Moderne Elternschaft ist sau anstrengend.

Da sind die Werte, die wir haben: Freiheit, Individualität, Authentizität und all der Kram. Und dann ist da noch die Realität, die gerne herzlich wenig mit dem zu tun hat, wie wir leben wollen.

Beispiel gefällig?

Das morgendliche Anziehen und Losgehen ist in nicht wenigen Familien ein Graus. Das ist es übrigens meist deswegen, weil Eltern wie du und ich immer mehr merken, dass ihre Werte nicht im Einklang mit autoritärer Erziehung gedacht werden können. Und dann keine Ahnung haben, wie sie sich statt dessen verhalten sollen.

Du willst dein Kind vermutlich auch nicht aus dem Bett in die Klamotten brüllen und dann aus dem Haus, oder?

Nee. Ich auch nicht.

Der Mist ist, dass wir aber oft in Realitäten leben, in denen wir eben doch raus und los wollen (nicht müssen, aber das ist ein anderes Thema).

Also muss das Kind irgendwie doch raus aus dem Bett. In die Klamotten. Raus aus dem Haus. Ohne Schreien. Ohne Gewalt. Aber wie geht das eigentlich?

Willkommen im Dilemma moderner Elternschaft. I´ve been there.

Gehorsam ist schädlich

Auf den Gehorsam ausweichen, ist keine gute Idee. Auch wenn du es verpackst und so tust, als ob es sein müsste. Oder als ob dein Kind das auch mal lernen muss.

Gehorsam bedeutet, dass ein Kind das macht, was du willst, egal, warum.

Das ist ein Problem. Aus ziemlich vielen Gründen. Hier einige davon:

1. Gehorsam verletzt die Psyche deines Kindes

Ich kann mich gut erinnern, dass ich als Kind immer meinen Eltern bei der Gartenarbeit helfen musste. Immer samstags stand mein Vater mit den Gartenhandschuhen im Flur und ich wusste, es ist so weit. Gleich werde ich gezwungen, Gartenarbeit zu machen.
Nicht, dass es hier zu Missverständnissen kommt: Meine Eltern waren sehr freundliche Eltern. Genau wie viele moderne Eltern heute wollte sie nicht schreien und nicht schimpfen. Und schlagen sowieso nicht.

Sie taten also etwas anderes, um ihrem Dilemma zu entkommen: Sie erpressten mich.

Das sah dann so aus, dass sie seufzten und mir erzählten, wie viel sie zu tun hätten. Mir Vorwürfe machten, dass ich wirklich auch EINMAL mithelfen könnte. Und mir schließlich, wenn das nicht half, damit drohten, mir nicht mehr zu helfen.

Als Kind war ich, wie alle anderen Kinder, aber elementar auf meine Eltern und ihre Hilfe angewiesen. Also tat ich, was sie wollten – weil ich weiter zum Sport gefahren werden wollte oder weiter Taschengeld bekommen wollte.

Meine Eltern waren sich vermutlich nicht der Tatsache bewusst, dass ich meiner Psyche damit Gewalt antat: Ich unterdrückte das, was mein ‚ureigenes Selbst‘ (Arno Grün) ist und gehorchte, egal, in welcher Verfassung ich mich befand und was ich brauchte.

Unsere Kinder lieben uns und sind elementar von uns abhängig. Im Zweifel entscheiden sie sich immer gegen sich selbst. Und das rächt sich in Selbstzweifeln und der Überzeugung, nicht gut (genug) zu sein. (weiterführende Leküre: Arno Grün: ‚Der Wahnsinn der Normalität‘)

Und noch etwas: Die Tatsache, dass die Bedürfnisse von Kindern nicht gehört werden, wenn Gehorsam verlangt wird, macht es dem Kind sehr schwer, sich seiner eigenen Bedürfnisse bewusst zu werden. Es hat keine Möglichkeit, Formulierungshilfe zu erhalten.

2. Gehorsam schürt Gewalt

Gehorsam, wie ihn meine Eltern – mit bester Absicht – von mir als Kind forderten, damit ich Beete umgraben und Stecklinge pikieren sollte, führt zur Unterdrückung von meinen eigenen Gefühlen.

So weit, so blöd.

Das Schlimme ist, dass die ja nun immer noch da sind. Und unterdrückte Gefühle weisen auf unerfüllte Bedürfnisse hin (Marshall Rosenberg). Und unerfüllte Bedürfnisse verschwinden ebenfalls nicht einfach.

Das Kind hat keine Chance bekommen, zu sagen ‚ich will nicht im Garten arbeiten, weil ich Ruhe/Autonomie/Sicherheit brauche‘. Es hat keine Chance, sich auszudrücken, weil es nicht gelernt hat, dass diese Gefühle überhaupt wichtig sind. Und wie man sie ausdrückt.

Denn Gehorsam betrachtet keine Gefühle. Gehorsam maximiert den Output und konzentriert sich auf die Lösung. Gehorsam ist sozusagen die Wirtschaftwissenschaft unter den Erziehungsproblemen.

Der Prozess aber – Streiten, überlegen, Lösungen finden, Bedürfnisse anhören – der Prozess, der zu Empathieenwicklung und sozialen Fähigkeiten führt, der Prozess, der Liebe und Beziehung anstubst (ja, auch im Konflikt fühlen wir, ob wir gesehen und geliebt werden oder nicht!), der wird nicht gelebt.

Und damit dem Kind auch nicht gezeigt.

Woher soll es später Konflikte lösen können? Was es gelernt hat ist, dass der Stärkere vom Schwächeren Gehorsam fordern darf.

Unter Erwachsenen nennen wir dieses Verhalten dann (meist) beim Namen: Gewalt.

3. Gehorsam zerstört die Beziehung

Wenn erst die Gewalt in Form des Gehorsams angekommen ist, wenn erst mein Vater seine Gartenhandschuhe anhatte, hatte unsere Beziehung keine Möglichkeit mehr, zu bestehen.

Sie war herausgeschnitten aus der Gleichung. Es ging nur noch um Macht.

Die für mich als Kind logische Folge war, dass ich selbst für meine Integrität sorgte und log und trickste, wo ich nur konnte. Ich rupfte das Unkraut so langsam aus, dass meine Eltern schier wahnsinnig wurden.

Und am Ende blieb mein Gefühl, nicht in Ordnung zu sein und ihr Gefühl, ein unsoziales Kind großgezogen zu haben.

Aber was denn dann?!

Vertrauen sichert unsere Beziehung. Lass ein Ziel, egal, wie wichtig, nicht den Weg dahin so determinieren, dass die Beziehung leidet.

Lass das Zähne putzen auch mal sein, wenn die Beziehung leidet. Lass dein Kind auch mal ausschlafen und plane um, wenn die Beziehung leidet. Lass die Gartenhandschuhe aus und spiele mit deinem Kind, wenn die Beziehung leidet.
Das ist meine Bitte an dich.

Gehorsam ist schädlich. Das völlig Verrückte ist, dass er gar nicht nötig ist für unser Zusammenleben.

Wir sind nämlich zutiefst soziale Wesen. Wir kooperieren. Unser Gehirn ist so angelegt, unsere Sozialisation ist eine einzige Kooperationsleistung und wir leiden schrecklich, wenn andere uns aus ihren sozialen Kooperationsverbänden ausschließen.

Was kannst du also tun, wenn du etwas wirklich willst, dein Kind aber nicht?

1. Werde kreativ

Ehrlich – jenseits der von dir favorisierten Lösung liegt ein Universum an Möglichkeiten. Hol dir Hilfe. Tritt kürzer. Mach die Dinge selber. Übernimm die Verantwortung.

2. Sei authentisch

Nein, keine Erlaubnis zum Anschreien, sorry. Das ist so ein gängiges Missverständnis (hier mehr davon).

Sei einfach du selber. Mach spürbar, was dich bewegt. Sage ‚Mann, ich WILL gerne pünktlich sein, es ist mir wichtig!‘ und ‚meine Rosen brauchen dringend Wasser und ich will sie gießen!‘ anstatt das Kind zu belehren, zu beschämen oder zu zwingen.

Du merkst, wenn du authentisch bist – in dem Moment wird dein Kind reagieren (nicht unbedingt so, wie du willst, übrigens!). Lass ihm Zeit. Ihr werdet eine Lösung finden.

3. Sei klar

Oft versteckt sich hinter der mangelnden Authentizität der Unwille, sich mit sich selber auseinanderzusetzen.

Warum will ich denn eigentlich pünktlich sein? Was ist mir an den Rosen so wichtig? Kann ich vielleicht davon Abstand nehmen? Und wenn nicht, warum nicht?

Das deutliche Formulieren und vor allem die innere Klarheit helfen im Konflikt. Kein Rumeiern. Fakten. Keine Verantwortung beim Kind.

4. Suche langfristige Lösungen

Die Kreativität, die ich oben ansprach, hat mit dem Heute zu tun. Wenn aber Probleme immer und immer wieder auftauchen, lohnt es sich, einen Schritt zurückzutreten.

Statt Gehorsam zu fordern, macht es Sinn, zu schauen, wie DU besser mit der Situation umgehen kannst, ohne die Lösung am Kind zu suchen.

Warum muss dein Kind dafür gerade stehen, was du willst? Ist es das wirklich wert, eure kostbare Beziehung? Ich glaube kaum.

5. Nimm dein Kind wahr

Was könnte mich als Kind daran gehindert haben, meinen Eltern freiwillig in den Garten zu folgen?

Ich behaupte: Sehr wenig. Ich hätte das sicher gerne getan ohne die Forderung von Gehorsam mit all ihren hässlichen Begleiterscheinungen.

So war ich damit beschäftigt, meine Würde zu erhalten. Um den Garten ging es schon lange nicht mehr.

Höre deinem Kind zu. Warum will es etwas (nicht)? Was bewegt es? Ist es vielleicht einfach hungrig oder müde? Was könnte es brauchen?

Empathie heilt, das ist meine feste Überzeugung – und Erfahrung.

Wenn wir die Erwartung an Gehorsam endlich fallen lassen und Empathie, Zuneigung und Klarheit an ihre Stelle treten lasssen könnten: Nicht weniger als eine glücklichere Welt käme dabei heraus.