Vor einigen Tagen wurde in den USA erneut ein Schwarzer Mann durch die Polizei getötet. Diesmal hat eine mutige Passantin aber nicht nur dokumentiert, sondern auch veröffentlicht, was sie gesehen hat. Die Folgen erschüttern gerade die Welt.
Wenn es dir wie mir geht, dann fragst du dich gerade „Was kann ich tun?“ und du weißt auch, dass der Umgang mit unseren Kindern eine entscheidende Rolle spielt in allen Fragen in Bezug auf strukturelle und persönliche Gewalt.
Ich habe viele Zuschriften bekommen von Menschen, die nun Angst haben, von Menschen, die mich darum bitten, aufzuklären und anderen, die fragen, ob und wie sie mit ihren Kindern reden sollen. Und weil ich mich nicht verstecken will hinter meiner Hautfarbe, werde ich nun versuchen, zu formulieren, was ich denke, vorschlage und was ich für hilfreich halte im Umgang mit Kindern und Rassismus.
Disclaimer: Ich bin weiß und mit Privilegien geboren. Ich lerne, sie langsam zu hinterfragen und abzulegen und ich bin keineswegs perfekt. Ich bin willens, die Reflexionsarbeit zu leisten und bitte um Feedback, wenn ich mich ungeschickt oder insensitiv ausdrücke. Es ist unangenehm, über Rassismus zu reden, ja. Aber es ist noch unangenehmer, nicht die Wahl zu haben, weil meine Hautfarbe mich zwingt, damit zu leben. Also, lasst es uns zusammen unbequem machen.
Ehrlichkeit
Ich glaube, Ehrlichkeit ist immer die Währung für Miteinander. Wenn du weiß bist, kann das zum Beispiel heißen, dass du unsicher bist, wie man über Hautfarben spricht oder dass du bisher nicht darüber nachgedacht hast, welche Hautfarben die Puppen deiner Kinder haben oder dass du selbstverständlich dem Kind eine helle Lachsfarbe gereicht hast, wenn es dich gefragt hat, ob du ihm mal den „Stift in Hautfarbe“ geben kannst.
Es ist sehr unangenehm, das festzustellen. Und wir dürfen das ehrlich kommunizieren, auch mit unseren Kindern, dass es das ist. Unangenehm ist gut. Unangenehm ist der erste Schritt. Und nichts, was wir verstecken müssen.
Wenn du dich bisher nicht mit deinem weißen Privileg auseinandergesetzt hast, gilt das gleiche: Sag, dass es so ist. Dass du nicht weißt, wie dein Kind Schwarze Menschen nennen soll. Dass es dir peinlich ist, wenn es fragt „Mama, warum ist der Mensch da so Schwarz?“ oder dass dein Kind nur Kinder einer Hautfarbe im Kindergarten hat.
Weißes Privileg ist nicht schlimm, solange es anerkannt und dann eingesetzt wird. George Floyd, der Mensch, der vor ein paar Tagen von der Polizei getötet wurde, hätte von einer weißen Person vielleicht gerettet werden können. Das Privileg zu nutzen braucht aber, dass wir es anerkennen und nicht blind hinnehmen. Und damit können wir jetzt beginnen.
Wenn du Teil der BIPoC (Black, Indigenous, People of Colour) Community bist, gilt der Grundsatz mit der Ehrlichkeit auch (der gilt in jeder lebendigen Beziehung zwischen Menschen). Viele von euch haben mich angeschrieben und gefragt, wie sie nun stark sein können. Ob und wie sie ihre Kinder ansprechen sollen. Und während es mir das Herz bricht, das zu schreiben: Eure Kinder leben in dieser Welt und das ist abgefuckt.
Das beste, was wir als Individuen tun können, ist unsere Beziehung stärken, um ihre Resilienz zu fördern.
Ich wünschte, ich könnte versprechen, dass es eure Kinder nicht treffen wird – die Mikroagression, die Abwertung, die systemischen Nachteile. Aber ich glaube, es ist hilfreicher sich auf die Stärkung der Beziehung zu fokussieren. Und die wird durch Ehrlichkeit gestärkt. Ihr seid getroffen, traurig, entsetzt und verletzt? Wir brauchen keine kleinen Kinder damit belasten, dass das so ist – aber es zu verstecken und zu versuchen „stark zu sein“ kann verheerende Folgen haben. Das Kind spürt ja weiterhin, dass etwas nicht okay ist. Und ohne Erklärung bleibt die Ursache der kindlichen Phantasie überlassen.
Sprecht von eurem Schmerz, eurer Angst, Empörung und, was euch bewegt. Und fuck, es tut mir leid und ich wünschte, es wäre nicht da. Ich fühle euren Schmerz. Ich bin da.
Rassismus ansprechen
Okay, werden wir mal ehrlich: Die meisten von euch, meinen Leser*innen, sind keine BIPoC. Und einige von euch haben mich angeschrieben und mir gesagt, dass es keine oder kaum Berührung gibt mit BIPoC. Wie kann ich aktiv dafür sorgen, dass in der Isolation im cosy Prenzlauer Berg keine rassistischen Ressentiments entstehen?
Erstmal: Nett sein reicht nicht.
Friedvolle Elternschaft kann viel, aber sie kann keine systemischen Probleme ausmerzen.
Ich setze mal voraus, dass du deinem Kind beibringst, sich friedvoll zu verhalten, indem DU es achtest und ehrst und liebevoll mit einem machtlosen Wesen umgehst. Damit ist ein guter Anfang gemacht.
Aber lasst uns nicht da aufhören. Hier eine unvollständige Liste.
- Das Erleben von Menschen schlägt jede Belehrung. Achte darauf warum du Orte, Kurse, Stadtteile meidest und wo du mehr aktiv in den Kontakt gehen kannst (editiert)
- Besprich, warum manche Menschen in manchen Stadtvierteln eine andere Hautfarbe haben als andere. Spricht Hautfarbe als Faktor offen an, wenn es um Ungleichheit und Ungerechtigkeit geht.
- Korrigiere dein Kind, wenn es nach „Hautfarbe“ frage (siehe oben). Mit korrigieren meine ich keine Vorträge oder Abwertung! Auch ein nobler Auftrag wird durch Erziehung kaputt gemacht. Sage einfach kurz, warum du das nicht okay findest oder frage zurück „Welche Hautfarbe?“ Es gibt übrigens Stiftesets mit vielen verschiedenen Hautfarben.
- Achte darauf, dass der Medienkonsum diverse Charaktere beinhaltet und BIPoC repräsentiert werden (und zwar nicht nur als „the one black guy“). Ich finde das nach wie vor ein Trauerspiel an der Front, aber ich und du, wir können uns die Mühe machen, zu recherchieren, welche Inhalte da Sinn machen. Biete diese Inhalte an, aber zwinge dein Kind nicht. Sprich darüber, warum du nur weiße Charaktere in Shows falsch findest.
- Hinterfrage deine Sprache und wie du z.B. Hautfarbe und Körper besprichst. Bemühe dich, BIPoC mitzudenken. Hier haben wir neulich ein Spiel in einer App gespielt, wo man eine Person gestalten und anziehen konnte und wir haben uns darüber unterhalten, welche Hautfarben in der Palette fehlten und dass Haare ja sehr unterschiedlich sein können und welche Hautfarbe mit welcher Haarart zusammenhängt. Unangenehm? Sicher. Notwendig, dass wir nicht so tun als gäbe es keine Unterschiede? Noch sicherer.
- Edit: Ich wurde darauf aufmerksam gemacht dass historische Kenntnisse wichtig sind um zu verstehen warum zum Beispiel eine rassistische Beleidigung unter Kindern viel schwerer wiegt als ein „du Dummkopf“. Historische Kenntnisse sind oft nicht oder nicht ausreichend Teil des Schulunterrichtes und man kann sie stressfrei in den Alltag einbinden. Fangen wir an bei „Nein, Columbus hat nicht Amerika entdeckt. Da lebten schon welche“.
- Arbeite an deinen eigenen Rassismen. Wo wir beim nächsten Punkt wären.
Dein Rassismus und du
Jup. Ich weiß. Unangenehm. Ich hab dich gewarnt! Aber wenn wir unseren BIPoC-Brüdern und Schwestern helfen wollen, können wir nicht schweigen und glauben, es reiche, das N-Wort zu vermeiden. George Floyd und unzählige andere Menschen sterben, werden angegriffen und verletzt, weil wir ein System des Schweigens und Wegguckens errichtet haben.
Wenn du willst, dass dein Kind nicht rassistisch ist, brauchst du deinen Blick auf deine eigenen Rassismen.
(Byebye an die Follower*innen, die glaubten, betroffene Worte reichen und denen es nun zu anstrengend wird! Und vergesst nicht euer Privileg, die Wahl zu haben, zu genießen!).
Ich sage dir, ich selber bin auch rassistisch. Ich meine, bei meiner Oma auf dem Dachboden lag noch das Buch „10 kleine N***lein“. WTF.
Ich habe schon Leute gefragt, wo sie WIRKLICH herkommen. Ob ich ihre schwarzen Haare mal anfassen darf. Und ich habe schon behauptet, Weißen zu sagen, sie seien rassistisch, sei rassistisch (sogenannter reverse racism). Jup. Alles passiert und nein, bin ich nicht stolz drauf.
Aber es ist wie mit der Erziehung: Du kannst die Kacke ablegen. Der erste Schritt ist, einzusehen, dass nicht DU bestimmst, was verletzend ist. Sondern BIPoC. Und der zweite Schritt ist, ihnen zuzuhören.
Hier sind ein paar Quellen zum Lernen, zuhören und sich fragen, was wir anders machen können:
- Tupoka Ogette arbeitet zu Rassismus und klärt auf. Ihr Podcast ist hörenswert. Das ist ihr Buch.
- Hier ein Kommentar eines amerikanisch-südafrikanischen Comedians, der sehr gut die Situation in den USA erklärt.
- Ein Buch, das mir empfohlen wurde, das ich aber noch nicht kenne. (Gibt es auch als Hörbuch auf vielen Plattformen.)
- Schon fast ein Klassiker, aber leider noch immer aktuell.
- Eines der wirklich guten Bücher über verinnerlichten Rassismus (auf englisch).
Nein, ich habe keine Antwort. Ich habe mehr Fragen. Und klar ist das nicht toll. Aber das ist es, was wir tun können: Ehrlich kommunizieren, die Klappe halten, wenn wir weiß sind, lernen, lernen, lernen und mit unseren Kindern reden.
Was hilft dir, Rassismus im Alltag zu thematisieren? Lass es mich in den Kommentaren wissen.
PS: Ich werde keine Relativierung Schwarzen Leidens in den Kommentaren zulassen.
Liebe Ruth. Danke, dass du dazu schreibst. So ein wichtiges Thema und so sehr an den Rand gedrängt… „Wir“ sind doch nicht rassistisch… ich lese den Artikel später ganz und freue mich auf die wertvollen Denk- und Handlungsanstöße. Und auf die Diskussion mit meinen Kindern und Freund*innen. 🙏🏼❤️ Barbara
Hallo! Danke für deinen wertvollen Beitrag! Wir wohnen am Land, ohne Berührungspunkte mit BIPoC und ja, da sind Rassismen in mir. Unbeabsichtigte. Hätte mir bisher noch nie Gedanken über den Stift in „Hautfarbe“ gemacht und werde die zum Anlass nehmen das Thema ins Gespräch zu bringen.
Vielen Dank für diesen Artikel mit, wie ich finde, tollen Vorschlägen es besser zu machen. Trotzdem muss ich sagen, daß das Kolumbus Beispiel hinkt. Chemische Elemente wurden auch entdeckt und waren vorher schon da, ebenso uns fremde Pflanzenarten, Fehler in der Mathearbeit….. Columbus hat einfach nur etwas gesuchtes, ihm und vielen Anderen Unbekanntes gefunden/entdeckt. Das impliziert nicht, daß da noch niemand war.
Die Chemischen Elemente wurden aber nicht daraufhin getoetet.
– Ruth
An dieser Stelle finde ich es auch wichtig, mal dahin zu gucken, was wir alle in der Schule im Geschichtsunterricht gelernt haben. Wie einseitig der Kolonialismus dargestellt wird, schaut auf die Abbildungen! Der mächtige weiße Mann kommt in das Land der „armen Völker“ und erlöst sie, bringt ihnen das, was er meint, was sie brauchen und wird als Held gefeiert. Das ist so ungefähr das, was ich damals vermittelt bekommen habe. Alles Gelernte zu vergessen und neu aufzuarbeiten ist viel Arbeit, aber die ist dringend nötig, um uns und unsere Kinder zu sensibilisieren und am Ball zu bleiben.
Ganz, ganz krass. Ja. Hier in Portugal nochmal ne Ecke schlimmer.
– Ruth
Liebe Ruth,
vielen herzlichen Dank für den Beitrag. Ich setze mich immer wieder auch bewusst mit dem Thema auseinander, zum Beispiel beim Besuch von Workshops. Ich entdecke so viele Grenzen in meinem Denken und den Tiefen Rassismus in mir, der so schwer zu lösen ist. Ich kenne auch das Buch „10 kleine N…..“ von meinen Großeltern, hatte die Erinnerung bis eben aber total aus meinem Bewusstsein gelöscht. Sehr interessant *grübel*.
Ich möchte gern noch etwas zum Geschichtsunterricht beitragen, der bei mir auch einseitig war. Ich habe mir das Buch „Die Geschichte Afrikas“ von Lutz van Dijk gekauft. Das ist ein sehr schönes Buch, auch für Kinder, das mein Bücherregal ungemein bereichert.
Herzliche Grüße
Liebe Ruth, vielen Dank auch auf diesem Weg.
Ich bin weiße Mutter einer Schwarzen Tochter und erlebe viel subtilen Rassismus, auch wenn wir in einem sehr diversen und toleranten Stadtteil wohnen. Es hat für mich einige Zeit gedauert, um überhaupt wahr zu nehmen, was wann rassistisch ist und auch ich rassistisch handle, das ist ein endloser Weg. Dafür sind Deine Hinweise super wichtig.
Und ich würde Deiner Liste noch hinzu fügen, dass man sich über seine eigenen Vorurteile mit seinen Kindern unterhält. Ganz offen und ehrlich, wen würdest Du mit nach Hause nehmen und wen nicht und warum? (wir nehmen auch nicht jeden mit nach Hause)
Und ja, Kolonialismus wurde in meiner Schulzeit so gut wie nicht thematisiert. Das war aber die Geburtsstunde des Rassismus aus ökonomischen Gründen. Man kann jedem Kind erklären, dass „Indianer“ sich selber anders nennen und warum das N-Wort aus Pippi Langstrumpf nicht mehr gesprochen wird. Und so weiter und so weiter. Vielen Dank für diesen Raum, vielen Dank an jeden, der sich damit beschäftigt.
Danke fuer deine Hinweise! Sehr wertvoll. Gerade die Geschichte mit dem Kolonialismus finde ich extrem wichtig.
– Ruth
Hallo, danke für den Artikel!!! Von Herzen Danke! So so wichtig und vor mir liegt das wie ein Berg, bei dem ich nicht ganz weiß, wie ich ihn besteigen soll. Muss mir kleine Pfade suchen und ihn erklimmen, dein Beitrag hilft mir dabei!
Ich habe meiner Tochter vor einem Jahr eine Puppe geschenkt- eine weiße. Denn ich dachte: sie will sich ja um sie kümmern wie um „ihr“ Baby, da muss sie doch auch so aussehen wie sie. Dann hab ich Fotos von früher gefunden und mich erinnert: meine eigene Puppe damals war dunkelhäutig. Und es war überhaupt nicht relevant für mich, so wenig, dass ich mich nicht mal dran erinnern konnte. Ich erinnerte mich nur an das Spiel.
Apropos Hautfarben-Buntstifte: hier https://www.hautfarben-buntstifte.de/ gibt es welche in gaaanz vielen Hautfarben 🙂
Ich hab immer welche vorrätig, weil ich die total gern verschenke und so auch mit den Kids ins Gespräch komme.
Toller Tipp! Hab direkt ein paar Packungen gekauft 🙂 Erlöse werden zu 100% gespendet.
Danke Ruth, fürs aufrütteln.
das Beispiel mit Columbus finde ich sehr interessant. Ich versuche meinen Kindern beizubringen, dass es nicht Indianer heißt. Das ist schon viel eher einsetzen sollte darüber habe ich doch gar nicht mehr als gedacht.
Vielen Dank.
Trevor Noah ist kein amerikanisch-südafrikanischer Comedian…der Vater ist Deutschweizer, die Mutter !Xhosa…