Ganz, ganz leise macht meine Tochter die Tür auf. Ich sitze auf dem Boden im Schlafzimmer, um mich herum Papier, und hämmere auf meinen Laptop ein.

‚Mama?‘ – ich schaue nicht auf. Ich habe sie gehört, aber gerade echt gar keine Lust auf sie. Echt nicht. Diese scheiß Hausarbeit sitzt mir schließlich im Nacken.

‚Mama?‘ sie kommt näher. Ich schaue auf. Ich sehe, wie sie ihre Nase kräuselt, weil sie mit einem Angriff von mir rechnet. Und ich bin nicht mehr müde. Nur noch traurig.

‚Was denn?‘

‚Wolke ist tot.‘

Wolke war unser Kaninchen. Sie war über Nacht unter dem Zaun in ihrem Gehege herausgekrochen und ein Fuchs hatte sie erwischt. Oder ein Marder. Später würden wir ihre Überreste finden. Kleine, weiße Fellknäule.

Ich nehme sie in den Arm.

‚Wann ist das passiert?‘

‚Vorgestern‘ sagt sie.

Meine Tochter hatte mir nichts davon erzählt, weil ich in einer Prüfung steckte. Weil ich dringend noch eine Hausarbeit abgeben musste. Weil ich drei Tage in der Woche quer durch Deutschland gereist war, um mein Studium voranzubringen an einer Uni, an der ich als eine unter wenigen ausgewählt worden war.

Ich hatte wichtige Dinge zu tun. Wolkes Tod, so dachte sich meine Tochter, war nicht wichtig genug.

Das Schlimme war nicht, dass sie geschwiegen hatte. Das Schlimme war, dass sie Recht hatte.

Prioritäten

Es ist einfach so. Wenn ich Prioritäten für etwas setze, dann setze ich sie auch gegen etwas. Komplett logisch. Gerade was Zeit und Aufmerksamkeit angeht.

Aus irgendeinem Grund gibt es aber dieses Märchen, dass diese Basislogik bei Familie außer Kraft tritt. Dass Eltern alles können müssen. Zeit und Aufmerksamkeit für eine Arbeit, für ein Studium, für einen Haushalt, für ihre Finanzen haben. UND für ihre Kinder.

Ich glaube, dass wir dringend anfangen müssen, darüber zu reden.

Denn Veränderung kostet dich etwas. Und hier auf diesem Blog geht es um Veränderung. Es geht darum, zu verstehen, warum du so handelst, wie du es tust, deine Bedürfnisse kennenzulernen und deine Limits. Dich lieben zu lernen. Aufzuhören dich und andere zu erziehen.

Das ist nichts, was du mit Links erledigst. Neben deiner Karriere und deinen fuffzehn anderen Dingen. Vergiss es.

Denn es kostet Ressourcen. Kraft. Vielleicht Geld, wenn du dir Begleitung suchst. Es kostet vor allem Zeit.

Ich sage nicht, dass du das tun solltest. Ich sage nur: Es ist gelogen zu behaupten, du könntest bedürfnisorientiert leben und das einfach oben drauf schmeißen auf einen Alltag, der Bedürfnisse ignoriert.

Ich erlebe zahlreiche Eltern, die scheitern an ihrem Rahmenbedingungen. Scheitern meint nicht, dass sie nicht ihre persönlichen Schritte gehen – es meint, dass sie unzufrieden und unerfüllt sind. Es gibt zahlreiche Kinder, die von Schule und Kindergarten derartig gefordert und ausgelaugt sind, dass die Beziehung zu ihren Eltern eine Reihe von massiven Konflikten ist. Auch das ist nicht falsch, aber eben die Folge einer Prioritätensetzung, die die Kinder tragen müssen.

Ich erlebe zahlreiche Eltern, die einer Arbeit nachgehen, die sie unglücklich macht und deswegen mit unerfüllten Bedürfnisse herumrennen – und die explodieren dann, ganz ähnlich wie bei den Kindern, zu Hause, im vertrauten Rahmen.

Was kannst du tun?

Ehrlich werden. Schau dir deine Prioritäten an. Ich selber habe meine Studium nicht abgebrochen, weil ein Kaninchen gestorben war, aber ich habe viele, viele Situationen bemerkt danach, in denen ich meine Prioritäten völlig ohne echte (!) Notwendigkeit bei meinen Forschungsaufgaben oder einem Buch hatte. Manchmal war das okay – oft war es Gewohnheit.

Eine Gewohnheit, die viele Eltern später bereuen. Und das ist das, was mir das Herz zerreißt und wovor ich warnen will: Schau, dass du so lebst, dass du deine Prioritäten nicht später bereust.

Zweiter Schritt wäre: Bewusste Entscheidungen treffen. Setze dir deinen Rahmen neu und versuche zu beobachten, wie viel Spielraum du eigentlich hast. Wie du dich bewusst entscheidest und was Alternativen wären (die musst du nicht umsetzen, nur im Kopf haben. Es geht um innere Freiheit, nicht äußere).

Dritter Schritt: Verändere die Strukturen. Höre auf, dich mit Menschen zu verabreden, die dir nicht gut tun. Suche nach einer Alternative für deinen Job. Nimm das Kind aus dem Kindergarten.

Und ja, es kann sein, dass du Fehler machst. Macht nix. Der Größte ist, es gar nicht zu versuchen.