Ihr habt Streit. Dein Kind brüllt. Dein*e Partner*in auch. Du hast keinen Bock mehr.
Da ist sie hin, die Rama-Familie, alle happy und lächelnd am Frühstückstisch. Und dafür gibt es Alltag. Konflikte, die so destruktiv sind, dass du keinen Bock mehr hast. Dass du heulen könntest.
Kennste?
So sah mein Leben vor ungefähr 6 Jahren aus. Ich war, sorry, im Arsch. Zu gut deutsch. Meine Erwartungen an eine Familie waren null in Erfüllung gegangen. Streit von früh bis spät. Und nicht die kontruktive Art von Streit, nein, diese Art, wo man hinterher quasi wieder von vorne anfangen möchte, weil nichts geklärt ist. Nichts erfüllt.
Das Ding war, dass ich das damals nicht gefühlt habe. War ja normal. Machen ja alle so. Muss ich mich halt zusammenreißen. Und lauter so (selbst)erzieherisches Zeug.
Meine Kinder machten da allerdings nicht mit. Sie verweigerten sich. Alles war ein Kampf.
Irgendwann stand ich vor der Entscheidung: Weiter so – dann hätte ich massiv Gewalt anwenden müssen. Oder aufhören.
Und ich tat letzteres.
Natürlich ging das nicht einfach so. Meine Kinder hatten kein Vertrauen. Ich hatte Angst. Es war nicht einfach.
Aber ich war sicher: Ich habe es satt! Ich will aufhören so mit Menschen umzugehen.
Wie ich dazu kam?
Ich erlebte die Symptome in voller Ausprägung, die heute Menschen in meine Beratung führen:
1. Meine Kinder vertrauten mir nicht mehr.
Das war eigentlich das Schmerzhafteste. Ich spürte, wie ich ihr Vertrauen verlor. Manchmal war es nur ein Blick – etwas fiel herunter oder jemand fragte mich etwas und ich sah Angst in den Augen.
Anstatt die Milch aufzuwischen oder die Frage zu beantworten, hatte ich geschimpft. Und das Resultat war – natürlich – dass die Dinge weiter passierten. Nur hatten meine Kinder nun Angst, sie mir zu sagen.
Das Nächste, was ich bemerkte, war, dass sie Dinge verheimlichten. ‚Ist nicht so wichtig‘ sagte mein Sohn mir eines Tages, als ich fragte, warum er traurig sei. Und drehte sich weg.
Das saß.
Außerdem verheimlichten sie mir Fehler. Dinge, von denen sie dachten ich fände sie falsch.
Es war herzzerreißend. Es musste aufhören.
2. Ich brauchte ständig ‚Zeit für mich‘.
Das ist ein interessantes Symptom. Es deutet nämlich auf einen eigenen Erziehungsschaden hin: Dass ich nicht mehr fühlen konnte, was ich eigentlich brauchte.
Wenn ich überfordert und müde war und jemand mich fragte, was ich brauchte, sagte ich: ‚Zeit für mich!‘
Damit gab ich schon zu, dass ich in der Zeit, in der ich bei meinen Kindern war, gar nicht ich selber war. Dass ich nicht mit meinen Kindern UND mit mir sein konnte.
Nein, es ging nicht um Lärm, es ging nicht um Autonomie, es ging mir darum, der Verantwortung zu entfliehen. Weil ich keine Ahnung hatte, wie ich ihr gerecht werden konnte.
Die Erkenntnis saß ebenfalls. Und wie.
3. Meine Kinder hörten nicht mehr zu.
Wenn ich Rat gab oder eine Frage stellte, wenn ich von meinen Gefühlen erzählte oder um etwas bat – meine Kinder hörten zunehmend nicht mehr, was ich sagte. Oder es interessierte sie nicht, keine Ahnung. Aber es machte mich rasend.
Und die einzige Antwort, die ich kannte, war Erziehung.
Wie traurig!
Meine Sehnsucht danach, wieder in Verbindung zu kommen ohne von anderen spezielles Verhalten zu erwarten, zu manipulieren und anderen die Verantwortung für meine Gefühle zu geben, wurde Triebfeder meiner Suche nach einer neuen Beziehungskultur in meiner Familie.
Kennst du das?
Heute, wenn ich darüber schreibe, kommt mir diese schmerzhafte Zeit so weit weg und unverständlich vor – wenngleich ich immer mal wieder alte Glaubensmuster aus ihr aktiviere und mich wieder und wieder befreien darf…
Es gibt einen Weg da raus. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist: Es geht nicht schnell. Es geht nicht einfach so. Es geht nur Stück für Stück und mit wahnsinnig, wahnsinnig viel Mut und Geduld.
Auf geht’s!
Hallo Ruth,
Toll, dass ich Deinen Blog gefunden habe. Mir ging es genau so wie Du in den Symptomen beschrieben hast und ich habe vor ca. 5 Jahren angefangen (eigentlich so Stück für Stück schon eher, nur nicht so bewusst) meine Kinder anders zu behandeln. Auf Augenhöhe und als gleichwertige Menschen, die nicht erzogen werden müssen. Ganz frei nach dem Motto: Du brauchst Deine Kinder nicht zu erziehen, sie machen Dir sowieso alles nach…
Oh Gott, so war meine Kindheit – immer Angst vor meinen Eltern. Und jeder sagte mir ständig, dass sie meine Eltern seien und ich sie lieb haben müßte. Als Erwachsene konnte ich endlich loslassen, frei werden. Gerade noch rechtzeitig bevor mein eigener Nachwuchs kam. Der Nachwuchs, der genau weiß was er gerne hätte und mir auch mal deutlich sagt, wenn ich etwas falsch mache – oder richtig. Auch jetzt wieder sagen die Menschen Dinge zu mir wie ‚Du brauchst auch mal Zeit für Dich‘. Aber die habe ich doch, auch wenn der Nachwuchs um mich herum ist. Denn diese Zeit genieße ich zu sehr da sie viel zu schnell vorbei sein wird.
Danke für Deinen Blog?
Ok, was du beschreibst, wie du dazu gekommen bist weniger zu „erziehen“ erscheint mir wirklich sehr heftig. Aber ich denke nicht, dass es mit Erziehung an sich zu tun hat sondern die Art und Weise wie man es macht. Ich erziehe meine Kinder und ich habe überhaupt nicht solche Probleme oder Konflikte. Und das Kinder mal was verheimlichen oder mit einem nicht reden wollen ist meiner Meinung nach richtig und auch wichtig. Sie wollen und müssen einen loslassen. Bitte denkt alle daran: irgendwann sind die Kinder in der Schule und in einer Gruppe in der es auch noch verschiedene Anforderungen gibt, funktioniert die antiautoritäre oder sogar fehlende Erziehung nicht. Und dann geht für euch der Stress erst richtig los!
Die vielfache Erfahrung zeigt dass diese Angst nicht begründet ist. Grüße, Ruth
Keine Angst , gerade Kinder die bedürfnisorientierte erzogen sind , halten Schule ( die ich oft als extrem entfinde ) besser aus als konventionell erzogene Kinder , denn sie wissen Sie haben ihre Eltern im Boot! Meine Eltern haben mich frei erzogen , ich unsere Kinder! Nur um es mal auf den Punkt zu bringen, , alle Kinder haben ihr Abi , die meisten sind Akademiker! Man bekommt Freigeister mit geraden Rücken, selbstbewusste Erwachsene ,die nicht buckeln!Nur Mut….
Oh ja, ich kenne noch genau meine eigene Angst vor meinen Eltern. Eine hochgezogene Augenbraue hat gereicht und ich traute mich nichtmal zu fragen, ob ich zu einer Freundin dürfe oder einen Kaugummi haben. Schrecklich! Ich möchte im Zweifel lieber die Verbündete meiner Kinder sein, von der sie wissen, dass ich immer da bin, auch um die Verantwortung zu übernehmen. Ich versuche mich in das Konzept unerzogen noch reinzufühlen. Ich glaube was mir helfen würde, wären konkrete Erzählungen von Alltagsgeschichten. Nicht um die Handlungsweisen eins zu eins zu übernehmen, dass es so nicht „funktioniert“, ist mir klar. Sondern um Ideen zu bekommen, wie ein solches Leben aussehen kann. Leider lese ich fast ausschließlich Negierungen. „hör auf dies zu tun, hör auf dies und das über dich oder andere zu denken“. Mir ist auch klar, dass da nicht komme kann „tu stattdessen dies und das“, weil es kein Schema gibt. Aber für meine eigene Inspiration wünsche ich mir ein konkretes „ich hab stattdessen dies und das getan oder gelassen oder gedacht“. Wenn du davon noch ein paar mehr Geschichten in deinen Blog einbauen könntest, wäre ich sehr dankbar.