Er schreit sie an.

Er hält sie fest. Er findet ‚Grenzen müssen auch mal sein‘. Er zitiert Winterhoff. Er schimpft.

All das erleben deine Kinder. Immer wieder. Jeden Tag.

Und nun?

Ein Elternteil im Abseits

Vorweg: Mir ist klar, dass du nicht unbedingt eine Frau bist und dein*e Partner*in ein Mann, entschuldige das Klischee.

So ist es in, sagen wir mal, 90% der Fälle, die mich erreichen: Ein weiblich sozialisierter Mensch und Elternteil liest sich ein in den Verzicht auf Erziehung und macht sich auf den mühevollen und langen Weg.

Reflektiert. Beobachtet sich. Fragt sich Dinge, die er sich vorher nie gefragt hat. Und verändert nach und nach seine Handlungen. Seine Haltung. Seinen Blick.

Und dann gibt es da den Partner. Und nicht selten erreicht mich der verzweifelte Ruf, ich möge ihm doch bitte einflüstern, wie es geht. Das ganze unerzogen.

Mit Verlaub, aber das ist Blödsinn.

Jemanden zu erziehen, damit er nicht erzieht, geht nicht. Jemanden mit Abwertung und Kritik und Korrektur zu begegnen, tut weh. Das ist anstrengend. Das garantiert, dass ich keinen Bock mehr habe zuzuhören, was mein Gegenüber sagen will.

Unerzogen ist eine Haltung.

Es geht darum, den Menschen um mich herum mit maximaler Selbstverantwortung und Beziehungsdienlichkeit zu begegnen.

Sehen wir uns das mal an.

Selbstverantwortung

Der andere Elternteil hat ein Recht auf eine eigene Beziehung mit eurem Kind. Genau so wie du dich durch deine Themen wühlst, wie du zweifelst und strauchelst und bestimmt auch ab und an Bockmist baust, genau so darf er*sie den eigenen Weg gehen und die eigenen Schlüsse ziehen.
Wie wäre es, wenn du euch von nun an als Weggefährten begreifst? Ihr geht jede*r euren Weg, in eurem Tempo und mir euren Ressourcen. Jede*r von euch sieht und erlebt andere Dinge.

Aber ihr könnt euch mitteilen! Welche Blumen begegnen dir auf deinem Weg? Welche Steigungen sind steil? Erzähle von deiner Welt und lausche der Welt des Menschen, mit dem du euer Kind zusammen begleitest. Sieh es als Beschreibung der Realität des anderen, nicht als Rechthaben. Recht haben tut nur weh und hilft nicht.

Du selber bist verantwortlich für dich und die Beziehung zu deinem Kind. Das ist schon allerhand. Wenn du es da schaffst, die Person zu sein, die du sein willst und jeden Tag ein bisschen freundlicher zu werden, dann wird das auf euch alle abfärben.

Es sind deine Werte, die du da lebst. Du hast dich dazu entschieden, dein Leben nach ihnen auszurichten. Je nachdem, wie ihr vorher gelebt habt, kann das ein ganz schöner Schock für deine*n Partner*in sein. Immerhin kündigst du da gerade gemeinsamen Werten!

Beziehungsdienlichkeit

Sei nachsichtig. Sei freundlich. Sei so wie du auch deinem Kind gegenüber sein willst. Zeige, was Beziehung bedeutet und rede nicht nur darüber.

Was aber, wenn euer Kind nun erzogen wird? Wann schreitest du ein?

Ich glaube, dass Selbstverantwortung auch hier der Schlüssel ist. Und das kann man auch so kommunizieren: „Hey, Moment, das verantworte ICH nicht!“

Es gibt sicher die Momente, in denen eurer Kind deinen Schutz will und braucht. Dann schütze. Freundlich und klar. Sage Stopp, wenn dein*e Partner*in eurem Kind Stress macht, sage Stopp bei Gewalt.

Das bedeutet nicht, dass du aggressiv werden musst. Oder unfreundlich.

Was hilft dir, wenn du blöd wirst zu eurem Kind? Wenn du wütend wirst? Wenn du gemein wirst? Tauscht euch aus – was hilft? Was kannst du tun, um die Beziehung dieser zwei (oder mehr) Menschen zu stärken?

Sei hilfreich. Es ist in Ordnung, wenn dein Partner Fehler macht. Hilf ihm oder ihr, die Beziehung zum gemeinsamen Kind trotzdem in Liebe zu halten. Greife defensiv ein, nicht aggressiv.

Mein Mann bringt mir zum Beispiel immer Tee, wenn ich aus meiner Mitte kippe und anfange blöd zu werden zu unseren Kindern. So ungefähr das Letzte, was ich dann bräuchte wäre Belehrung. Oder ein Artikel oder ein gut gemeinter Link oder auch nur ein unfreundliches Wort.

Empathie heilt nicht nur Kinderherzen.

Nicht freundlich zu sein, zu erziehen und abzuwerten entspringt meiner Überzeugung nach zwei Dingen: Mangelnder Information über Alternativen zum bisherigen Handeln und innerer Not (Angst, Wut, Hilflosigkeit sind da die Klassiker).

Und die Informationen können nicht ankommen, wenn die Not groß ist. Es ist nicht deine Aufgabe sie zu stillen – oh nein, das halte ich für eine der schlimmsten je erdachten Ideen über Beziehungen – aber wenn du magst, kannst du dazu beitragen. Und wie das geht, weiß nur die Person, zu deren Wohl du beitragen willst. Frag sie!