Was mich nervt: Wenn meine Kinder durcheinander schreien. Wenn sie nach mir hauen, obwohl ich überhaupt noch nicht verstanden habe, worum es ihnen geht. Wenn sie herumspringen und hüpfen und mich Dinge fragen und ich durcheinander komme.

Ich liebe meine Kinder nicht immer.

Wenn es um Liebe geht, sitzen wir da einem Missverständnis auf, glaube ich: Solange wir über Gefühle reden, ist Liebe genauso flüchtig wie Ärger oder Freude – ein kurzes Kräuseln auf den tiefen Meeren unseres Unterbewusstsein.

Liebe reicht nicht. Wenn ich nur Dinge tun würde, weil ich meine Kinder liebe, würde ich sie anschreien, damit sie endlich mal aufhören mit dem Scheiß (hab ich schon gemacht, hat nicht geholfen und nur wehgetan). Denn wenn sie so schreien, liebe ich sie nicht. Es fühlt sich nicht warm und liebevoll an, es ist nicht herzlich und freundlich.

Liebe ist ein Bedürfnis.

Ich bin meinen Kindern verpflichtet. Das meine ich nicht Law and Order-mäßig, sondern ganz moraltheoretisch, wie ich nun mal bin: Ich bin ihnen verpflichtet. Die Achtung ihrer Menschenwürde und die Erfüllung ihrer Bedürfnisse ist meine Verantwortung.

Und dafür brauche ich keine Liebe, sondern die Fähigkeit, moralisch zu handeln.

Liebe hingegen ist eines der Bedürfnisse, das Kindern erfüllt werden muss, damit sie gedeihen können. Es ist ein wichtiges Bedürfnis, viel wichtiger als oberflächliche Gefühle.

Meine Kinder zu lieben reicht nicht. Sie zu achten, sie zutiefst zu achten, das verhindert Gewalt. Aus Liebe wurden schon schreckliche Dinge getan. Nicht umsonst gibt es die Idee von tough love, der Liebe, die Gewalt mit einschließt. Und Generationen von Eltern identifizieren sich damit und glauben, es habe ihnen nicht geschadet.

Liebe als Gefühl reicht nicht.

Menschen zu achten bedeutet, ihnen IMMER ihre Würde zu geben. Genervt zu sein, angestrengt zu sein und auch mal rumzumaulen – aber immer zu wissen, dass ich am Ende die Würde meines Gegenübers nicht verletzen darf.

Zwei Dinge machen das schwer:

1. Es ist sehr leicht, unsere Macht zu missbrauchen

Unsere Kinder sind uns ausgeliefert. Unsere Macht generieren wir nicht nur aus unserer körperlichen Überlegenheit. Unsere Kinder sind uns auch psychisch unterlegen: Alles, was wir über sie denken oder tun, glauben sie uns. Sie verletzen sich lieber selber, indem sie sich verantwortlich machen, als ihren Eltern nicht mehr zu glauben. Und: Sie sind von uns auch ganz materiell abhängig. Von unserem Wissen. Von unseren Fähigkeiten, ihnen Zugang zur Welt zu geben. Von unserem Geld.

Es ist wahnsinnig leicht, das zu missbrauchen. Und in einer Welt, die diesen Machtmissbrauch als legitim erklärt hat, ist es umso schwerer, die Würde auch von kleinen und abhängigen Menschen zu achten.

2. Es ist uns selbst passiert

In ihrem Buch ‚Am Anfang war Erziehung‘ erklärt Alice Miller das an wunderbaren Beispielen: Unsere eigene Erziehung führt dazu, dass der Anteil der sich – um zu überleben – identifiziert, in uns am Leben ist. Viele Erwachsene erziehen sich selbst (überprüfe mal, wie du zu dir sprichst, wenn du einen Fehler gemacht hast, falls du mir das nicht glauben magst). Die Idee, die Eltern hätten Recht und zu Liebe gehöre Machtmissbrauch, diese Idee macht die Fortführung der Verletzung scheinbar leichter, als den Teufelskreis zu unterbrechen.

Ich sage scheinbar. Denn Erziehung ist nur kurzfristig wirksam oder hilfreich. Auf Dauer tut sie weh.

Also nein – ich liebe meine Kinder nicht. Nicht, wenn wir über Gefühle reden. Aber ich achte sie tief als Menschen. Meine Handlungen abhängig zu machen von meinen Gefühlen, würde ihrer Würde nicht gerecht werden. Der Verzicht auf Erziehung tut es.