‚Erziehung, das ist doch heute so viel mehr als nur rumbrüllen und mit dem Rohrstock drohen.‘

Richtig, zum Glück. Deswegen ist es aber nicht weniger Gewalt.

Damit will ich all den Menschen – und es sind sicher zu viele, nach wie vor – die körperlicher Gewalt ausgesetzt waren, nicht ihr Empfinden absprechen, dass das schrecklich war und ist (so sie denn so empfinden. Auch das ist nicht immer so). Nicht umsonst ist es verboten, Menschen körperlich wehzutun und zwar auch kleinen Menschen. Es ist falsch und schrecklich, dass es so lange Zeit selbstverständlich war, in vielen Ländern noch erlaubt und gängig ist und auch hier noch viel mehr Eltern zuschlagen, als ihnen lieb ist.

Wenn wir aber über Gewalt reden, müssen wir all das, was Gewalt auch ist, mit einbeziehen. Psychische Gewalt. Manipulation. Verdeckte Kommunikation. Machtmissbrauch.

Der Gewaltbegriff wird, je näher wir ihn ansehen, desto schwammiger und schwerer verständlich:

„Die Gewaltsituation ist vielleicht keine Interaktionssituation wie jede andere, aber eben doch eine Interaktionssituation, für deren Verständnis sich Motive und andere Kontexte nicht völlig ausblenden lassen. Sie gehören zu einer vollständigen Erklärung im Sinne einer Beantwortung von Wie-Fragen zwangsläufig dazu.“ (Wolfgang Knöbl, bpb, Quelle)

Aber was hat all das mit Erziehung zu tun?

Das Problem, was erzieherische Handlung gemein hat, und zwar alle, von der schwarzen Pädagogik zu den Waldorfschulen bis hin zur netten Mutti von nebenan, die ihre Grausamkeiten säuselt, ist die Haltung.

Erziehung beschreibt ein Verhältnis zwischen Menschen, in dem ein Mensch objektiviert wird. Immer dann, wenn ich will, dass jemand tut, was ich sage, ungeachtet der Gefühlswelt des anderen, ist das Objektivierung. Immer dann, wenn ich mir vornehme jemandem etwas beizubringen, ihn oder sie zu belehren, zu formen oder mittels Lob oder – mittlerweile gerne ‚Konsequenzen‘ genannt – Strafen zu etwas bringen will, begegne ich keinem Menschen mehr, sondern einem Objekt.

Kern des moralischen Anspruchs an ein Miteinander in Demokratien aber ist, dass diese Form der Objektivierung nicht erlaubt ist. Nicht umsonst ist es Erwachsenen extrem unangenehm, wenn sie erzogen werden. By the way sieht das auch lächerlich aus:

 

Erziehung – was ist daran so falsch?!

Nun wird an dieser Stelle gern eingewandt, dass Erziehung ja heute sehr freundlich sei. Das ist unbestritten der Fall. Die Grausamkeit liegt oft nicht mehr in den Worten, sondern in der Unerbittlichkeit, mit der Kinder gefügig gemacht, Pseudoverhandlungen geführt und Lebenssituationen jenseits der Bedürfnisse von Kindern gestaltet werden.

Ein anderer Einwand ist, dass Erziehung ja mehr Begleitung sei. Ich frage mich dann, ob ich meine 80jährige Oma auch erziehe, wenn ich ihr helfe, über die Straße zu gehen. Oh nein – Erziehung ist nicht synonym mit Begleitung von Kindern durch Eltern, sonst müssten wir die syntaktische Unterscheidung nicht treffen. Wir meinen etwas sehr anderes als Begleitung, wir meinen Manipulation. Dabei ist egal, ob wir das bewusst oder unbewusst machen, egal, ob wir ein nettes Ziel haben (‚damit er mal lernt, nicht so schüchtern zu sein‘), egal, ob wir das tun, weil wir hilflos oder grausam sind.

Im Kern entmenschlichen wir kleine Menschen, wenn wir sie erziehen. Wir nehmen ihnen das Recht, ihre eigenen Empfindungen zu haben, ihre eigenen Lernerfahrungen zu machen – auch wenn wir uns gerne und oft vorgaukeln, dass es nicht so sei.

Erziehung ist auch nicht Pflege. Pflege, Begleitung und wie auch immer die Versuche heißen, Erziehung ihre abwertende Qualität zu nehmen, ist ein an einem hilfsbedürftigen Subjekt ausgerichtet. Pflege ist eine Pflicht gegenüber einem Menschen als Mitmensch mit mehr Fertigkeiten, Möglichkeiten und Erfahrungen. Pflege ist moralisch obligat, während Erziehung sie umkehrt und die moralische Obligation in die Veränderung des Gegenübers steckt. Nicht, dass das nicht zwischen Erwachsenen und erst recht mit hilflosen Personen öfter passiert – hier nennen wir das Ganze aber inzwischen beim Namen als entmenschlichende Gewalt.

Bei Kindern aber glauben wir – glaubte auch ich bis vor einigen Jahren – dass es nötig ist. Dass Verantwortung sich so ausdrücken würde. Und Schutz.

Die schlechte Nachricht ist, dass in unserem erzieherischem Handeln oft der eigene, unverarbeitete Schmerz über die fortlaufende Konditionierung als Kind liegt. Die gute Nachricht ist: Wir können das ändern.