Hier kannst du dir alles anhören:

 

„Du Ruth, ich finde dieses ganze unerzogen-friedvolle-Elternschaft-attachment-parenting-bedürfnisorientiert-Dingensbumens total toll und merke auch, wie sich ganz viel verändert zwischen mir und meinem Kind, aber mein*e Partner*in hat da keinen Bock drauf, die*der findet das total blöd.“

Es gibt sogar die Variante: „Mein*e Partner*in ist total wütend auf mich, wir haben richtig, richtig Stress deswegen. Und ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll.“

Auch wenn ich oft von „deine*r Partner*in“ schreibe, meine ich im Artikel nicht nur klassische zwei-Elternteile-Familien, sondern schließe andere Konstellationen klar mit ein. Derartige Konflikte treten genauso auf in Patchwork- oder polyamorösen Familien, in Familien, in denen Großeltern oder Freund*innen einen Teil der Betreuung übernehemen, in WGs, zwischen Eltern, die in keiner Paarbeziehung (mehr) leben oder, oder.

Ich habe schon darüber geschrieben, was ich glaube, was helfen kann in solchen Situationen und warum ich glaube, dass es überhaupt nicht hilfreich ist, eine Person dazu erziehen zu wollen, nicht zu erziehen, denn das ist ja nicht weniger gewalttätig.

Heute möchte ich über das gleiche Thema aus einem anderen Blickwinkel schreiben.

Wie können wir dauerhaft mit unterschiedlichen Ansichten leben?

Ich gehe davon aus, dass du nicht vorhast, dein*e Partner*in riesig zu verändern. Oder dass du eingesehen hast, dass es nicht besonders hilfreich, sondern vielmehr abwertend ist einer anderen Person gegenüber, sie ändern zu wollen.

Ich hab schon viele Menschen begleitet auf diesem Weg. Grundsätzlich müssen wir erstmal fragen:

Gibt es ein gemeinsames Wertefundament?

Also unterscheiden von „Ich find das jetzt ein bisschen doof, was mein*e Partner*in denkt und ich hätte gern, dass sie*er das gleiche macht, wie ich.“ oder „Was mein*e Partner*in da macht, geht für mich grundsätzlich gar nicht!“.

Eure Werte gehen auseinander?

Wenn dein*e Partner*in es total gut findet, ein Kind zu schlagen, Gewalt gar nicht als Problem ansieht oder findet, ein Machtungleichgewicht solle ausgenutzt werden, dann habt ihr einen Wertekonflikt.

Ein Wertekonflikt ist ein Beziehungsproblem.

Ein offener – am besten ruhiger – Austausch über eure Werte kann helfen. Wenn ihr dann feststellt, eure Werte liegen sehr weit auseinander, könnt ihr Leitplanken bauen.

In einem Gespräch setzt ihr einen Handlungsrahmen fest, den ihr einander zugestehen könnt: „Dies ist für mich ok, jenes geht gar nicht und hier können wir eine individuelle Lösung finden.“ Dabei geht es nicht um Verständnis, wobei es natürlich für eure Beziehung sinnvoll ist, dass ihr einander von euren Werten erzählt. Aber in dieser Phase ist ok, wenn dein*e Partner*in, für den*die Gewalt kein Problem darstellt, nicht versteht, warum es dir wichtig ist, dass eurem Kind die Zähne nicht im Schwitzkasten geputzt werden. Wichtig ist gerade nur, dass sie*er deine Leitplanke sieht und anerkennt. „Mit Gewalt Zähne putzen? NEIN! Kommt nicht in Frage!“

Das ist eine ganz harte Grenze, in der du dein Vetorecht als Elterteil nutzt.

Ich finde es absolut in Ordnung, dieses Vetorecht einzusetzen. Wie in jeder Beziehung macht es allerdings Sinn, das nicht alle zwei Sekunden zu tun und nicht für jede Kleinigkeit, sondern nur dann, wenn du merkst: Das kann ich nicht vertreten als Elternteil. Dazu kann ich nicht schweigen, das ist Gewalt, das ist ein Übergriff, das geht gar nicht.

Eure Werte sind ähnlich?

Einfacher ist es, wenn alle wertetechnisch in die gleiche Richtung gehen.

Wenn deine Partner*in zB sagt, er*sie finde es grundsätzlich wichtig und richtig, dass ihr liebevoll miteinerander umgeht, er*sie habe ein Interesse, an sich zu arbeiten, sei grundsätzlich der Meinung, Kinder seien Menschen, ist aber mit der Umsetzung nicht einverstanden. Sie*er findet zB die Antipädagogik total übertrieben und findet stattdessen eine nette Pädagogik wichtig oder er findet, dass Kind darf nicht entscheiden, wann es ins Bett geht, während du eurem Kind freie Schlafenszeiten ermöglichen willst. Das ist dann kein Wertekonflikt, sondern eher ein Bedürfnis- und/oder Strukturkonflikt.

Auch wenn ihr wertetechnisch ähnlich unterwegs seid, ist ein Abgleicht, was für wen ok ist und warum, notwendig. Dabei hat allerdings die gegenseitige Unterstützung einen viel höheren Stellenwert. Wenn du weißt, deiner*m Partner*in ist es auch wichtig, sich friedvoll zu verhalten, dann brauchst du keine harte Grenze mehr zu stecken, sondern du kannst helfen!

Wir alle kennen es, dass wir mal ausflippen, wir alle kennen es, dass wir plötzlich irgendwelche Ideen haben, wie mit Kindern umgegangen werden sollte und unsere ganzen alten Programmierungen übernehmen.

Wie könnt ihr euch gegenseitig unterstützen, um die Grenzen eurer Kinder zu wahren?

Sprecht außerhalb der Situation darüber!

Mir und dem Papa meiner Kinder hat es sehr geholfen, zu merken, dass wir ganz unterschiedliche Dinge brauchen. Ich finde es zB super, wenn er dazukommt und ohne mich weiter zu beachten, ohne mich anzusprechen, die Kinder ablenkt und etwas anderes mit ihnen macht. Oder mir hilft, würdevoll aus der Situation zu kommen.

„Ich hab dir mal einen Tee in die Küche gestellt.“

Dann lauf ich in die Küche, ohne dass er direkt anspricht, wie scheiße ich mich gerade verhalte und er das unterbrechen will.

Er hingegen möchte gerne, dass ich hinkomme und ihn frage, ob er Hilfe braucht, weil er sich entmündigt fühlt, wenn ich einfach dazukomme und übernehme. Wenn er mich das in einer Situation, in der ich rumstresse, fragen würde, könnte ich gar keine vernüftige Antwort geben. Ich bin dann der Meinung, Recht zu haben und dass ich das jetzt durchsetzen muss und dass jetzt auch mal Schluss ist.

Es sind also ganz, ganz unterschiedliche Strategien, die uns helfen, einander zu unterstützen auf unserem friedvollen Weg.

Bei unterschiedlichen Werten hilft nur Trennung?

Überhaupt nicht!

Nach all dem, was ich gesehen habe, bin ich mir sicher, dass eine gemeinsame Wertebasis nicht gleichzusetzen ist mit einer supi-dupi-für-immer-und-ewig-Beziehung. Genausowenig bringen unterschiedliche Werte in einer Beziehung ständigen Streit mit sich und sorgen dafür, dass alles immer schrecklich ist.

Es geht viel mehr um Kommunikationsmodi. Wie kommuniziert ihr, wenn ihr an eure persönlichen Grenzen kommt? Wenn ihr eure Kinder schützen woll? Wenn ihr nicht einverstanden seid, aber noch keinen hartes Veto angebracht ist? Wir geht ihr da miteinander um? Wie klar seid ihr in euren persönlichen Bereichen und Werten? Wie kommuniziert ihr, wenn ihr etwas nicht wollt?

In Beziehungen ist es viel, viel entscheidender, wie die Menschen miteinander kommunizieren, als dass sie immer einer Meinung sind.

Und genau da lässt sich der Bogen zu den Kindern schlagen.

Was macht es mit Kindern, wenn Eltern unterschiedliche Ansichten vertreten?

Ich glaube, es ist nicht entscheidend für Kinder, dass Eltern einer Meinung sind. Das geht ja auch gar nicht. Das sind unterschiedliche Leute mit unterschiedlichen Erfahrungen, einer unterschiedlichen Geschichte. Und natürlich mit unterschiedlichen Meinungen. Vielleicht sind die nur ein kleines bisschen verschieden, vielleicht auch sehr stark. Vielleicht hat der eine Schwierigkeiten mit dem Thema Essen und kann da nicht loslassen, die andere nicht. Vielleicht dreht die eine ab, wenn die Kinder streiten und die andere nimmt das völlig locker. Das ist völlig in Ordnung, das ist sogar sehr hilfreich, denn Kinder lernen daraus, wenn sie beobachten können, wie Menschen, die unterschiedlich sind, miteinander umgehen, wie sie miteinaner kommunizieren, wie sie ihre Unterschiedlichkeiten annehmen.

Ich glaube also, dass es in einer Beziehung nicht darum gehen sollte, die*den Partner*in dazu zu kriegen, endlich einzusehen, dass unerzogen der einzig richtige Weg ist. Es ist noch nicht einmal das Ziel, dauerhaft eine gemeinsame Linie zu finden oder – da schauert es mich – an einem Strang zu ziehen.

Es ist kein Kampf, es ist Familie.

Und Familie sind mehrere Leute mit unterschiedlichen Erfahrungen, Gedanken, Bedürfnissen, Emotionen. Das kracht manchmal. Und manchmal läuft alles wie geschmiert. Und manchmal ist es ein Zwischending. Das ist völlig in Ordnung. Wir dürfen das Drama und den Druck aus Elternbeziehungen raus nehmen. Ganz unabhängig von unerzogen oder nicht, dürfen wir damit leben, dass Eltern unterschiedliche Leute sind, sehr unterschiedliche Leute.

Ich glaube, dass es hilfreicher ist für die Resilienz von Kindern, dass wir lernen und vorleben, klar zu kommunizieren, was uns wichtig ist.

Das ist hier kein Freifahrtsschein, deiner*m Partner*in dabei zuzuschauen, während er*sie Gewalt ausübt.

Den ganzen Tag diskutieren hilft aber auch nicht. Mach klar, wo die Leitplanken sind, also was nicht geht, und greife dann bei Bedarf klar und so freundlich wie möglich ein.

Positiver Effekt: Wenn ihr diese klare Kommunikation etabliert, könnt ihr auch viel liebevoller und offener miteinander über all das sprechen, was eben nicht so klar und eindeutig ist, wo ihr vielleicht selber noch unsicher seid, wo ihr etwas ausprobieren wollt.

Rückt die Kommunikation in den Vordergrund rücken, nicht das Ergbnis.

Das ist das gleiche wie mit euren Kindern. Wenn ihr wollt, dass eine Person irgendwie wird, ist das eine Beleidigung und wirklich gemein. Aber wenn du sagst: „Ich möchte dich verstehen, ich interessiere mich für deinen Blickwinkel auch wenn es nicht meiner ist und auch wenn ich Dinge davon für falsch halte. Du bist wichtig für mich.“, dann ist das gut für eure Kinder!

Gesunde, tragfähige Beziehungen sind gut für eure Kinder!