Bildschirme sind ein Spielzeug.

Ja. In Echt.

Was ist eigentlich Spielzeug?

Meine Jüngste ist nun knapp 1,5 Jahre alt. Sie spielt momentan gerne mit Socken. Oder mit der Käsereibe. Sie spielt. Alles was sie tut, ist spielen. So lernt sie.

Alle meine Kinder tun das. Und zwar mit allen Dingen, die ihnen begegnen. Alles ist Spielzeug. Also auch der Bildschirm.

Fernsehen, Spielen und dem Internet die Macht zuzugestehen, mehr zu sein als ein Feld, das es zu entdecken gibt, ist eine Tendenz, die nicht nur Eltern haben, die noch weitestgehend ohne die heutigen Möglichkeiten großgeworden sind.

Vielleicht kennst du das auch – diese Gedanken. Dass das ja nicht gut sein kann. Was lernen die da schon?! Den Widerwillen.

Ich hatte das auch. Und weißt du, was hilft? Das gleiche wie bei jeder Angst: Information.

Legen wir los.

Hilfe, ein Bildschirm!

Etwas Seltsames passiert, wenn man in Deutschland (sieht in England schon anders aus!) mit Eltern über Bildschirme spricht.

  1. Sie werden unsachlich. Es wird von ‚Glotzen‘ gesprochen. Von ‚Medien‘. Damit meinen sie aber keine Bücher. Seltsam…
  2. Es herrscht Angst. Bildschirme machen süchtig! Das Gehirn von Kindern geht kaputt davon! Und außerdem macht das doch die Augen kaputt!

Ein elementares Mittel unseres Lebens wird panisch hochstilisiert und gleichzeitig verachtet. Na, wenn das die vielbeschrieene Medienkompetenz ist, die die Kinder erlernen sollen, kanns ja heiter werden.

Warum Bildschirme für Kinder?

Dabei gibt es viele Gründe, Kinder nicht von Bildschirmen fernzuhalten:

1. Lernen

Entgegen der Idee, auf die Schule sich (leider noch immer meistens) gründet, ist Lernen weder orts- noch zeitgebunden. Es deutet vielmehr alles daraufhin, dass Lernen eine Frage der Ressourcen und Beziehungen ist.

Lernen findet an und mit allem statt. Und Bildschirme sind wunderbare Lernorte. Zugang zu Bildung findet über Bildschirme statt – das world wide web machts möglich. Oder was meinst du, was du hier gerade machst? Du setzt dich mit diesem Text auseinander. Vielleicht findest du ihn unmöglich, vielleicht stimmst du mir zu, vielleicht hast du Bock dich mit den Links zu befassen und tiefer einzusteigen ins Thema…

Du lernst. Du verhältst dich zur Welt und bildest dir eine Meinung zum Thema.

Das ist Lernen!

2. Kompetenz

Ein Teil des Lernens ist, dass Kinder Kompetenzen entwickeln. Das bedeutet übrigens nicht, dass sie sichtbare, messbare Dinge tun, die Eltern gefallen (auch wenn du das vielleicht gut fändest – kenn ich!). Es bedeutet, dass sie den Umgang mit komplexen Dingen erlernen und vor allem beliebig übertragen können.

Der Umgang mit Bildschirmen ist aus unserer Welt nicht mehr wegzudenken. Alles funktioniert über Computersysteme – der Fahrscheinautomat am Bahnhof, das Zusammensuchen von Informationen am PC und das GPS beim Geocaching.

Diesen wichtigen Teil aus dem Leben von Leuten auszuklammern, die wie nie zuvor vernetzt und verschaltet großwerden, ist keine gute Idee, finde ich.

3. Einordnung und Kritik

Außerdem: Auch der kritische Umgang mit dem Thema wird erlernt. Und das geht nur, wenn das Kind bei dir ist. Wenn es weiß, dass du es begleitest.

Ich hatte mit meinem Sohn einen erbitterten Streit über Barbie. Ich finde die Barbie-Sendungen schrecklich. Sexistisch, blöd, platt und gemein gegenüber den Protagonist_innen.

Er fand das gut. Und hörte sich meine Gründe an, die Sendung schlecht zu finden. Wir diskutierten, wir stritten.

Natürlich hat er sie trotzdem angesehen.

Alles in allem ist es einfach sinnvoll, Bildschirme nicht zu verteufeln und ihnen nicht mehr Macht zu geben als sie haben. Sie sind Lerninstrument und Spielzeug (was das Gleiche ist). Thats it.

… und der Schaden?!

Aaaaber Moment – sind die nicht schädlich? Gibt es nicht Bücher, die sich darum drehen, wie schlecht der Konsum ist? Und Vorträge, in denen davor gewarnt wird?

Ja. Gibt es.

Und: Es gibt kaum ein wissenschaftliche Grundlage dafür.

Sehen wir uns die ‚Argumente‘ an:

1. Das Gehirn eines Kindes kann die Bilder nicht verarbeiten

Dieses ‚Argument‘ ist ein klassisches Hirnforschungsding. Das liegt daran, dass Hirnfoschung in MRTs stattfindet. Und in MRTs kann man nicht viel mehr untersuchen als die Reaktion auf Bilder. Was wir da sehen, ist, dass Kinder schnell und heftig reagieren.

Was wir auch wissen, ist, dass das Gehirn von Kindern extrem schnell lernt. Und dass es veränderbar ist, also IMMER reagiert und neue Verknüpfungen bildet. Egal, was es macht.

Die Schlußfolgerung ‚am Bildschirm verändert sich das kindliche Gehirn‘ ist also falsch. Es muss korrekt heißen ‚am Bildschirm verändert sich das kindliche Gehirn – genau wie bei jeder anderen lernenden Tätigkeit‘. Denn schließlich ist lernen das, was die Definition von ’neue neuronale Verknüpfungen‘ ist, ne?

Das einzige, was diese Versuche zeigen, ist, dass Kinder am Bildschirm lernen. Überraschung!

2. Bildschirme sind schlecht für Kinderaugen

‚Wenn du zuviel guckst, kriegst du eckige Augen!‘

Kennt ihr den Spruch? Tatsächlich kann extrem exzessives Bildschirmstarren auf Röhrenbildschirme (!) eventuell zu Beeinträchtigungen führen.

Die wegweisende Studie aus dem Jahr 1959 (!) wird da übrigens immernoch zum Beispiel von der UNESCO zitiert:

„The opthalmology department of the Keio University medical school (Tokyo) studied the effect of television viewing on the eyes. Their finding was that two hours of television viewing under unfavourable conditions can temporarily reduce the ability of the eye to focus and adjust, but that the eye recovers after 30 minutes to one hour’s rest, and that the effect can be moderated very greatly by viewing under favourable conditions.“ (hier der Link zur Quelle)

Was da hilft? Nicht regulieren. Wenn ein Kind die Freiheit hat, immer wieder woanders hinzugucken und etwas anderes zu machen, anstatt die freundlicherweise genehmigte halbe Stunde lang gebannt zu starren, ist das besser für die Augen.

Leuchtet ein, oder?

Aufs Thema leuchten – es gibt Hinweise darauf, dass das blaue Licht von modernen Bildschirmen wach hält. Da können UV-Filter helfen.

3. Kinder, die viel TV gucken, werden dick und krank

Bullshit.

In vielen Studien wurde bewiesen, das ist schlicht nicht wahr. Selbst in den USA, wo Übergewicht ein Riesenproblem ist, konnte nur in wenigen Studien eine Korrelation nachgewiesen werden. Viel enger ist die Korrelation aber zum Beispiel zu der Art, wie die Kinder in der Gruppe zum Beispiel zur Schule gebracht werden oder gehen und der Art des Essens dass sie zu sich nehmen dabei.

Von einer Kausalität zu sprechen, wagt keine der Studien, die ich angesehen habe. Und auch eine Korrelation kann in fast allen Fällen von vorneherein ausgeschlossen werden.

Sprich: Solange das Kind sich überhaupt bewegt (geht auch vorm Bildschirm), ist alles tutti.

Bedeutet unerzogen, dass Kinder immer glotzen?!

Ist das hier also ein Statement, Kinder vor dem Fernseher zu parken? Mitnichten. Es ist ein Statement, die Folgen von Verboten abzuwägen gegen den angeblichen Schaden. Es ist der Aufruf, verantwortlich zu argumentieren und Kindern keine Lernchancen und das Recht auf Selbstbestimmung zu nehmen, weil wir Angst haben.

Wenn die Angst so groß ist, dann hilft schonmal Information, Recherche und Nachprüfen. Und wenn das nicht hilft, hilft Verantwortung: Ich kann es nicht. Ich kann meine (!) Angst nicht überwinden. Und die Folgen für die Beziehung zum Kind (inklusive möglicher Verhaltensweisen wie Lügen des Kindes) trage ich.

Diese Ehrlichkeit, die wünsche ich mir. Auch von den Expert_innen die das untersuchen (hier ist schön gezeigt wie wenig unabhängig die Untersuchungen stattfinden).

Medien und Kinder – geht das zusammen mit friedvoller Elternschaft? Und wie? Wir beim Kompass glauben: Na klar.

Aber wie immer passt nicht alles für alle! Gerade beim Thema Bildschirmmedien gibt es eine Menge Angst und entweder-oder-Denken. Das hilft aber nicht denen um die es geht: Familien in einen Zeitalter voller Bildschirme. Und eure Fragen sind es, die wichtig sind! Deswegen machen wir am Freitag den 14.02.2020 um 20 Uhr eine komplett kostenlose Fragestunde zum Thema. Ohne Verurteilung und Angst – sondern mit Neugierde und Lust auf Beziehung.