Dieser Post wurde schon vor einiger Zeit auf diephysikvonbeziehungen.de veröffentlicht. Aus aktuellem Anlass hier nochmal!

Ohne Erziehung leben ist krass.

Echt mal. Und am Anfang stehst du da und musst erstmal lernen, wo oben und wo unten ist.

Lass dir Zeit. Ich selber bin seit 4 Jahren dabei – und Hölle, ich brauche sicher nochmal so lange, ehe ich behaupten kann, endlich wirklich frei von Erziehung zu sein.

Aber das Gute für Dich ist, dass ich schon einige Fehler gemacht habe. Die musst du dann nicht mehr machen. Gut, oder?

Hier sind sie:

1. Versuchen, immer nett zu sein

Viele Eltern kommen zu unerzogen, weil sie mit Erziehung Gewalt verknüpfen. Versteh ich gut, seh ich auch so. Erziehung ist Gewalt.

Nur: Gewalt bedeutet, mit der eigenen Macht auf eine Art und Weise umzugehen, die den anderen in seiner Integrität kränkt und macht, dass er_sie Dinge tut, die er_sie nicht tun wollte.

Gewalt ist deswegen nicht unbedingt laut. Sie kann sehr subtil sein. Das ist ja das fiese an so mancher Erziehungsmethode.

Wenn Eltern sich von Erziehung abwenden, haben sie oft noch dieses Bild von Gewalt im Kopf, das laut und hässlich ist. Und werden ganz leise und sanft, in der Hoffnung, das sei weniger gewalttätig.

Das Blöde ist, dass sich leise und sanft nur ein Teil unserer Gefühle authentisch ausdrücken lässt. Und Authentizität ist eine Grundlage des nicht Erziehens.

Die Kunst ist also, zu lernen, gewaltfrei die eigenen Gefühle auszudrücken. Klingt kompliziert? Braucht eigentlich nur Geduld und viel Zeit – denn die alten Mechanismen müssen überschrieben werden. Die Gewaltfreie Kommunikation befasst sich eben mit dieser Problematik und ich lege sie dir wärmstens ans Herz.

2. Alles erlauben

Doppeltes Missverständnis.

Erstens: Erlauben impliziert, dass einer die Macht hat und dem anderen gnädigerweise gewährt, sie nicht zu gebrauchen. Ich erlaube ja meinem Mann auch nicht, mir beim Haushalt zu helfen… Er tut es. Oder nicht (shit, ja, auch das!) Oder verhandelt mit mir, wie wir es machen. Weil wir Partner sind, keine Gegner.

Zweitens: Du bist nur ein Mensch. Hör auf, dich wie ein Heiliger zu benehmen (ich kenn mich ja mit Heiligen nicht aus, aber ich habe den Verdacht, dass selbst Heilige sich nicht wie Heilige benehmen). Wenn es dir nicht gut geht und du etwas nicht willst, dann sag es! Es geht nicht darum, dass du dich durchsetzt und das Gerede von den Grenzen lassen wir auch mal weg.

Es geht nur darum, dass du sagst, was du brauchst. Wie es dir geht. Und nicht so tust, als wäre alles prima, wenn es das gar nicht ist.

Üblicherweise geht das nämlich schief. Kinder brauchen authentische Gegenüber, um in echter Verbindung zu leben. Verbindung und Gesehen werden ist essentiell.

Wenn du ‚alles erlaubst‘ und dich nicht positionierst, hat dein Kind keine Chance, dich kennen zu lernen. Deine Werte. Deine Gefühle. Deine Geschichte.

Und nein, das ist nicht immer toll. Aber Konflikt ist auch Wärme. Die Frage ist, wie du den Konflikt gestaltest, nicht, wie du ihn vermeidest.

3. Die eigenen Bedürfnisse ignorieren

Ganz üble Geschichte.

Viele Eltern, die zu ‚unerzogen‘ finden, leben schon lange bedürfnisorientiert mit ihren Kindern. Und gerade bei sehr kleinen Kindern heißt das, dass eben die Bedürfnisse des Kindes zuerst kommen.

Dagegen ist auch gar nichts einzuwenden. Solange deine eigenen Bedürfnisse dann auch dran sind! Spätestens nach einigen Jahren, in denen du tapfer ignoriert hast, dass es dir nicht gut geht, kommt dann nämlich sonst die Wut – ein zuverlässiger Anzeiger, dass deine Bedürfnisse nicht gehört werden von dir.

Oder du wirst krank. Lass das!

Bedürfnisse überhaupt zu erspüren und zu benennen ist den meisten Menschen nicht in die erziehende Wiege gelegt worden.

Deswegen einige wenige Worte dazu: Bedürfnisse erkennst du daran, dass sie potenziell universell sind. Jeder Mensch kann sie haben. Sie sind keine Handlungen oder Strategien, sondern konkrete tiefe Zustände, die erfüllt oder nicht erfüllt sind.

Übrigens: Sie zu fühlen und dafür zu sorgen, dass es dir gut geht, ist kein Aufruf, deine Strategie zur Umsetzung des Bedürfnisses um jeden Preis umzusetzen. Es heißt, achtsam zu sein und sich lieb zu haben.

Ein Beispiel dazu. Stellen wir uns vor, dein Kind redet gern und laut mit dir. Du hast aber heute einen komischen Tag und möchtest eigentlich gerne mehr Ruhe.

Typisch für diesen unerzogen-Fehler wäre, das zu ignorieren (und dich gar noch zu verurteilen dafür, dass dein Kind dich nervt).

Viel mehr im Einklang mit deinen Werten und beziehungsdienlicher wäre es, festzustellen, dass irgendwas nicht okay ist. Und dann zu überlegen, welches Bedürfnis da hungrig ist. Ruhe wäre eines. Oder Entspannung. Oder auch Autonomie.

Und dann kannst du dein Kind bitten (! eine Bitte ist eine Bitte. Nicht zu verwechseln mit dem verkappten Befehl, den Bitten gerne in der Erziehung darstellen), leiser zu reden. Oder eine leise Tätigkeit vorschlagen (stille Post!). Oder einen anderen Menschen bitten, dein Kind zu übernehmen und eine Auszeit nehmen.

Die Möglichkeiten sind unendlich. Und vor allem ist dein Kind nicht dafür zuständig, das Bedürfnis zu erfüllen. Dafür bist du zuständig.

4. Harmonie erwarten

„Ich habe alles versucht. Ich stille mein Kind immer, wenn es das will und ich bin freundlich und sanft – aber es bekommt trotzdem Wutanfälle!“

So oder so ähnlich klingen viele, viele Fragen von Menschen, die den unerzogenen Weg gehen wollen.

Damit bürden sie dem Kind, ohne es zu beabsichtigen, einiges auf. Die Kinder spüren sehr schnell, dass Traurigkeit, Wut und andere Emotionen aus dem Spektrum, was als ’negativ‘ angesehen wird, nicht mehr willkommen sind.

Schlimmstenfalls bekommt es sogar die Verantwortung von den Eltern ‚ich tue alles für dich, und du bist wütend!‘.

Nochmal: Das geschieht nicht bewusst. Mir selber ist das lange auch passiert. Immer wenn eines meiner Kinder wütend wurde, wurde ich erst hilflos und dann ärgerlich. Ich war der festen Überzeugung, ich müsse unbedingt ändern, dass es wütend wurde. Blödsinn. Musste ich nicht.

Einfach da sein und lieb haben reicht.

The goal in life is to laugh all our laughter and cry all our tears. (Marshall Rosenberg)

Wenn dein Kind das nächste Mal wütend ist und mit dir streiten will, denk daran. Konflikt ist nicht falsch. Konflikt ist eine wesentliche Zutat des menschlichen Miteinanders. Die Frage ist, wie du damit umgehst.

Du bist nämlich verantwortlich für die Qualität des Konfliktes.

Um herauszufinden ob ein Konflikt destruktiv ist, kannst du dich fragen: ‚Will ich gerade Recht haben oder in Verbindung sein?‘

Geht es um eure Gefühle und Bedürfnisse? Bist du neugierig und zugewandt? Dann ist alles okay. Unerzogen ist, in Liebe zu leben. Nicht ohne Konflikt.