlimmer machte) wurde ich gefragt, wer mir sowas eingeredet hätte.
Ende vom Lied war der große Knall. Arbeits/Studienunfähig, Depression, Angststörung.
Nunja heute weiß ich es besser und scheiß drauf, was ich „besser sollte“. Immerhin sind seit dem über 5Jahre vergangen und ich habe immer noch keinen Berufsabschluss. („Was ich mir nur denke, so wird das nie was“ jaja blabla) Aber das ist okay, die Zeit wird kommen, die Kinder bleiben nicht ewig so klein.
Ich muss keinen Preis mehr gewinnen und lebe lieber sehr sparsam – – das Geschenk ist Zeit! Für meine Kinder und für mich.
Du leistet echt tolle Arbeit hier und ich lese dich sehr gerne! Unerzogen mit meinen Kindern zu sein, hat auch bewirkt, unerzogen mit mir zu sein. Das ist toll und bestärkt den eigenen Weg ungemein!
Trotzalledem wünsche ich mir ab und zu mal eine Auszeit. Aber ich denke, es liegt einfach an der Momentanen Situation. Meine Kleine schläft sehr wenig, akzeptiert nur mich und fordert SEHR VIEL Aufmerksamkeit. Der Große leidet sehr darunter.
Herzallerliebste unausgeschlafene Grüße!
Kairi
Ein absolut geiler Satz: es hat geholfen, auch unerzogen mit mir selbst zu sein. :} find ich klasse. Kommt bei mir auch immer mehr rein ins Leben, hilft eigentlich allen in der Familie 🙂 Wünsche dir noch viel Kraft und viel Spaß. Ganz liebe Grüße, Mary