Ich war als Kind und vor allem als Jugendliche überzeugt davon, total faul zu sein. Und Faulheit, das wusste ich, ist schwierig, ist schlimm. Heute will ich euch davon erzählen, denn das Thema berührt mich sehr.

 

„Kind, du bist faul!“

Ja, das wurde mir direkt so gesagt, aber noch tiefer ging dieses Gefühl, alle anderen seien fleißiger und viel tun sei das Allerbeste. Viel tun war aber nie etwas, das mir entsprochen hat.

Ich hab mich immer um die Aufgaben im Haushalt, die meine Eltern verteilt haben, gedrückt. Ich hab immer geguckt, dass ich möglichst den kürzesten Weg nehme, um eine Aufgabe zu erledigen. Ich bin bis heute kein Fan davon, Dinge unnötig zu verkomplizieren. Und ich habe jahrelang gedacht, das ist falsch, ich bin falsch.

Die Folge davon war, dass ich mich überarbeitet habe.

Richtig deutlich wurde das, als ich jung Mutter wurde und anfing zu studieren. Ich habe dann mit Baby und kleinen Kindern an der Seite studiert, habe nebenher gearbeitet und mich immer – egal, wie lang der Tag war, egal wie müde ich war, egal, wie viel ich erledigt hatte – gefühlt, als wäre ich faul, als müsste ich noch mehr machen, als wäre mein Tun definitiv nicht genug, als wäre ich nicht genug.

Ich konnte mich jahrelang nicht in Ruhe hinsetzen.

Einfach nur hinsetzen und in die Luft gucken, an meinem Smartphone rumdaddeln, was essen, ein Buch zum Vergnügen lesen. Ich bin immer wieder aufgesprungen, habe schnell noch etwas aufgeräumt, schnell noch etwas erledigt.

Irgendwann habe ich in der Therapie mein hektisches „Ich muss noch mehr!“ so lange auseinander genommen, bis ich festgestellt habe: Unbewusst denke ich, dass nur produktive Menschen gute Menschen sind und Menschen, die viel tun, sind produktiv. Denn genau das habe ich zutiefst gelernt. Ich dachte, Faulheit sei nicht einfach nur eine Eigenschaft, sondern sie sage etwas über mich als Menschen aus. Und zwar etwas sehr, sehr negatives. Sie ist wie eine Sünde. So hat es sich für mich angefühlt. Das ist mein Prozess mit Faulheit.

Ich habe viele Jahre – und ich habe es auch immer noch im Kopf – damit verbracht, mich bewusst darauf einzulassen, dass ich Pause mache, dass ich schnell bin, dass ich unnötige Prozesse, Gedanken, Arbeitsabläufe ablehne, dass ich kein Mensch bin, der lange Zeit an irgendeinem Projekt zuverlässig arbeiten kann. Und all die Dinge, die ich unter Faulheit zusammengefasst hatte. Seitdem ich das tue, gehts mir besser.

Und das bringt mich zu dem Punkt, warum ich anfangen möchte, darüber zu sprechen.

Faulheit bei Kindern

Ich erlebe immer wieder, wie Kinder als faul bezeichnet werden. Es ist vielleicht nicht genau das Wort, aber ich erlebe, dass es dieses Framing gibt:

  • Mein Kind will die Dinge nicht tun,die ich ihm auftrage.
  • Mein Kind lässt sich bedienen.
  • Mein Kind will die Hausaufgaben nicht erledigen.
  • Mein Kind will nicht im Haushalt mithelfen.
  • Mein Kind lässt sich den ganzen vom Tablet berieseln.

Und das ist nicht einfach nur eine Feststellung, sondern es ist eine Aussage über den Charakter und oft etwas, was euch – wenn ihr dazu schreibt oder wenn wir dazu in den Austausch gehen – Sorgen macht. Ihr findet die Faulheit eurer Kinder super schwierig und meint, ihr müsstet den Umgang damit erlernen.

Mir ist bewusst, dass ich mich hier mit einem kulturellen Phänomen anlege. Ich lebe ja nicht mehr in Deutschland und habe sehr schnell gemerkt:

Faulheit als Makel ist einfach nur ein Set an Überzeugungen, was enorm Fuß gefasst hat in Deutschland.

Warum ist das so? Historiker*innen und Kulturwissenschaftler*innen vor! Erklärt mir das doch mal. Wenn ihr Bock habt, schreibt direkt in die Kommentare.

Diese krasse, preußische Arbeitsmoral, diese historisch gewachsene Idee, dass der Wert eines Menschen an Arbeit, an Produktivität geknüpft ist, scheint tatsächlich besonders heftig in Deutschland zu sein.

Umgang mit einem faulen Kind

Was mache ich denn, wenn mein Kind seine Aufgaben nicht erledigt, wenn es faul ist, wenn es nicht macht, was ich ihm auftrage?

Ich möchte auf diese Fragen aus dem Blick auf meine eigene Geschichte heraus antworten.

1. Faulheit für die psychische Gesundheit

Es war gut für meine psychische Entwicklung und meine psychische Gesundheit, nicht mehr über den Widerstand zu gehen. Ich habe mich oft für die Faulheit entschieden, wenn ich dachte: Ach nee, das ist es eigentlich nicht wert. Dieser Wahlmechanismus hat mich daran gehindert, meine persönlichen Grenzen zu überschreiten.

Faulheit ist ein Schutz vor Überforderung!

Sie ist ein Schutz vor psychischen Erkrankungenen, sie ist ein Schutz davor, Menschen und Situationen und Projekte und Dinge in mein Leben zu lassen, die mir nicht gut tun.

Ja, dein Kind schützt sich (unbewusst) damit. Ich denke, es ist zutiefst menschlich ist und unabhängig vom Alter, dass Menschen manchmal einen Widerstand fühlen und den nicht begründen können. Manchmal wird irgednwann später klar, woher der Widerstand kam.

2. Faulheit als Weg zum Erfolg

Das Suchen nach dem kürzesten Weg und nach dem geringsten Aufwand hat es mir möglich gemacht, mit geringen Energiereserven das zu tun, was ich mit meinem Leben getan habe, nämlich mit drei kleinen Kindern auszuwandern und ein erfolgreiches Online-Unternehmen großzuziehen.

Kurze Wege, möglichst wenig Arbeit und Aufwand, haben dazu beigetragen, dass ich sehr schnell bin in meinem Tun und deswegen in kurzer Zeit viel schaffe.

Und das war schon immer so. Wenn es mich interessiert hat oder wichtig war, habe ich im Bruchteil der Zeit, den viele andere Menschen gebraucht hätten, ein Ergebnis erzielt.

3. Faulheit zur Einhaltung des individuellen Energiebudgets

Meine persönlichen Grenzen zeigen sich in dem Moment, in dem ich faul werde, in dem ich einen einfacheren Weg suche, weil meine Ressourcen begrenzt sind. Und Energieressourcen sind bei Menschen von Natur aus unterschiedlich.

Ich glaube fest daran – das ist meine persönliche Meinung -, dass wir mit einem gewissen Maß an Energie geboren werden, mit einem bestimmten Design, einem bestimmten Energiebudget. Und so gibt es Menschen, die einfach mehr Energie und mehr Möglichkeiten haben, als andere. Das hat auch viel mit Neurodiversität zu tun und wofür die Energie im Alltag verbraucht wird.

Das, was wir Faulheit nennen, bedeutet eigentlich: Das ist mir zu viel. Ich bin überfordert. Das ist emotional zu viel für mich. Das ist psychisch zu viel für mich. Das ist geistig zu viel für mich. Das überfordert mich. Das geht über das hinaus, was mir gut tut.

4. Den Blick auf die Faulheit ändern

Ich habe sehr gekämpft, diese Faulheit in einem meiner Kinder zu sehen und gespiegelt zu bekommen, weil ich eben mit diesem Blick auf mich groß geworden bin.

Ich mag dich ermuntern, dein faules Kind wohlwollend zu sehen.

Ich konnte in diesem Setting lernen, nicht nur für das reale Kind vor mir, sondern auch für mein inneres Kind da zu sein – ein stückweit ist ja Elternsein, auch immer ein Nachbeeltern von uns selbst. Ich konnte den Blick öffnen und sagen:

  • Du sorgst gerade gut für dich.
  • Du weißt, hier ist deine Energie zu Ende.
  • Du weißt, das kannst du so gerade nicht schaffen.
  • Du weißt, das tut dir nicht gut.
  • Du weißt, wo du stehst und was wichtig ist für dich.

Und das kann ich anerkennen.

Und bevor ihr mich jetzt anschreit in den Kommentaren, das heißt nicht, dass ich die Hände in die Luft schmeiße und sage: Gut mein Kind, du möchtest das nicht machen, ich respektiere deine Sicht und deswegen werde ich dich nie wieder um irgendwas bitten. Es gibt keine Lösung und ich muss immer alles selber machen.

Wir reden noch nicht über Lösungen. Wir sagen nur:

Die Art und Weise, in der ich auf die vermeintliche Faulheit meines Kindes schaue, ist das Allerwichtigste.

Für mich war das Fatale, dass ich als Person mit einer Schwierigkeit, mit einem Fehler im System angesehen wurde und das ebenfalls so empfunden habe. Da wurde nicht einfach beschrieben: Aha, die Ruth hat relativ wenig Energie, muss gut auf sich achten und braucht zwischendurch Pausen. Nein, es hieß: Ruth ist faul. Ruth ist nicht richtig. Ruth ist nicht gut so, wie sie ist. Dieses Empfinden war für mich die Problematik.

Es ist völlig in Ordnung, genervt zu sein! Es ist völlig in Ordnung, das Verhalten deines Kindes anstrengend zu finden. Aber:

Der Blick, den du auf dein Kind hast, den wird es auf sich selbst bekommen.

Zumindest hast du einen sehr großen Einfluss darauf. Ich empfehle dir sehr, zu hinterfragen, mit welchen Worten du dein Kind beschreibst und mit welchem Blick du auf dein Kind schaust. Du kannst an der Faulheit deines Kindes erkennen, dass es für sich sorgt. Das musst du nicht gut finden, das musst du nicht richtig finden, aber du kannst es daran sehen.

Nochmal zusammengefasst:

Faulheit ist Schutz. Faulheit ist ein Anzeigen von Bedürfnisse, ein Anzeigen von Grenzüberschreitungen und es ist gleichzeitig hochindividuell. Wenn wir mit diesem Blick darauf gucken, wie produktiv jemand ist, sind wir meines Erachtens völlig daneben, wenn wir versuchen, Kinder zu beschreiben. Ich zum Beispiel wurde als faul gesehen, weil ich nicht eingesehen habe, meinen Eltern im Garten zu helfen. Oder wenn ich etwas wegräumen sollte, das aber immer wieder vergessen habe. Das waren ganz unterschiedliche Situationen und mein Verhalten hatte unterschiedliche Gründe, meine Eltern haben aber alles unter Faulheit zusammengefasst.

Frag dich doch mal, wenn du auf dein Kind guckst:

Was meine ich denn da genau, wenn ich sage, das Kind ist faul?

Sehe ich da vielleicht Vergesslichkeit? Sehe ich da vielleicht, dass das Kind schlicht nicht interessiert ist? Oder setze ich Produktivität mit viel tun gleich? Findest du, dein Kind tut zu wenig? Übersiehst du dabei vielleicht, dass es an bestimmten Stellen sehr wohl produktiv ist? Diese Differenzierung ist immer wichtig, wenn wir uns mit diesen Urteilen, mit diesen Worten im Kopf herumschlagen.

Diese „Anleitung“ die Faulheit oder scheinbare Faulheit deines Kindes anzuschauen, kannst du auf alle anderen Urteile über dein Kind übertragen. Ich mag dich einladen, zu testen, wie du auf dein Kind schaust, welchen Blick du auf ihr*sein Verhalten hast und wie du das anders differenzieren kannst.

Wenn du magst, erzähl mir doch in den Kommentaren, in welchen Situationen du dein Kind faul findest? Kennst du mein Erleben? Kannst du dich damit verbinden? Oder ging es dir immer anders? Und hast du vielleicht noch eine Ergänzung dazu, wie wir friedvoll mit diesem Verhalten umgehen können?