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„Sag mal, Ruth, was ist, wenn ich ne Zeitlang wirklich Scheiße gebaut habe?“

„Ich hatte eine depressive Phase, hab meine Kinder angeschrien.“

„Ich habe lange streng erzogen und jetzt erst die Kurve gekriegt.“

„Ich war gestern müde, hab mein Kind voll angemotzt und jetzt ist es total getroffen.“

Ich werde – zusammengefasst – oft danach gefragt:

„Wie kann ich die Resilienz meines Kindes stärken, damit es mit diesen Momenten umgehen kann?“

Eines vorweg: Solche Momente kommen vor! Sowas passiert quasi allen von uns. Wir rasten aus, wir werden gemein, wir werden gewalttätig. Manchmal sogar, weil wir uns bewusst dazu entscheiden, entweder weil wir denken, es müsse sein, oder weil wir uns in einem ethischen Dilemma befinden: zB Kind rennt auf die Straße, Laster rast auf das Kind zu, wir reißen es mit aller Gewalt von der Straße. Wir haben also beschlossen, Gewalt sei gerade angebracht. Schützende Gewalt ist aber tatsächlich eher selten (sag ich mal sicherheitshalber, nur bevor du das nun auf alles vom dritten Eis bis zum Wegnehmen von Medien nutzt).

Ob und wie oft sie vorkommen, ist nicht nur eine Frage deiner persönlichen Disziplin, sondern eine Frage deiner Privilegien, deiner Umgebungsgestaltung, der Zeit, die du morgens hast, um irgendwo hinzukommen, des Geldes, das du übrig hast, um es für ein Geschenk auszugeben, wenn dein Kind sich das jetzt ganz dringend wünscht. Und vor allem der Verhaltensweisen, die du in deiner Kindheit erlernt hast und die du mitnimmst in deine Elternschft. Wenn du selber nicht Blitzableiter deiner Eltern warst, dann wird es für dich wahrscheinlich auch nicht naheliegend zu sein, dein Kind als einen zu nutzen.

Na klar bist du dafür verantwortlich, wie bei euch die Athmosphäre ist und du bist auch kein Opfer der Umstände, der Ökonomie, der Gesellschaft oder deiner Herkunft. Aber es kommt vor, dass du dich deinem Kind gegenüber blöd verhältst. Und wie oft das vorkommt, ist meistens ein ziemlich sicherer Indikator dafür ist, wie priviligiert du insgesamt bist.

„Ich hab Mist gebaut!“

Der erste Gedanke ist oft „Ooooh, ich habe mein Kind verletzt, ich muss das wieder gut machen!“ Mir ging das früher so, dass ich die Rückmeldung meines Kindes nicht ertragen habe und dann wollte, dass mein Kind wieder fröhlich ist, damit ich mich wieder wohl fühle. Ich hatte so ein schlechtes Gewissen, dass ich meinem Kind noch nicht einmal seine Reaktion auf die Verletzung zugestanden habe. Das ist natürlich Mist. Was also stattdessen?

Ich will dir heute ein paar Schritte, die du machen kannst, ein paar Gedankengänge, die du entlang gehen kannst, vorstellen, wenn du solche Fehler gemacht hast.

Schritt 1: Wie geht es dir?

Nimm wahr, wie es dir gerade geht. Scham, Schuld, Wut, Traurigkeit, Angst. Alles. Bleib bei dir. Guck dir deine Glaubenssätze an, schau dir deine Gedanken neugierig an.

Diesen Schritt überspringen wir gern, weil wir glauben, er würde zu keiner Lösung führen. Aber wenn du dir den Raum lässt, wirst du merken, wie wichtig er ist. Dann wirst du die Verantwortung für das Geschehen nämlich nicht auf dein Kind abwälzen, damit du dich wieder wohlfühlst, sondern du wirst merken: „Oh fuck, das hab ich ja richtig krasse Gedankengänge. Ich hätte nie Kinder bekommen sollen. Wow, woher kenn ich sowas? Was ist da los mit mir?“

Du brauchst keine perfekten Antworten, es ist kein Test, aber gib deinen Gefühlen und Gedanken Raum. Bei dir. Mit dir. Geh nicht direkt zum Kind, noch während du voller Reue, Stress oder Drama bist. Lass dir erstmal Raum für alles, was da ist. Egal was es ist. Es muss nichts davon beurteilt werden.

Vielleicht ist es so, dass du dich immer noch innerlich rechtfertigst und zwar zu deinem Kind hingehen willst, um dich zu entschuldigen, aber ein ganz großer Teil in dir in der Rechtfertigung steckt und du noch denkst, wenn mein Kind nicht x gemacht hätte, hätte ich es auch nicht y tun müssen.

Vielleicht ist es auch so, dass du versuchst, das Thema runterzudrücken. Ich habe zB nicht gelernt, wie ich nach einem Fehler auf mein Gegenüber zugehe, wie ich mich entschuldigen kann. Ich hab gelernt, das tot zu schweigen. Für mich war es deswegen wichtig, meinen Gefühlen Raum zu geben, damit ich nicht so tue, als sei nichts gewesen. Boaaah, war das schwer! Meinen Gefühlen Raum zu geben war meine schwerste Übung (okay, ist es noch immer).

Je nachdem welchen Umgang du gelernt hast und je nach Situation, wirst du alles mögliche fühlen, es gibt absolut nichts Falsches daran.

Schritt 2: Verbindung ermöglichen

Welche Situationen gibt es, in denen ihr euch wieder miteinander verbinden könnt?

Menschliche Beziehungen sind Verbindung – Abbruch der Verbindung – Verbindung – Abbruch der Verbindung. Das ist ganz normal. Es ist nichts falsches daran, einen Konflikt zu haben und genervt zu sein, den Kontakt abzubrechen und dann wieder aufeinander zuzugehen.

Wann passt es, auf dein Kind zuzugehen?

Wenn es dir geht, wie mir, bist du immer sehr darauf bedacht, ganz viel Verbindung zu haben und – Notiz an mich – das ist nicht unbedingt hilfreich, wenn die andere Person noch nicht so weit ist oder wenn die Situation nicht passt. Es vor allem dann noch nicht der richtige Zeitpunkt, wenn ich meine Gefühle und Gedanken nicht vorher bearbeitet habe und ihnen Raum gegeben habe, sondern mit ganz viel Drama in die Situation gehe.

Such dir einen guten Moment, um wieder in die Verbindung zu kommen. Manchmal dauert es, bis er da ist. Das ist gar kein Ding. Warte.

Dann bau Verbindung auf. Das muss nicht nur über Sprache sein. Je kleiner dein Kind ist, desto wichtiger ist nonverbale Verbindung: Toben, Kuscheln, leckeres Essen bringen, je nachdem wodurch dein Kind sich gesehen und geliebt fühlt. Und auch da ist es wichtig, aus welcher Haltung heraus du agierst. Machst du das aus Schuldgefühlen? Hmpf. Nicht so hilfreich.

„Ich kauf dir dein Lieblingsspielzeug. Hast du mich jetzt wieder lieb?“, keine gute Idee, dann ist die Verantwortung bei deinem Kind, es soll dafür sorgen, dass du dich besser fühlst. Aber wenn du sagst: „Weißt du, was jetzt richtig schön wäre, nachdem es eben so kacke gelaufen ist? Lass mich dir dieses Legoset kaufen und wir bauen das zusammen auf.“ Das kann total passend sein. Ich empfehle nicht, kauf dem Kind was und alles wird gut, ich hoffe ich werd da jetzt nicht missverstanden. Ich empfehle, dich zu fragen aus welchen Motiven heraus du handelst.

Suche einen Modus, in dem sich dein Kind geliebt und gesehen fühlt und nicht nur du dich gut fühlst.

Es kann zB sein, dass du zu deinem Kind hingehen und alles besprechen willst, aber dein Kind hat kein Interesse daran oder dein Kind ist einfach zu klein, um darüber zu sprechen. Dann brauchst du eine andere Liebessprache, eine andere Art der Verbindung.

Und dann ist der wichtigste Punkt, wenn du dich entschuldigen möchtest, wenn du in die Verbindung gehen möchtest:

Wer hat die Verantwortung? Für wen tust du das?

Das zu beantworten, kann sehr unangenehm sein. Vielleicht entschuldigst du dich, weil du dich ent-schuld-igen willst, du die Schuld loswerden willst. Mir hat lange Zeit geholfen, nicht Entschuldigung zu sagen, um mein Gehirn darauf zu trainieren, nicht in Schuld zu denken. Ich hab stattdessen von mir erzählt und zB gesagt: „Ich bedaure, dass ich das vorhin gemacht habe.“ Oder: „Boa, das ist mir so unangenehm, dass ich da so rumgeschrieen hab, das war echt richtig kacke.“ Oder: „Ich bin richtig traurig, weil ich vorhin diese gemeine Sache gemacht hab.“ Oder: „Eigentlich hätt ich echt gehofft, dass ich diesen blöden Ausraster nicht mehr bekomme.“

Schritt 3: Die Wahrnehmung deines Kindes ernst nehmen

Egal, was dein Kind auf deine „Entschuldigung“ antwortet, es ist nicht an dir, das zu bewerten. Du hast gerade Scheiße gebaut, dein Kind darf das finden, wie es will. Dein Kind muss nicht deiner Meinung sein. Dein Kind muss dich nicht verstehen. Dein Kind muss dir nicht verzeihen.

Dein Job ist es, die Verantwortung zu übernehen und den Kommunikationskanal offen zu halten und emotional neugierig zu sein für das, was dein Kind erlebt.

Wenn es dir geht wir mir, dann sagst oder machst du manchmal Sachen, die du selber überhaupt nicht schlimm findest und dein Kind meldet dir zurück, dass es eben doch schlimm war, indem es sich verweigert oder wütend wird oder indem es dir das direkt sagt. Oder du hast etwas gemacht, wo du denkst „Oh fuck, sowas wollt ich nie machen, das war richtig schlimm!“ und dein Kind fand das gar nicht so tragisch. Beides ist total ok.

Nicht du beurteilst, wie stark die Verletzung bei deinem Kind ist und wie es darauf reagiert.

Wenn dein Kind weiterhin wütend auf dich ist und dich scheiße findet, dann ist das gerade so, wenn dein Kind sagt, halb so wild, dann ist das gerade so. Deine Beurteilung der Situation ist irrelevant. Ich würde nur immer mal darauf achten, ob dein Kind etwas sagt, damit du dich wohl fühlst, um mit dir zu kooperieren.

Was du tun kannst, ist die Verantwortung für das übernehmen, was du ausgelöst hast, offen bleiben, die Verbindung herstellen und neugierig bleiben auf die Perspektive deines Kindes.

Jede positive Interaktion ist wichtig!

Der Umgang mit Fehlern ist meiner Meinung nach einer der wichtigsten Faktoren, um Resilienz im Alltag zu stärken, aber außerdem ist jede positive Interaktion wichtig. Immer, wenn du es ein kleines bisschen besser hinbekommst, immer, wenn du hinterher sagst, das war blöd von mir, tut mir leid, lass uns mal überlegen, wie es nächstes Mal besser werden kann. Jedes Mal stärkst du dein Kind.

Du machst dein Kind nicht resilient, indem du immer alles richtig machst.

Dann gäbe es keine resilienten Menschen auf dieser Welt.

Du tust es, indem du immer und immer wieder die Verantwortung übernimmst und den nächsten, kleinen und für dich machbaren Schritt gehst. Und das wichtigste ist nicht – da ist sich die Forschung auch relativ einig – dass du es immer richtig machst, sondern dass die positiven Bindungserfahrungen gegenüber den negativen halbwegs überwiegen. Das ist natürlich auch sehr unterschiedlich, je nach dem unter welchen Umständen dein Kind groß wird, je nach Charakter usw. Aber ganz grob, so lange es immer und immer wieder positive Bindungserfahrungen gibt, tust du etwas für die Resilienz deines Kindes.

Was überhaupt nicht hilft, ist zu sagen: „Oh fuck, ich hab jetzt 10 Jahre lang mein Kind hammerhart erzogen, ich habs richtig verkackt, kann ich nix mehr machen, es wird definitiv drogenabhängig, alles vorbei und sowieso wurscht, was ich tue.“ So rum funktioniert das nicht. Und es ist total destruktiv.

Jede positive Interaktion hilft!

Meine Mama hat mir Jahre nachdem ich ausgezogen bin, in einem Gespräch gesagt: „Weißt du was, Ruth, ich versteh, warum das damals für dich schwierig war.“ Das war eines der größten Geschenke, die sie mir hätte machen können. Sie hat sich noch nicht einmal entschuldigt im eigentlichen Sinne, sie hat auch nicht groß über ihre Gefühle geredet, wir hatten auch keine super stabile Beziehung und doch war diese Geste für mich und meine Gesundheit unglaublich wichtig.

Dieses Geschenk können wir unseren Kindern immer machen.

Glaub mir, ich hab meine Kinder mindestens die ersten zwei Jahre ordentlich versaut und das ist nicht egal, auf keinen Fall. Die Folgen – gerade bei meinem ältesten Kind – merke ich bis heute. Aber ich kann trotzdem heute etwas ändern. Ich kann an mir arbeiten, ich kann hinschauen, die Verbindung offen halten, mich entschuldigen, wenn ich Fehler mache, dafür gerade stehen, die Wahrnehmung meines Kindes ernst nehmen, wenn es mir etwas rückmeldet und mein Allerbestes tun.

Mehr können wir eh alle nicht machen.